Polen

Neue Debatte um Verstrickung

Historiker und Buchautor Jan Grabowski Foto: Adrian Grycuk / CC BY-SA 3.0 pl

»Lüge ohne Strafe«, empört sich das polnische Magazin »Do Rzeczy« (Zur Sache). Auf der Titelseite scheint der polnisch-kanadische Historiker Jan Grabowski ein altes Schwarzweißfoto mit zwei polnischen Polizisten zu kommentieren. Sie salutieren. Vielleicht vor einem vorgesetzten SS-Mann. Aber das ist nicht zu sehen.

»Im Buch über die dunkelblaue Polizei wirft Grabowski den Polen schon wieder eine Mittäterschaft am Holocaust vor«, skandalisiert das Blatt die Forschungsergebnisse des Historikers. »Do Rzeczy« steht der nationalpopulistischen Regierung Polens nahe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Geschichte des Landes zum Ruhm der Nation umzuschreiben. 2018 trat sogar ein angeblich weltweit verpflichtendes Holocaust-Zensurgesetz in Kraft, das jede Erwähnung polnischer Nazi-Kollaboration unter Strafe stellte.

Grabowski wolle die Schuld, die die Deutschen mit dem Massenmord an den Juden auf sich geladen hätten, den Polen in die Schuhe schieben, wirft der Publizist Leszek Zebrowski dem an der Universität in Ottawa lehrenden Professor vor. In seinem Buch Na posterunku. Udzial polskiej policji granatowej i kryminalnej w Zagladzie Zydów (»Auf Posten. Die Mittäterschaft der polnischen Blauen Polizei und der Kriminalpolizei an der Schoa«) schildere Grabowski »den furchtbaren Konflikt zweier Völker: der polnischen Verbrecher und der jüdischen Opfer«, so Zebrowski.

Morde Grabowski schreibe, dass die dunkelblaue Polizei ein Schlüsselelement in der deutschen Mordstrategie an den europäischen Juden gewesen sei. Zudem hätten polnische Polizisten oft auf eigene Faust Juden ermordet, ohne die deutschen Vorgesetzten zu informieren. In der breit geführten Debatte fehle der Hinweis auf Hunderttausende Juden, die durch die dunkelblaue Polizei ums Leben gekommen seien.

Für Zebrowski ist das alles »Propaganda«. Grabowski beherrsche das Historikerhandwerk nicht und könne nicht einmal Statistiken richtig lesen. Dieser Vorwurf taucht nicht nur bei Zebrowski, sondern bei fast allen nationalpopulistischen Verteidigern des heroischen Geschichtsbildes Polens auf.

Mythos Der Mythos der »polnischen Helden und Opfer« soll um jeden Preis aufrechterhalten werden. Dazu ist Polens Regierungspartei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) sogar bereit, das ursprünglich international hoch angesehene Museum des Zweiten Weltkriegs in Gdansk (Danzig) einer »Korrektur« zu unterziehen, die die polnischen Opferzahlen auf die von den Kommunisten direkt nach dem Zweiten Weltkrieg willkürlich festgelegten »sechs Millionen« ansteigen lässt.

Außerdem werden neue Museen gegründet, die nur die Hälfte der Geschichte erzählen. Bei dem Museum der Familie Ulma beispielsweise erfahren die Besucher nicht, dass die achtköpfige Familie Ulma, die mehrere Juden auf ihrem Bauernhof versteckte, von einem »dunkelblauen Polizisten« an die deutsche Gendarmerie verraten wurde und zusammen mit den versteckten Juden im Kugelhagel der deutschen und polnischen Polizei ums Leben kam.

Grabowski schildert in seinem 400-seitigen Werk die Kollaboration von »ganz normalen Polen« beim Nazi-Völkermord an den europäischen Juden auf dem deutsch besetzten Territorium Polens. Während die Deutschen keinerlei Interesse an einer polnischen Kollaborationsregierung hatten, da das sogenannte Generalgouvernement nur ein Reservoir billiger Arbeitskräfte sein sollte, banden sie sehr schnell einen großen Teil der früheren Staatsbeamten Polens, darunter die polnische Polizei, in die Besatzungsstrukturen ein.

GHETTOS Rund 18.000 bewaffnete polnische Polizisten und eine etwa gleich hohe Anzahl deutscher Polizisten wurden der SS unterstellt. Gemeinsam bewachten sie die zahlreichen Ghettos, liquidierten sie in blutigen Aktionen und beteiligten sich später an der Jagd nach den Geflüchteten.

Ohne die Mittäterschaft der »blauen Polizei«, wie sie im Volksmund aufgrund ihrer Uniform genannt wurde, und auch der polnischen Kriminalpolizei, wäre der Mord an den Juden in diesem Ausmaß nicht möglich gewesen, so Grabowski.

Jan Grabowski: »Na posterunku. Udzial polskiej policji granatowej i kryminalnej w Zagladzie Zydów«. Czarne, Warschau 2020. 432 S., 11,27 €

Gran Canaria

Israelische Flagge vor Basketballspiel verbrannt

Knapp zwei Monate nach dem Angriff auf israelische Fußballfans in Amsterdam, machen antiisraelische Aktivisten in Las Palmas Stimmung gegen ein anreisendes israelisches Basketballteam

 02.01.2025

Nachruf

Ein Leben für die Gymnastik

Ágnes Keleti widmete ihr Leben der Gymnastik. Den Zweiten Weltkrieg überlebte sie, indem sie sich als Christin ausgab

 02.01.2025

Niederlande

Niederlande öffnen Archiv über Nazi-Kollaboration der Öffentlichkeit

Hunderttausende Niederländer arbeiteten mit den Nazis zusammen. 80 Jahre nach Weltkriegsende soll Aufklärung möglich werden

 01.01.2025

Rumänien

Junge Demokratie auf dem Prüfstand

Rechtsextreme Kräfte stellen bereits ein Drittel der Parlamentsabgeordneten – die jüdische Gemeinschaft ist alarmiert

von György Polgár  01.01.2025

Syrien

Ein Neuanfang für Syriens Juden?

Die jüdische Gemeinschaft Syriens war eine der größten der Welt. Heute sind weniger als zehn Menschen übrig. Nach dem Sturz Assads wollen Menschen aus aller Welt beim Wiederaufbau einer der ältesten Synagogen helfen

von Bassem Mroue  01.01.2025

USA

Israelhass auf dem Social-Media-Kanal von Ford

Der Social-Media-Kanal des Autoherstellers Ford wurde offensichtlich kurzzeitig von Unbekannten gekapert. Die hinterließen antiisraelische Parolen

 31.12.2024

Syrien

Gouverneur von Damaskus: »Unser Problem ist nicht Israel«

Der von der HTS-Miliz eingesetzte Gouverneur von Damaskus sprach in einem Interview deutlich wohlwollend über den jüdischen Staat

 29.12.2024

Interview

»Es war ein hartes Jahr«

Yana Naftalieva über das Treffen der World Union of Jewish Students in Berlin, Antisemitismus an Universitäten und ihre Wünsche für 2025

von Joshua Schultheis  27.12.2024

Ukraine

Selenskyj: »Sieg des Lichts über die Dunkelheit«

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj entzündete zusammen mit Rabbinern die erste Chanukka-Kerze

 27.12.2024