Madrid hat den Rückwärtsgang eingelegt. Nach knapp 100 Tagen relativer Lockerungen ist die spanische Hauptstadt wieder weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten. Erst Ende Juni waren die strikten Corona-Beschränkungen aufgehoben worden.
In den vergangenen Wochen aber schossen die Infektionszahlen erneut in die Höhe. Zuletzt wurden pro Woche wieder mehr als 16.000 Neuinfektionen registriert. Die Lage erinnert immer stärker an die dramatische Situation im Frühjahr.
Die Regierung verschärfte deshalb in diesen Tagen erneut die Maßnahmen. Seit Anfang Oktober dürfen die rund fünf Millionen Einwohner die Hauptstadtregion nur verlassen, wenn sie triftige Gründe vorweisen können. Nur wer zur Arbeit, zur Universität, zum Arzt oder einem unaufschiebbaren Termin unterwegs ist, darf sein Viertel verlassen. Geschäfte müssen um 22 Uhr schließen, Bars und Restaurants eine Stunde später.
RESTRIKTIONEN »Die Situation in Madrid ist kompliziert. Es gibt jetzt neue Restriktionen«, sagt Claudio Meirovich, Vizepräsident von Bet-El, einer Masorti-Gemeinde mit Sitz in Madrid. »Die Regierung und die Madrider Regionalregierung streiten darüber, wer recht hat.«
Wochenlang hatte sich die konservative Madrider Regionalregierung gegen Forderungen von Epidemiologen und des spanischen Gesundheitsministeriums gewehrt, schneller und härter durchzugreifen. Dabei geht es um Kompetenzgerangel, wer für das Gesundheitswesen zuständig ist.
In den Gemeinden sind die Infektions- und Sterberaten niedrig.
»Ich sehe nicht, dass die Regierung eine adäquate Antwort hat«, kritisiert Meirovich die Corona-Politik der politisch Verantwortlichen. Er vermisst eine klare Kommunikation der Entscheidungen.
Der 46-jährige Familienvater, dessen drei Kinder alle in der Gemeinde aktiv sind, arbeitet selbst im Gesundheitssektor, im Bereich Medizintechnik.
»Es gibt Restriktionen für die jüdische Gemeinde, aber es sind Beschränkungen, die für alle Religionsgemeinschaften gelten«, sagt er. So wurde die Teilnehmerzahl für Gottesdienste und Trauerfeiern begrenzt.
»Wir können unsere Veranstaltungen nur mit einem Drittel der Teilnehmer durchführen, worunter das Gemeindeleben natürlich immens leidet.« Künftig sind sogar noch weniger Menschen zugelassen.
Man unterliege den Gesundheitsempfehlungen der Regierung, sei aber sogar noch vorsichtiger, sagt Isaac Benzaquén, Präsident der Federación de Comunidades Judías de España (FCJE), des Dachverbandes der jüdischen Gemeinden Spaniens. »In den Synagogen ist die Kapazität begrenzt, es gibt Hygienemaßnahmen, ältere Menschen und Kinder werden gebeten, nicht am Gottesdienst teilzunehmen. Und wir vermeiden den physischen Kontakt zwischen Menschen.«
Seit März gelten diese Beschränkungen, klagt Meirovich. »Es hat uns hart getroffen. Wir sind eine kleine Gemeinde mit nur 100 bis 150 Mitgliedern. Eigentlich wollten wir in diesen Tagen das 25-jährige Jubiläum unserer Gemeinde feiern, aber das ist natürlich schwierig angesichts der Umstände.«
ZAHLEN Glücklicherweise halten sich die Infektions- und Sterberaten innerhalb der Gemeinden in Grenzen. »Während der ersten Welle starben in ganz Spanien neun Juden; in der zweiten, in der wir uns nun befinden, weitere fünf. In der zweiten Welle zählen wir in Madrid etwa 50 infizierte Gemeindemitglieder; im ganzen Land sind es etwa 80«, rechnet Benzaquén vor.
Vor allem wirtschaftlich hat die Corona-Epidemie verheerende Auswirkungen – auf Spanien insgesamt, aber auch auf viele Gemeindemitglieder und die Gemeinden selbst. »Vor Pessach haben wir deshalb eine Kampagne gestartet und um Unterstützung gebeten, vor allem bei der Masorti-Gemeinde in den Vereinigten Staaten, die uns sehr geholfen hat«, sagt Meirovich. Man sei auf finanzielle Hilfe von außen angewiesen.
»Vor einem Monat haben wir ein Projekt begonnen, um den Menschen in der Gemeinde zu helfen. Einige haben ihre Arbeit verloren. Wir versuchen, sie zu unterstützen, zum Beispiel mit Grundnahrungsmitteln, beim Begleichen von Rechnungen oder beim Zahlen der Miete.« Aktuell gebe es aber innerhalb der Gemeinde nicht allzu viele, die um Unterstützung bitten, sagt Meirovich. »Lebensmittel, die nicht gebraucht werden, spenden wir daher der Lebensmitteltafel einer Kirche.«
Kontakt Auch die sozialen Dienste des Dachverbandes FCJE versuchten, Hilfe anzubieten, erzählt Benzaquén, »vor allem Menschen, die sie in materiellen, aber auch emotionalen Angelegenheiten am dringendsten benötigen. Zum Beispiel ist es wichtig, mit älteren Menschen in Kontakt zu bleiben, sie mit dem Nötigsten zu versorgen.«
Die Gemeinden in ganz Spanien greifen dankbar auf diese Hilfe zurück. »Wir haben seit Beginn der Pandemie vom Unterstützungskomitee der FCJE medizinischen und technischen Rat erhalten«, sagt Aída Oceransky von Kehilá Beit Emunáh, einer progressiven jüdischen Gemeinde in Oviedo.
Freiwillige Ärzte hätten Fragen und Zweifel der Gemeinden beantwortet und Aktionsprotokolle für jeden Moment der Pandemie erstellt. Darüber hinaus wurden Maßnahmen zum Schutz der Gemeinde ergriffen. »Wir sind sehr vorsichtig mit der Einhaltung sozialer Distanz, den Hygienemaßnahmen, der Reinigung der Synagoge und der Teilnahme an Gottesdiensten.«
Anders als in Madrid gibt es in Asturien vergleichsweise wenige Fälle. »Glücklicherweise wurde in der Gemeinde niemand krank«, sagt Oceransky.
Die sozialen Dienste des Dachverbands bieten den Gemeinden Hilfe an.
Im Gegensatz zur Regierung in Madrid habe die Regionalregierung Asturiens nach der anfänglichen Verwirrung und Unordnung der ersten Phase gut gehandelt, betont Oceransky. Auch die Gemeinde gehe mit der Epidemie bisher souverän um. Gemeindemitgliedern, die ihre Arbeit verloren haben oder sich in materieller Not befinden, werde geholfen.
Man beteilige sich auch an nichtjüdischen Initiativen wie der Bereitstellung von Geldern für Lebensmittel und Kleidung für Einwanderer, erzählt sie. »Leider können nicht alle, die es wünschen, in die Synagoge gehen. Aber wir haben es gelöst, indem wir die Gottesdienste per Internet übertragen.«