In der Luzerner Altstadt ist es im Gegensatz zu früheren Jahren in diesen Tagen im Frühherbst ziemlich ruhig. Wie in anderen touristischen Hotspots sind auch in der Stadt am Vierwaldstättersee die Gäste aus Asien fast völlig ausgeblieben.
Trotzdem zeigt sich Meir Shitrit von der Jüdischen Gemeinde Luzern (JGL) in seinem Büro, das einige Minuten von der Altstadt entfernt liegt, zufrieden. Auf die Teilnahme auswärtiger Gäste an den Gottesdiensten angesprochen, meint er: »Wir hatten auch diesen Sommer in- und ausländische Gäste.«
minjan Natürlich seien es weniger gewesen als »in einem normalen Jahr«, aber es hätten sich praktisch jeden Schabbat auswärtige Gäste in der Synagoge eingefunden und damit geholfen, einen Minjan zustande zu bringen.
Dank der Touristen kam jeden Schabbat ein Minjan zustande.
Auf Gäste und Einheimische setzt man ebenfalls an den Sukkot-Tagen. Wie in jedem Jahr gibt es auch in diesem Jahr eine Gemeinde-Sukka. »Sie ist zum Glück ziemlich groß, es sollte genügend Platz vorhanden sein.
Außerdem bleiben die Fenster selbstverständlich geöffnet, soweit es das Wetter zulässt. Und falls es zu viele Leute sind, die hier ihre Mahlzeiten einnehmen möchten, wird eben in zwei Schichten gegessen«, so Shitrit. Er stammt aus Jerusalem und ist nach der Heirat mit einer Luzernerin hierhergekommen.
gäste Das Essen für die Sukkot-Gäste bereitet die Gemeinde vor. Da es in Luzern weder ein koscheres Restaurant noch einen Koscherladen gibt, kauft die Gemeinde die benötigten Lebensmittel in Zürich und friert sie ein. »Aus diesem Grund muss man rechtzeitig wissen, wie viele Gäste kommen«, sagt Shitrit, dessen Anwaltsbüro zugleich auch das offizielle Gemeindezentrum ist.
Bei der JGL hofft man allerdings inzwischen nicht nur auf Gäste an Sukkot und anderen Feiertagen, sondern man wünscht sich, dass die kleine Gemeinde wächst. Immerhin besteht sie aus 40 bis 50 Mitgliedern.
Die Geschichte der JGL ist typisch für etliche Schweizer Kleingemeinden. Doch das Besondere der Luzerner Gemeinde war, dass sie viel orthodoxer geführt wurde als andere. »Die Abwanderung setzte etwa in den 70er-Jahren ein«, erinnert sich der 87-jährige Hugo Benjamin. Er ist Ehrenpräsident der Gemeinde – und Schwiegervater von Meir Shitrit.
rabbinat Benjamin ist in der Innerschweiz aufgewachsen und hat hautnah erlebt, wie die Gemeinde, die nach dem Zweiten Weltkrieg rund 500 Mitglieder hatte, im Laufe der Jahre schrumpfte: Zuerst gab es keine Schule mehr, dann schloss auch der gemeindeeigene Kindergarten. Schon damals hatte die Gemeinde keinen Rabbiner. »Wenn wir halachische Fragen haben, wenden wir uns ans Rabbinat nach Zürich«, sagt Shitrit.
Nach Jahren des Mitgliederrückgangs setzt man in Luzern heute wieder Hoffnungen in ein gewisses Wachstum. Paradoxerweise tut man dies unter anderem auch mit einer Tatsache, die bisher stark zur Abwanderung beigetragen hat: die Nähe zu Zürich.
Die größte Schweizer Stadt ist mit der Bahn nur 40 Minuten von Luzern entfernt. Nicht zuletzt, weil die Wohnsituation in Zürich noch immer ziemlich angespannt und günstiger Wohnraum knapp ist, hofft man bei der JGL, dass potenzielle Gemeindemitglieder aus Zürich und vielleicht auch aus anderen deutschsprachigen Gemeinden zuziehen.
Meir Shitrit hört sich an wie der Sprecher in einem Werbespot für Luzern: »Die Lebensqualität hier ist sehr hoch, die Wohnungen sind viel günstiger als in Zürich und die Verkehrswege kurz.« Wegen Corona würden zudem viel mehr Angestellte von zu Hause aus arbeiten – ein zusätzliches Argument dafür, dass man nicht unbedingt am Arbeitsort wohnen müsse, glaubt Shitrit.
BETHAUS Und ein weiterer, ganz besonderer Punkt komme hinzu: In Luzern steht die vermutlich schönste Synagoge der Schweiz. 1912 erbaut, hat sie starke architektonische Wurzeln in Deutschland. Sie wurde nach dem Vorbild der Friedberg-Synagoge in Frankfurt am Main errichtet – doch im Gegensatz zu ihrem Vorbild im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört.
In Luzern steht die vermutlich schönste Synagoge der Schweiz.
Das heutige Schmuckstück habe sich allerdings in einem sehr schlechten Zustand befunden, als er damals nach Luzern kam, erinnert sich Meir Shitrit. »Es gab nicht einmal genügend Licht, um zu beten.« Zum Teil auf eigene Rechnung ließ der Anwalt die Synagoge, die über rund 200 Plätze verfügt, renovieren. Wer sie sich anschaut, wird merken: Der Aufwand hat sich gelohnt.
Nun zeigt sie sich wieder von einer sehr schönen Seite. In Luzern hofft man, dass bald auch die Talmudschüler der kleinen hiesigen Jeschiwa wieder zum Beten anreisen und so das Gemeindeleben verstärken.