Dienstag, 17. Mai. René Hadjadj, genannt Tonton (Onkelchen) René, ein 89-jähriger Jude aus Lyon, wird tot vor seinem Wohngebäude aufgefunden.
Schnell keimt die Vermutung auf, dass er nach einem Streit aus dem Fenster gestürzt wurde. Rachid Kheniche, ein Nachbar des Toten, gilt als verdächtig und wird in Untersuchungshaft gesteckt. Ein entsetzlicher Fall, der Erinnerungen weckt an den Tod Sarah Halimis im Jahr 2017. Der Vergleich aber endet bei der Todesursache und dem Fakt, dass die Opfer Juden, der Täter und der Tatverdächtige Muslime waren.
STAATSANWALT Die Befürchtungen, dass der vermeintliche Täter als schuldunfähig erklärt werden könnte, scheinen sich als unberechtigt zu erweisen. Die Organe der Rechtspflege zeigen sich in weit höherem Maße sensibilisiert für mögliche antisemitische Motive als in den vergangenen Jahren.
So tat der zuständige Staatsanwalt Nicolas Jacquet kund, dass keine Untersuchungshypothese ausgeschlossen werde. Recherchen in den sozialen Medien gaben Anlass, die Tatumstände hinsichtlich der Zugehörigkeit des Opfers zu einer bestimmten Ethnie, Nation, Rasse oder Religion zu untersuchen.
Kurzum: Antisemitismus als Tatmotiv. In diesem Fall greifen verschiedene Gesetze: Beleidigung und Diffamierung mit antisemitischer Konnotation, Provokation zum Rassenhass, wozu auch Antisemitismus gerechnet wird, und Holocaust-Leugnung.
Nebenkläger Das Bureau national de vigilance contre l’antisémitisme (BNVCA), ein Verein, der Antisemitismus kritisch beäugt und bekämpft, beabsichtigt, als Nebenkläger aufzutreten. Sammy Ghozlan, Präsident des Vereins, bezeichnet aufgrund von Recherchen den mutmaßlichen Täter als »notorischen und gewaltbereiten Antisemiten«.
Die Anzeichen verdichten sich, dass es sich um eine Straftat mit antisemitischem Hintergrund handelt.
In der Tat lohnt es sich, Kheniches Twitter-Profil zu durchforsten. Ein bizarres Amalgam stellen die Tweets des in Frankreich geborenen Vorbestraften mit algerischen Wurzeln dar. Hervor sticht vor allem seine Obsession für die Verschwörungstheorien des Schriftstellers Jacob Cohen, der sich als militanten Antizionisten bezeichnet, die französische Gesellschaft von Mossad-Kollaborateuren unterwandert sieht und sich im Umfeld des bekannten Rechtsradikalen Alain Soral, des Rassisten und Antisemiten Hervé Ryssen und des die Schoa leugnenden Komikers Dieudonné bewegt.
herkunft Auch William Goldnadel, Anwalt und Kolumnist auf CNews, stützt die antisemitische These. Kheniche habe ihn 2020 »in islamistischer Manier« an seine Herkunft erinnert.
Die Anzeichen verdichten sich, dass es sich um eine Straftat mit antisemitischem Hintergrund handelt. Abgesehen von der persönlichen Tragik des Falls sehen Beobachter darin einen Lackmustest für die französische Gesellschaft. Man sieht es als ein gutes Zeichen, dass den sogenannten Eingebungen des Täters dieses Mal weniger Gehör geschenkt wird als den deutlichen antisemitischen Verlautbarungen.