Die Ukraine ist ein Land, das ganz besonders auf eine gute Exit-Strategie aus der Corona-Krise angewiesen ist. Denn in Kiew und Umgebung trifft das schwache Gesundheitssystem, das nur rund 3000 Intensivpatienten gleichzeitig behandeln kann, auf eine ebenso schwache Wirtschaft.
Weil die Quarantäne bereits seit dem 17. März andauert, hat verschiedenen Umfragen zufolge rund die Hälfte der Ukrainer bereits einen Großteil ihrer Ersparnisse aufgebraucht. Umso mehr wird deshalb jetzt über einen möglichen Ausstiegsplan diskutiert, der beide Aspekte im Blick hat.
Seit dem 1. Mai sind die Wochenmärkte wieder geöffnet, und für den 11. Mai sind weitere Lockerungen vor allem für den Einzelhandel angekündigt. In der darauffolgenden zweiten Stufe der Lockerungen sollen dann Schulen und Kindergärten ihren Betrieb wiederaufnehmen. Das würde auch die jüdischen Schulen betreffen. In der jüdischen Gemeinde will man die weiteren Schritte der Regierung jedoch erst einmal abwarten.
LOCKERUNGEN Ob es tatsächlich am 11. Mai in allen Regionen zu Lockerungen kommt, ist noch nicht sicher. Die Regierung hat angedeutet, für die stärker betroffenen Bezirke wie Czernowitz und die Hauptstadt Kiew strengere Maßnahmen anzuordnen.
»Unsere Synagogen und Organisationen sind geschlossen, die Arbeit wird, wie überall, von zu Hause erledigt«, berichtet der Kiewer Ihor Lewenschtejn, ein aktives Mitglied der Gemeinde. »Speziell jüdische Erwartungen« in Bezug auf mögliche Lockerungen gebe es nicht, sagt er − »abgesehen davon, dass etliche gern wieder nach Israel reisen wollen und deshalb auf die Öffnung der Grenzen warten«.
MUNDSCHUTZMASKEN Einige Gemeinden bereiteten sich inzwischen mit dem Kauf von Mundschutzmasken und Desinfektionsmittel auf das Leben nach der Quarantäne vor, sagt Lewenschtejn. Es sei ein gutes Gefühl, endlich ein wenig Licht am Ende des Tunnels zu sehen.
Zum ersten Mal in der Geschichte der unabhängigen Ukraine habe man Pessach ausschließlich zu Hause gefeiert, erzählt er. Doch sei es den Gemeinden trotz des Coronavirus gelungen, alle mit Mazze zu versorgen.
Und auch während des Lockdowns geht die Versorgung mit koscheren Lebensmitteln weiter. Das übernehmen die Synagogen und Gemeinden mit ihren kleinen Geschäften nebenan, denn der Lebensmittelverkauf ist in der Ukraine grundsätzlich nicht eingeschränkt.
MAHLZEITEN Die Küche so mancher Synagoge in Kiew wird inzwischen dafür genutzt, um warme Mahlzeiten für ältere Gemeindemitglieder zu kochen, die zur Risikogruppe gehören. Diese Notfallversorgung, um die sich der ukrainische Oberrabbiner Moshe Azman kümmert, lief bereits Mitte März an.
»Diese Hilfe muss nicht nur fortgesetzt, sondern ausgeweitet werden«, heißt es in der Gemeinde. So ist zu beobachten, dass sich die materielle Lage vieler Mitglieder stark verschlechtert hat. Außerdem rufen Ärzte aus der Gemeinde ständig bei älteren und kranken Mitgliedern an, um sich zu erkundigen, ob sie Beschwerden haben.
Ein weiteres wichtiges Projekt läuft in Anatevka, einem kleinen Ort bei Kiew. Die Gemeinde ließ ihn 2015 für die Kriegsflüchtlinge aus dem Donbass errichten und nannte ihn nach dem berühmten Musical.
»Wir haben für Freiwillige in Anatevka Nähmaschinen gekauft und angefangen, hochwertige Schutzkleidung herzustellen«, berichtet Azman. Schon mehrmals habe die Alexandrow-Klinik in Kiew, die als wichtigste Einrichtung des Landes bei der Aufnahme von Corona-Patienten gilt, Schutzkleidung von der Gemeinde erhalten. Dies soll auch in den nächsten Wochen weitergehen.