Die Grabstellen auf dem jüdischen Friedhof von Bulawayo werden wohl leer bleiben. Auch Hylton Salomon wird dort nicht seine letzte Ruhe finden. Schon vor vielen Jahren hat er ein Haus in Südafrika gekauft, und wenn er in ein paar Jahren in Rente geht, wird er ans Kap ziehen. Bis dahin aber will er der Hüter des Friedhofs sein. Seit vielen Jahren schon pflegt Salomon die Gräber jener, deren Familien längst fort sind. Er zieht neue Zäune und sammelt den Müll, der auf das Grundstück weht. Er will das Tor erneuern. »Einer muss es ja machen«, sagt er und zieht seine Schultern hoch.
Salomon ist der Besitzer von »Salomons Supermarket«. Den Laden in bester Lage an einer Kreuzung in der Innenstadt von Bulawayo kennt jedes Kind. Bulawayo ist die zweitgrößte Stadt von Simbabwe. Die Salomons leben in der dritten Generation hier, sie haben das jüdische Leben mitgeprägt. Jetzt aber ist der 57-Jährige einer der Letzten, die noch zusammenhalten, was längst auseinandergefallen ist. 70 Mitglieder zählt die jüdische Gemeinde von Bulawayo, die meisten von ihnen sind zu alt, um Gräber zu pflegen. 1994, als die Gemeinde ihr 100-jähriges Bestehen feierte, waren es noch 200 Beter und der Friedhof in bestem Zustand. »Damals gab es genügend kräftige Männer hier«, erinnert sich Salomon.
Vom Judentum sind in Bulawayo nur die Friedhöfe geblieben. Die Synagoge brannte 2004 nieder. Es war ein Unfall. Um die Brandruine wieder herzurichten, fehlte das Geld. Eine Zeit lang hat die Gemeinde in der Ruine unter freiem Himmel Gottesdienst abgehalten, doch nun ist das Grundstück verkauft. Der letzte Rabbiner hat Bulawayo schon vor Jahren verlassen, spirituellen Beistand bringt alle paar Wochen der Wanderrabbiner Moshe Silberhaft aus Südafrika.
Spenden Die jüdische Carmel-Schule, 1960 gegründet, besuchen zwar noch 240 Schüler, aber keiner von ihnen ist jüdisch. Das Altenheim mit 13 Bewohnern lebt von Spenden, die Kinder und Enkelkinder schicken, die in Israel, Südafrika oder England leben. Dass es einmal anders war, weiß Salomon noch gut. Seine Kindheit, erinnert er sich, sei in der Regelmäßigkeit von Schabbat, Gottesdienst und jüdischen Festen aufgehoben gewesen.
Die Geschichte der jüdischen Gemeinde ist eng verbunden mit der Pioniergeschichte Bulawayos. Der erste Jude, der dort seine Spuren hinterließ, war der Engländer Daniel Kisch. Er kam als Goldgräber und wurde reich. In seiner Freizeit jagte er gern, vor allem im Süden, im Matabeleland. Dort regierte damals König Lobengula, der zweite König der Ndebele. Er war ein besonnener und friedliebender Mann, der die Gesellschaft der Weißen schätzte. Kisch wurde Lobengulas Berater und Freund.
Rhodesien Verbunden ist Bulawayo auch mit Cecil Rhodes, jenem Geschäftsmann und Politiker, der dem Land später seinen ersten Namen gab: Rhodesien. Rhodes war überzeugt, dass Lobengulas Reich voller Gold und anderer Rohstoffe sei und jubelte dem König einen Vertrag unter, der den Weißen nicht nur das Recht des Schürfens, sondern auch der Besiedlung gab. Nur wenige Jahre später wurde Lobengula mit Waffengewalt besiegt und starb auf der Flucht. Auf den Ruinen Gubulawayo entstand die Stadt Bulawayo.
Anfang 1894 kamen 21 jüdische Geschäftsleute in einem Zelt der Firma Moss und Rosenblatt zusammen und beschlossen die Gründung einer Gemeinde. Bulawayo war damals nicht mehr als ein paar Holzhütten und sandige Straßen, die Sonne brannte, und ringsumher gab es nur Buschland. Im April wurde das erste jüdische Kind geboren, im Dezember die Synagoge eingeweiht.
Der erste deutsche Jude in Bulawayo war der Hamburger Geschäftsmann Alfred Beits. Er war Partner von Rhodes und in dessen Auftrag ein paarmal in Bulawayo und im damaligen Salisbury, dem heutigen Harare, der Hauptstadt des Landes, unterwegs. Als in den 30er-Jahren die deutschen Juden vor den Nazis flohen, kam auch eine kleine Gruppe bis nach Bulawayo. 1949 wurde ein jüdischer Country Club eröffnet, bis 1960 stieg die Zahl der Gemeindemitglieder auf 7.000.
unabhängigkeit Der Untergang begann Anfang 1980 mit der Unabhängigkeit des Landes. Trotz des Versprechens von Staatspräsident Robert Mugabe, Simbabwe solle ein Land aller Hautfarben und Religionen werden, verließen viele weiße Familien das Land, christliche wie jüdische. Die, die blieben, hatten zunächst allen Grund, an Mugabes Versprechen zu glauben. Wirtschaftlich entwickelte sich Simbabwe gut, Bulawayo wurde zum Zentrum der örtlichen Textilindustrie. Jüdische Unternehmen wie Archer Clothing produzierten für den europäischen und besonders den deutschen Markt. »Wir hatten eine großartige Zukunft vor uns«, sagt Firmenchef David Lasker.
Im Jahr 2000 aber, als die Regierung eine Landreform verabschiedete, die weiße Farmer enteignete und zu einer Welle von Morden führte, verließen Tausende Weiße Simbabwe. Es folgten wirtschaftlicher Niedergang, politische Isolation des Landes und nach der Präsidentschaftswahl im Jahr 2008 eine Welle der Gewalt. Salomon erinnert sich, wie fast alle Simbabwer, mit Grauen an diese Zeit. »Es gab nichts: kein Benzin, keine Waren. Ein ganzes Jahr lang hatten wir fast leere Regale. Es war zu teuer, das Licht im Laden anzuschalten.«
Hylton Salomon investierte damals sein Geld in eine südafrikanische Immobilie. Seine Kinder verließen Simbabwe, um in Südafrika zu studieren – und kamen nicht zurück. Wenn er in einigen Jahren sein Arbeitsleben beendet, wird er den Supermarkt verkaufen. Damit geht die Geschichte der Familie Salomon in Simbabwe zu Ende. David Laskers Hoffnung auf wirtschaftliches Überleben erfüllte sich dagegen nicht. 2011 musste Archer Clothing Insolvenz anmelden. Nun hat Lasker bis Ende des Jahres Zeit, Investoren zu finden. Ans Auswandern denkt er dennoch nicht. »Es gibt keinen anderen Ort für mich. Wir sind diesen ganzen langen Weg bis heute gegangen, da gebe ich jetzt nicht auf.«