»Lüge ohne Strafe«, empört sich das polnische Magazin »Do Rzeczy« (Zur Sache). Auf der Titelseite scheint der polnisch-kanadische Historiker Jan Grabowski ein altes Schwarzweißfoto mit zwei polnischen Polizisten zu kommentieren. Sie salutieren. Vielleicht vor einem vorgesetzten SS-Mann. Aber das ist nicht zu sehen.
»Im Buch über die dunkelblaue Polizei wirft Grabowski den Polen schon wieder eine Mittäterschaft am Holocaust vor«, skandalisiert das Blatt die Forschungsergebnisse des Historikers. »Do Rzeczy« steht der nationalpopulistischen Regierung Polens nahe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Geschichte des Landes zum Ruhm der Nation umzuschreiben. 2018 trat sogar ein angeblich weltweit verpflichtendes Holocaust-Zensurgesetz in Kraft, das jede Erwähnung polnischer Nazi-Kollaboration unter Strafe stellte.
Grabowski wolle die Schuld, die die Deutschen mit dem Massenmord an den Juden auf sich geladen hätten, den Polen in die Schuhe schieben, wirft der Publizist Leszek Zebrowski dem an der Universität in Ottawa lehrenden Professor vor. In seinem Buch Na posterunku. Udzial polskiej policji granatowej i kryminalnej w Zagladzie Zydów (»Auf Posten. Die Mittäterschaft der polnischen Blauen Polizei und der Kriminalpolizei an der Schoa«) schildere Grabowski »den furchtbaren Konflikt zweier Völker: der polnischen Verbrecher und der jüdischen Opfer«, so Zebrowski.
Morde Grabowski schreibe, dass die dunkelblaue Polizei ein Schlüsselelement in der deutschen Mordstrategie an den europäischen Juden gewesen sei. Zudem hätten polnische Polizisten oft auf eigene Faust Juden ermordet, ohne die deutschen Vorgesetzten zu informieren. In der breit geführten Debatte fehle der Hinweis auf Hunderttausende Juden, die durch die dunkelblaue Polizei ums Leben gekommen seien.
Für Zebrowski ist das alles »Propaganda«. Grabowski beherrsche das Historikerhandwerk nicht und könne nicht einmal Statistiken richtig lesen. Dieser Vorwurf taucht nicht nur bei Zebrowski, sondern bei fast allen nationalpopulistischen Verteidigern des heroischen Geschichtsbildes Polens auf.
Mythos Der Mythos der »polnischen Helden und Opfer« soll um jeden Preis aufrechterhalten werden. Dazu ist Polens Regierungspartei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) sogar bereit, das ursprünglich international hoch angesehene Museum des Zweiten Weltkriegs in Gdansk (Danzig) einer »Korrektur« zu unterziehen, die die polnischen Opferzahlen auf die von den Kommunisten direkt nach dem Zweiten Weltkrieg willkürlich festgelegten »sechs Millionen« ansteigen lässt.
Außerdem werden neue Museen gegründet, die nur die Hälfte der Geschichte erzählen. Bei dem Museum der Familie Ulma beispielsweise erfahren die Besucher nicht, dass die achtköpfige Familie Ulma, die mehrere Juden auf ihrem Bauernhof versteckte, von einem »dunkelblauen Polizisten« an die deutsche Gendarmerie verraten wurde und zusammen mit den versteckten Juden im Kugelhagel der deutschen und polnischen Polizei ums Leben kam.
Grabowski schildert in seinem 400-seitigen Werk die Kollaboration von »ganz normalen Polen« beim Nazi-Völkermord an den europäischen Juden auf dem deutsch besetzten Territorium Polens. Während die Deutschen keinerlei Interesse an einer polnischen Kollaborationsregierung hatten, da das sogenannte Generalgouvernement nur ein Reservoir billiger Arbeitskräfte sein sollte, banden sie sehr schnell einen großen Teil der früheren Staatsbeamten Polens, darunter die polnische Polizei, in die Besatzungsstrukturen ein.
GHETTOS Rund 18.000 bewaffnete polnische Polizisten und eine etwa gleich hohe Anzahl deutscher Polizisten wurden der SS unterstellt. Gemeinsam bewachten sie die zahlreichen Ghettos, liquidierten sie in blutigen Aktionen und beteiligten sich später an der Jagd nach den Geflüchteten.
Ohne die Mittäterschaft der »blauen Polizei«, wie sie im Volksmund aufgrund ihrer Uniform genannt wurde, und auch der polnischen Kriminalpolizei, wäre der Mord an den Juden in diesem Ausmaß nicht möglich gewesen, so Grabowski.
Jan Grabowski: »Na posterunku. Udzial polskiej policji granatowej i kryminalnej w Zagladzie Zydów«. Czarne, Warschau 2020. 432 S., 11,27 €