Vor dem Bahnhof von Medias (deutsch: Mediasch) schieben sich Busse und Autos Richtung Stadtzentrum. Ganz in der Nähe steht die Synagoge der kleinen Industriestadt. Kühl und etwas dunkel ist es im Inneren des prächtigen Baus aus dem späten 19. Jahrhundert. Seit mehr als anderthalb Jahrzehnten nutzt niemand mehr das Bethaus. Es regnet durchs Dach, Putz bricht in großen Flächen von den Wänden und reißt die Wandbemalung mit sich in den Staub. Auch die Mikwe im Kellergeschoss des als Lehrlingswohnheim genutzten Nachbargebäudes verfällt.
An einem warmen Tag wird dieses gewohnte Bild positiv gestört. Die Türen der Synagoge und des angrenzenden Rabbinerhauses stehen offen. Mehrere Dutzend Menschen aller Altersgruppen laufen geschäftig hin und her. Einige reinigen den Hof vom wild wuchernden Bewuchs, andere schneiden Bäume zurück, sammeln Unrat ein, der achtlos von der Straße über den Zaun geworfen wurde, und füllen ihn in Container.
trubel In all dem Trubel steht Anda Reuben mit einem breiten Lächeln. Auf ihrem T-Shirt prangt ein Schofar, darunter in großen Buchstaben: »Just Jew It«. Die 35-Jährige koordiniert seit Anfang Mai das Projekt zur Wiederbelebung der Mediascher Synagoge. Ihrem Aufruf zu einem Freiwilligeneinsatz sind viele gefolgt. »Noch heute Morgen habe ich nicht im Traum daran gedacht, dass so viele Menschen kommen würden!«, freut sich die gebürtige Bukaresterin, die nach fünf Jahren aus Israel zurückgekehrt ist.
Früher, bevor sie Alija machte, hat sie sich in der Bukarester Gemeinde um die Jugendarbeit gekümmert. Die Entscheidung, wieder nach Rumänien zu kommen, sieht sie positiv: »Hier kann ich mehr für jüdisches Leben tun als in Israel«, sagt sie. »Es ist nicht fair, dass unser reiches Erbe in Rumänien einfach verfällt.« Ähnlich sieht es ihr Mann Yoraan (34). Er ist Fotograf, wuchs in Indien auf und lebte die letzten neun Jahre in Israel. »Rumänien erinnert mich sehr an Indien«, sagt er.
Mehr zufällig stieß eine Archivarin des New Yorker Leo-Baeck-Instituts 2008 auf die Mediascher Synagoge. Julie Dawson war damals als Freiwillige des Peace Corps in Rumänien und hatte sich bereits bei der Rettung der Synagoge im benachbarten Sighisoara (deutsch: Schäßburg) engagiert. In Mediasch fand sie auf der Frauengalerie Hunderte von Gebetbüchern, Registern und anderen Dokumenten aus der mehr als 100-jährigen Geschichte der örtlichen Gemeinde. »Wir haben es mit einem der wenigen Fälle zu tun, wo sich das gesamte Archiv einer Gemeinde noch vor Ort befindet«, erklärt Reuben die Bedeutung des Fundes.
Geschichte In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formte sich in dem von Siebenbürger Sachsen geprägten Mediasch durch Zuzüge aus den umliegenden Dörfern die jüdische Gemeinde. Mit ihrer offiziellen Gründung begann auch das Wirken von David Bäumel als erstem Rabbiner der Stadt. Der aus Böhmen stammende Bäumel heiratete die Tochter einer Familie, die bereits seit dem 18. Jahrhundert in Mediasch lebte. Um die Jahrhundertwende war die Gemeinde stark genug, um die prächtige Synagoge zu errichten.
Später kamen eine eigene Schule und die Mikwe als Anbau der Synagoge hinzu. Während der Schoa habe es in der Mediascher Gemeinde kaum Opfer gegeben, heißt es im frisch erstellten Infoblatt. Die 50er- und 60er-Jahre waren von massiver Auswanderung vor allem nach Israel bestimmt. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus Anfang der 90er-Jahre zählte die Gemeinde nur noch eine Handvoll Mitglieder.
Zukunft Anda Reubens Projekt, das von Sponsoren finanziert wird, die unerkannt bleiben möchten, umfasst die Digitalisierung des Archivs und die Erstellung einer Internet-Datenbank. Reuben würde gern einen Schritt weitergehen: »Wir haben natürlich das Ziel, die Synagoge zu restaurieren.« Dafür braucht es ihrer Meinung nach etwa eine halbe Million Euro – viel Geld in einer armen Region. »Die Mediascher Synagoge soll ein öffentlicher Ort werden, der über die jüdische Geschichte der Stadt und Siebenbürgens informiert«, sagt sie. Hin und wieder würden hier bereits Filme gezeigt, bald sollen auch Konzerte zum Programm gehören.
Reuben und ihre Freunde sind dabei, den Trägerverein »Interkulturelles Zentrum ›Fanny Bäumel‹« aufzubauen, der all diese Ziele verwirklichen helfen soll. Mit der Namensgeberin wollen die Aktiven dabei bewusst an die Tochter des ersten Mediascher Rabbiners erinnern, die Anfang des 20. Jahrhunderts eine Größe des örtlichen Kulturlebens war.
Am Abend, als die Freiwilligen sich verabschiedet haben, steht Anda Reuben im Hof der Synagoge. Licht fällt herein. »Sogar den Zaun haben sie gestrichen«, meint sie zufrieden. Etliche hätten ihr gesagt, sie wollten beim nächsten Arbeitseinsatz wieder mit dabei sein. Es könnte also wahr werden: ein mit Leben gefüllter Synagogenbau mitten in dieser kleinen rumänischen Stadt.