Der Riss ist sichtbar wie kaum je zuvor – und er wird mehr und mehr zu einem Graben: einem Graben zwischen den amerikanischen Juden, der zweitgrößten jüdischen Gemeinschaft der Welt, und Israels Regierung. Es geht um die – inzwischen auf Eis gelegte – Rücknahme des Regierungsversprechens, die Klagemauer für alle jüdischen Strömungen zu öffnen.
Außerdem geht es um einen Gesetzentwurf, der künftig Israels orthodoxem Oberrabbinat das Monopol in Sachen Konversion zubilligt – eine Entscheidung, die das Leben Hunderttausender Auswanderungswilliger, vor allem aus Russland, entscheidend beeinflussen könnte und die der Mehrheit der amerikanischen Juden, die sich dem liberalen Judentum zugehörig fühlen, zuwiderläuft.
Empörung Zwar ließ Premier Benjamin Netanjahu nach dem Aufschrei der Empörung das Gesetz und die Entscheidung über die Öffnung der Kotel für alle inzwischen für ein halbes Jahr auf Eis legen. Doch die politische Volte verfängt diesmal nicht. Der zunehmende Einfluss charedischer Gruppen in Israel stößt auch in den USA zunehmend auf Widerstand. So erklärte der in Florida lebende Immobilienmagnat Isaac Fisher, der als Philanthrop etliche Projekte in Israel finanziert, dass er seine Förderung einstellen wird.
Der israelischen Zeitung Yedioth Ahronoth sagte Fisher: »Genug ist genug. Es geht hier nicht um Reformjudentum oder konservative Auslegungen. Dies ist eine schwerwiegende Missachtung unserer Rabbiner und unserer Gemeinden. Sie (die Charedim und Netanjahu, Anm. d. Red.) geben uns zu verstehen, dass wir ihnen egal sind. Sie sagen unseren Frauen: ›Euer Judentum ist kein Judentum.‹ Das ist schlicht nicht zu tolerieren, und es ist unsere Pflicht, dem ein Ende zu setzen.«
AIPAC Fisher will sowohl sein Engagement bei der proisraelischen Organisation AIPAC als auch seine Arbeit als einer der erfolgreichsten Spendensammler für Israel einstellen. Zudem schrieb er dem stellvertretenden Minister und Knesset-Mitglied Michael Oren (Kulanu) einen Brief: »Wie Sie wissen, bin ich ein aktiver Unterstützer Israels. Aber ich möchte Sie hiermit darüber informieren, dass ich meine Unterstützung so lange ruhen lassen werde, bis die israelische Regierung ihre Entscheidung in Bezug auf die Kotel und die Konversionen revidiert. Israels Regierung muss endlich begreifen, dass sie das gesamte israelische Volk zu vertreten hat.« Zusätzlich forderte Fisher eine Million Dollar zurück, die er vergangene Woche in Israel investiert hat.
Fishers Entscheidung hat auch eine sicherheitspolitische Relevanz. So beeilte sich Oren, der von 2009 bis 2013 Israels Botschafter in Washington war und aus einer New Yorker jüdischen Familie stammt, zu versichern, dass die ganze Angelegenheit eine ernsthafte Bedrohung Israels, seiner Wirtschaft und seiner Sicherheit darstelle.
Auch Orens Vorgänger Sallai Meridor stößt ins gleiche Horn. »Herr Ministerpräsident, Sie sollten wissen, dass der Zusammenhalt des jüdischen Volkes wichtiger ist als der einer Koalition«, sagte der Ex-Botschafter mit Blick auf Netanjahus Versuche, sein Bündnis mit den Ultraorthodoxen zu sichern.
BDS Die wichtigste Vertretung der liberalen amerikanischen Juden ist die Union for Reform Judaism. Ihr Präsident, Rabbiner Rick Jacobs, fand in einem Interview ebenfalls deutliche Worte. »Dieser Kuhhandel«, so zitiert ihn die New York Times im Hinblick auf Netanjahus Kuschelkurs mit den Charedim, »schädigt das Wohlergehen, die Einheit und Vielfalt des jüdischen Volkes.« Es gehe »um all die, die an unseren Universitäten und im Parlament gegen Israels Delegitimierung kämpfen. Man kann nicht einfach die Mehrheit der amerikanischen Juden verächtlich machen, um dann zu sagen: Könnt ihr uns in Sachen BDS helfen?«
Für Rabbi Jacobs steht Netanjahu am Scheideweg. Man könne nicht »das Grundrecht der gesamten Judenheit für ein Linsengericht verschachern«. Die Charedim jedoch scheint derlei nicht anzufechten. »Das Reformjudentum«, hieß es prompt auf einer ihrer Agitationsseiten, sei »eine Religion – eine wie das Christentum oder der Islam«.