Das Kürzel HIAS ist nur wenigen ein Begriff, obwohl es sich bei der Hebrew Immigrant Aid Society um eine der ältesten jüdischen Organisationen überhaupt handelt. »Wir wollen, dass die jüdische Gemeinschaft in Europa mehr über unsere Arbeit erfährt. Denn was HIAS im humanitären Bereich leistet, nämlich Menschen zu helfen, ein neues Leben aufzubauen, kann auch zum Abbau von Vorurteilen gegenüber Juden beitragen«, sagt Melanie Nezer.
Die Leiterin der HIAS-Public-Affairs-Abteilung gibt ein Beispiel aus dem Sudan: Eine Mutter in der Krisenregion Darfur habe vor einigen Jahren ihrem Neugeborenen den Namen Hias gegeben – aus Dankbarkeit für die Unterstützung, die sie erfahren habe.
Europabüro Vor einigen Wochen hat Nezer in Brüssel das neue HIAS-Europabüro eröffnet. Auf dem alten Kontinent ist ihre Organisation zwar schon seit Jahren präsent, unter anderem in der Arbeit mit Flüchtlingen auf der griechischen Insel Lesbos, aber nur wenig bekannt. Das will man künftig ändern.
Gegründet wurde HIAS 1881 in New York. Ziel war es, den zahlreichen jüdischen Flüchtlingen aus Osteuropa und dem russischen Zarenreich bei ihrer Ankunft in Amerika zu helfen.
Wohl die allermeisten Juden, die im 20. Jahrhundert über Ellis Island und andere Häfen als anerkannte Flüchtlinge im Land der unbegrenzten Möglichkeiten landeten, kamen irgendwann mit HIAS in Kontakt.
Wohl die allermeisten Juden, die im 20. Jahrhundert über Ellis Island und andere Häfen als anerkannte Flüchtlinge im Land der unbegrenzten Möglichkeiten landeten, kamen irgendwann mit HIAS in Kontakt – viele, ohne es zu merken.
Das Hilfswerk gibt Essen aus, sorgt dafür, dass Neuankömmlinge eine Wohnung, eine Gastfamilie und einen Job finden, und es hilft ihnen in den ersten Monaten nach der Ankunft, sich im fremden Land zurechtzufinden. Neben acht weiteren, christlichen, Verbänden ist HIAS die einzige jüdische NGO, die als offizieller Partner des State Department bei der Integration von Flüchtlingen im Rahmen des »Refugee Resettlement«-Programms mitarbeitet.
»Wir sind wahrscheinlich das älteste Hilfswerk für Flüchtlinge und Migranten, das es heute weltweit gibt«, sagt Nezer, der am HIAS-Sitz in Washington immerhin 40 Mitarbeiter zuarbeiten.
Sowjetunion Nachdem HIAS nach der Schoa mithalf, die Einwanderung europäischer Juden und später die von rund 400.000 Juden aus der Sowjetunion zu stemmen, stellte sich Ende der 90er-Jahre die Frage nach dem Fortbestand der Organisation, denn die Zahl jüdischer Migranten, die in die USA kamen, war stark zurückgegangen.
»Wir standen vor einer Weichenstellung: Sollten wir aufhören oder weitermachen? Doch wir fanden, dass uns unsere jüdischen Werte verpflichten, Fremden zu helfen. Und wir hatten eine große Expertise auf diesem Gebiet«, erzählt Nezer.
Derzeit hat HIAS mehr als 600 Angestellte weltweit – und die Organisation wächst.
Und so entwickelte sich seit 1998 aus einem Hilfswerk, das sich auf jüdische Flüchtlinge in den USA konzentriert hatte, nach und nach eine weltweit aktive Organisation, die in erster Linie nichtjüdische Flüchtlinge und Migranten unterstützt.
Lateinamerika Derzeit hat HIAS mehr als 600 Angestellte weltweit – und die Organisation wächst. Hauptschwerpunkt der Arbeit ist Lateinamerika. »Wir sind dort die größte Flüchtlingshilfsorganisation«, sagt Nezer.
In Venezuela kümmerte man sich vor 20 Jahren um Menschen aus dem Nachbarland Kolumbien, die vor den bürgerkriegs-ähnlichen Zuständen im Land flohen. Heute gibt es Wanderungsbewegungen in die entgegengesetzte Richtung, und HIAS hilft. Auch in Kenia und auf der griechischen Insel Lesbos führt die Organisation Projekte für Flüchtlinge durch.
Der neue Verbindungsmann in Brüssel ist der Niederländer Ilan Cohn. »Unser Ziel ist es, zunächst einmal den Kontakt mit den jüdischen Gemeinden in Europa sowie mit den EU-Institutionen aufzubauen – vor allem dort, wo es um Projekte zugunsten Geflüchteter geht«, sagt Cohn. Ziel sei es, nach dem Vorbild der kirchlichen Hilfsorganisationen auch einen humanitären Arm der jüdischen Gemeinschaft zu etablieren und so die Gemeinden in Europa in die internationale Flüchtlingsarbeit zu involvieren, so Cohn.