Es ist erst ein paar Wochen her, da löste im beschaulichen Großherzogtum ein Zeitungsbeitrag ein mittleres Erdbeben aus. Das luxemburgische »Tageblatt« druckte einen Artikel darüber, »wie Luxemburger Soldaten in Osteuropa zu Teilnehmern am Judenmord wurden«.
Initiiert wurde die Debatte von dem Journalisten Mil Lorang, der auch Mitglied im Vorstand der Vereinigung »MemoShoah Luxembourg« ist. Lorang beschreibt, wie Luxemburger bei den von der deutschen Polizei zynisch »Aktion Erntefest« genannten Erschießungen mitwirkten. Dabei wurden am 3. und 4. November 1943 in Lublin, Trawniki und Poniatowa mehr als 42.000 Juden ermordet. Es war die größte Massenerschießungs-Einzelaktion während des Holocaust.
Massaker Einer der Luxemburger Beteiligten, Jean Heinen, beschrieb das Massaker von Poniatowa, wo mindestens 15.000 Juden erschossen wurden, 53 Jahre nach den Ereignissen in einem Interview: »Und am zweiten Tag ... haben wir das Lager abgesperrt. Und da war vor dem Lager ein großer, breiter, tiefer und langer Graben ausgehoben. Da kamen nackte Männer und Frauen herausgelaufen – die Frauen kamen gelaufen und hielten ihre Brüste mit Händen bedeckt, weil sie noch einen Ehrbegriff besaßen, auch wenn sie nur noch eine Minute zu leben hatten.« Dann wurde von Polizisten geschossen, stundenlang.
Wie kam es dazu, dass Luxemburger Teil dieses Polizeibataillons waren? Im Mai 1940 marschiert die Wehrmacht in Luxemburg ein. Wegen seines Neutralitätsstatus verfügt das Großherzogtum nicht über eine eigene Armee, sondern nur über eine sogenannte Freiwilligenkompanie. Diese wird wenig später von der deutschen Schutzpolizei übernommen, und man rekrutiert zusätzliches Personal: 51 Luxemburger verpflichten sich freiwillig und werden ebenso freiwillig Mitglied in der luxemburgischen Nazi-Organisation »Volksdeutsche Bewegung«.
Waffen-SS Die gesamte Kompanie reist kurz darauf zu einer mehrmonatigen »Schulung« nach Weimar. Von dort kommen einige Luxemburger schließlich nicht mehr zurück, da sie in die Waffen-SS genötigt wurden und am Russlandfeldzug teilnehmen. Andere mussten nach Jugoslawien, manche meuterten, einige von ihnen kamen in Konzentrationslager. Mil Lorang schreibt: »Eine im Jahre 1881 geschaffene luxemburgische Institution war von den Deutschen de facto aufgelöst und für andere Zwecke vereinnahmt worden.«
Die Wege der Luxemburger trennen sich. 15 (einer war erkrankt) landen in der 1. Kompanie des Reserve-Polizeibataillons 101 (RPB 101) in Hamburg. Von dort geht es für 14 Luxemburger nach Polen in den Einsatz gegen die Partisanen.
Heinen sagt, man habe ständig gegen Partisanen und an der Front gekämpft und sei schließlich aufgerieben worden. »Diese Aussagen Heinens sind falsch«, legt nun Lorang dar. Das Bataillon nahm aktiv an der Ermordung von Juden teil. »Der Begriff ›Partisanenbekämpfung‹, den die Luxemburger, die sich über diese Zeit äußerten, ständig im Mund führten, wurde von der deutschen Polizei und der Wehrmacht oft als Tarnbegriff benutzt für Vernichtungsaktionen gegen Juden.«
Verstrickung Nachdem er alte Unterlagen gesichtet hatte, erklärte der Historiker Paul Dostert schon vor einigen Jahren, dass auch Luxemburger in den Massenmord an Juden verstrickt waren. »Mehr als 50 Jahre lang haben diese (Mit-)Täter geschwiegen und verschwiegen damit, was sie gesehen hatten und woran sie beteiligt waren.«
Lorang meint: »Die Luxemburger im RPB 101 haben sich weder gegen die Eingliederung in die deutsche Polizei gewehrt, noch haben sie den Eid auf Hitler abgelehnt oder in irgendeiner Weise Widerstand geleistet.«
Während der intensiven Phase der Judenmassaker und Deportationen habe sich »keiner von ihnen von solchen mörderischen Aktionen freistellen lassen, noch nachweislich versucht, Juden zu retten, oder den Versuch unternommen, zu desertieren«, so Lorang. »Angetrieben vom Motiv, kein Risiko einzugehen, scheinen die 14 Luxemburger alles mitgemacht und jeden Befehl ausgeführt zu haben. Und mit Ausnahme von Heinen verschwiegen alle bis zu ihrem Lebensende die Mordeinsätze gegen Juden.«
Von den 14 Luxemburgern sind fünf in deutscher Uniform gefallen. Man verlieh ihnen den Ehrentitel »Mort pour la patrie« (Tod fürs Vaterland). »In Luxemburg hat sich niemand für die möglichen Verbrechen dieser Männer interessiert«, schreibt Lorang. Der Abgeordnete Franz Fayot von der Sozialistischen Partei forderte kürzlich in einer Parlamentarischen Anfrage an die Regierung, all dies nun endlich zu erforschen. Fayot will, dass entsprechende Forschungsvorhaben initiiert und finanziert werden.