Daniel Lorer ist einer von 2000 bis 6000 Juden in Bulgarien. Und er ist der einzige jüdische Abgeordnete im 240 Mitglieder umfassenden bulgarischen Parlament, der Nationalversammlung.
Vorvergangene Woche wurde kurzer Prozess mit ihm gemacht: Lorer, einer der Mitbegründer der Bewegung »Prodalschawame promjanata« (PP), zu Deutsch »Wir setzen den Wandel fort«, wurde aus seiner Partei ausgeschlossen. Der Grund: Er und ein weiterer Abgeordneter hatten sich geweigert, der Linie der Parteiführung zu folgen und den Kandidaten einer rechten Partei für das Amt des Parlamentspräsidenten zu wählen. Die erforderliche Mehrheit kam ihretwegen nicht zustande.
Lorer, der vor seiner politischen Karriere als IT-Unternehmer reüssierte und später einen Risikokapitalfonds für Startups im Technologie-Sektor gründete, war strikt gegen eine Zusammenarbeit mit russlandfreundlichen rechten Kräften. Einige Monate lang, von Dezember 2021 bis August 2022, saß der heute 47-Jährige als Minister für Innovation in der von seinem Parteichef Kiril Petkov geführten Regierung. Noch im vergangenen Jahr wurde er als bulgarischer EU-Kommissar vorgeschlagen, doch am Ende bekam eine Frau den Posten in Brüssel.
Nun setzte die PP-Führung um Petkov und den Co-Vorsitzenden Assen Vassilev, den Mitgründer der Bewegung, kurzentschlossen vor die Tür. Die Nachricht vom Parteiausschluss wurde per Facebook-Post verkündet.
Daniel Lorer ist über den Umgang seiner bisherigen Mitstreiter mit ihm entsetzt. Doch er war vorgewarnt. Die erst 2021 gegründete Partei ist seit jeher auf die beiden Parteichefs zugeschnitten. Und die sehen sich zuerst und zuvörderst als disruptive Kraft. Die übrigen Mitglieder und Funktionäre wenig Mitspracherechte.
Dennoch stand die liberale Bewegung inhaltlich immer für die Westbindung und die Verankerung Bulgariens in EU und NATO. Sie ergriff auch Partei für die von Russland überfallene Ukraine. Dass sie nun die Zusammenarbeit ausgerechnet mit rechtsextremen Kräften anstrebt, kam nicht nur für Lorer überraschend.
Sieben Parlamentswahlen in dreieinhalb Jahren
Bulgarien steckt seit Jahren in einer tiefen politischen Krise. Siebenmal bereits wurden die Bürger des 6,5 Millionen Einwohner zählenden Landes seit April 2021 an die Urnen gerufen. Eine stabile Regierungsmehrheit ist bislang nicht zustande gekommen.
Zuletzt wurde im Oktober das Parlament neu gewählt. Stärkste Partei wurde die GERB-Partei des ehemaligen Premiers Bojko Borissov mit 26,4 Prozent der Stimmen, gefolgt von der Partei DPS des umstrittenen Medienmoguls Deljan Peevski, der auf der US-Sanktionsliste steht, mit 17,1 Prozent, der PP mit 14,3 Prozent und der ultrarechten anti-westlichen Bewegung »Wiedergeburt« von Kostadin Kostadinov mit 13,8 Prozent.
Dass sich in der acht Fraktionen umfassenden Nationalversammlung noch eine Koalition mit absoluter Mehrheit findet, ist unwahrscheinlich. Falls erneut keine Regierung gebildet wird, kann der Staatspräsident den Parlamentspräsidenten übergangsweise zum geschäftsführenden Ministerpräsidenten bestimmen. Auch deswegen wollte Daniel Lorer dem auch von der rechten »Wiedergeburt« unterstützten Alterspräsidenten des Parlaments, Silvi Kirilov, nicht mitwählen. Kirilov war zwar von einer etwas gemäßigteren Partei als Kostadinov. Eine von einem Rechtskonservativen geführte und von Rechtsextremisten stillschweigend unterstützte Administration könne er aber nicht mittragen, sagte Lorer dieser Zeitung.
Seit einiger Zeit schon beobachte er, wie die PP-Führung mit der Kostadinov-Partei gemeinsame Sache mache. »Wiedergeburt« ist seiner Ansicht nach aber nicht nur eine politische Mitbewerberin, sondern eine faschistoide Bewegung, die unter anderem den Antisemitismus im Land befördere. »Die sind auch große Fürsprecher für die Palästinenser und die Hamas und protestieren lautstark gegen angebliche Gräueltaten Israels in Gaza«, sagt Lorer.
Auch gegen anderen Minderheiten hetzen Kostadinov und dessen Parteifreunde immer mal wieder. Die Roma nannte er 2023 »Parasiten«. Sie seien »Ungeziefer« und hätten in Bulgarien keinen Platz. Ebenfalls im vergangenen Jahr stürmten Mitglieder von Kostadinovs Partei ein Kino in Plovdiv, um gegen die Vorführung des Films »Close« zu protestieren, in dem es um Homosexualität geht.
Zuletzt kommentierte der Parteiführer die Nachricht, dass die Präsidentenwahl in Rumänien wegen offenkundiger Manipulation von Seiten Russlands wiederholt werden muss, auf seinem YouTube-Kanal mit der Bemerkung: »Es ist offensichtlich geworden, dass wir Bulgaren uns nicht mit friedlichen Mitteln vom amerikanischen Joch befreien können.«
Rüge gegen Rechtsextremisten
Welche Folgen diese Form der Stimmungsmache hat, erfuhr auch Daniel Lorer schon am eigenen Leib. »Mir wurde vorgeworfen, ich sei gar kein richtiger Bulgare. Es wurde gesagt, ich sei menschenfeindlich. Solche Sachen. Offen wegen meines Judentums beschimpft wurde ich nicht; so schlau sind diese Leute dann doch.« Dennoch rügte die bulgarische Antidiskriminierungsstelle im Oktober einstimmig, dass auf Kostadin Kostadinows Facebook-Seite zum Hass gegen Lorer wegen dessen Religionszugehörigkeit aufgerufen worden sei. Doch der Chef von »Wiedergeburt« weigert sich hartnäckig, die inkriminierten Posts zu löschen. Die seien Teil der legitimen politischen Auseinandersetzung, findet Kostadinov.
Es blieb auch nicht bei Angriffen in den sozialen Netzwerken. Lorer berichtet, wie er vor kurzem in einem Café in der Nähe des Parlaments in der Hauptstadt Sofia von Demonstranten angegangen und beleidigt wurde. »Es ist schon ein komisches Gefühl, das ich als jüdisches Parlamentsmitglied habe, wenn ich solchen Leuten begegne. Es geht mir jedes Mal unter die Haut, wenn sie ihre Propaganda erst hoch- und dann wieder runterfahren. Wenn ich auf der Straße unterwegs bin, bekomme ich aggressive Bemerkungen. Man kann die Auswirkungen, die das auf das Denken der Menschen hat, schon jetzt studieren«, so Lorer.
Der Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses, der Österreicher Ariel Muzicant, lobte Lorer für seine Standhaftigkeit. Muzicant nannte es alarmierend, »dass eine Gruppe, die von einer Person angeführt wird, die wegen der Veröffentlichung antisemitischer Inhalte in den sozialen Medien sanktioniert wurde und in der Vergangenheit Nazi-Persönlichkeiten verherrlicht und bulgarische Juden schikaniert hat, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union sogar als potenzieller Regierungspartner in Betracht gezogen wird.«
In der Parlamentsfraktion will Lorer vorerst Mitglied bleiben. Die Demokratische Partei Bulgariens (DB), die mit der PP eine Fraktionsgemeinschaft hat, hat sich strikt gegen seinen Ausschluss gestellt. »Die haben konsequent die Position verteidigt, nicht für Kirilov zu stimmen, weil sie wussten, was es bedeutet hätte, der ›Wiedergeburt‹ Zugang zur Macht zu verschaffen.« Das Gefährlichste für Bulgarien sei eine Machtbeteiligung der Kostadinov-Partei. Er werde auch weiter dagegen ankämpfen, betont Lorer.
Einen ersten Erfolg konnten er und seine Mitstreiter letzte Woche verbuchen: Zur Parlamentspräsidentin wurde – gegen den Willen der extremen Rechten – die Sozialistin Natalija Kisselova gewählt.