China

Mit harter Hand

Straßenszene: Wegen seiner einst blühenden jüdischen Gemeinde galt Kaifeng lange Zeit als »Klein-Israel«. Foto: Matthias Messmer

Noch bis vor einem Jahr fanden beide Seiten nur gute Worte füreinander: Ein Beamter der lokalen Stadtregierung verbreitete die Hoffnung, mit der Symbolik Kaifengs als »Klein-Israel« könnte man Investoren aus den USA und Israel in die chinesische Provinz Henan locken. Und die Nachfahren einer einst blühenden jüdischen Gemeinde glaubten, Chinas Regierung sei tolerant genug, wenn schon nicht Religion, dann zumindest jüdisches Kulturleben zu erlauben.

Doch es kam anders, wie so oft in China. Aus Kaifeng, das einst ein wichtiges Handelszentrum an der Seidenstraße war, werden Nachrichten bekannt, die aufhorchen lassen: Seit mehreren Monaten ist es ausländischen Reisegruppen – vor allem jüdischen Kulturtouristen – verboten, die Stadt zu besuchen. 500 bis 1000 Nachkommen der einst 5000 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde sollen heute noch in Kaifeng leben.

mikwen Des Weiteren hört man, die historischen Mikwen, die traditionellen rituellen Bäder, seien mit Beton aufgefüllt und der Zugang zu den berühmten jüdischen Stelen im städtischen Museum sei versperrt worden. Gerüchten zufolge sollen auch mehrere englischsprachige Hinweisschilder, die an die Überreste des jüdischen Viertels erinnern, entfernt worden sein.

Zudem wurde das einzige jüdische Lernzentrum von Shavei Israel geschlossen. Die Organisation kümmert sich um Kontaktaufnahme zu »vergessenen« jüdischen Gemeinden weltweit und bemüht sich, sie nach Israel zurückzuführen.

Das israelische Oberrabbinat erkennt die Nachkommen der Kaifenger Gemeinde nicht als Juden an, da sie ihr Jüdischsein väterlicherseits begründen. Trotzdem versucht Shavei Israel seit Jahren, ihnen die Alija, die Einwanderung nach Israel, zu ermöglichen.

Sino-judaic Institute
Mehr als ein Jahr hat Rabbi Anson Laytner, der kürzlich zurückgetretene Direktor des in Kalifornien beheimateten Sino-Judaic Institute, gewartet, bis er mit seiner Hiobsbotschaft an die Öffentlichkeit trat. In einem Schreiben mit dem Titel »Mea Culpa« erklärt er, dass seine Geduld am Ende sei und es keine Verbesserung der Lage gebe.

Noch im vergangenen Jahr hatte alles harmonisch ausgesehen – fast zu schön für chinesische Verhältnisse: Die New York Times berichtete im Frühjahr 2015 von einem geselligen Sederabend, den ausländische Gäste zusammen mit Nachfahren der jüdischen Gemeinde und in Anwesenheit eines lokalen Beamten feierten. »Weil es nur in Kaifeng Juden gibt, ist das ein ganz besonderer Fall. Die Regierung ist sich dessen bewusst und unterstützt das«, hatte der Beamte erklärt – und betont: »Die jüdische Angelegenheit hier ist eine Sache von Geschichte, nicht von Religion.« Dann sprach er davon, dass die Behörden ein jüdisches Gemeindezentrum und ein Museum errichten wollten, mit einer Synagoge, einer Bibliothek, einem Kindergarten und einer Snackbar. Allerdings, so der Beamte, wüssten seine Leute nicht, »was die Juden essen«.

All das spielt inzwischen keine Rolle mehr. Die große Frage für die Betroffenen und ausländische Beobachter lautet: Was hat diesen plötzlichen Umschwung verursacht? Weshalb hält es die Regierung für nötig, die Nachfahren der jüdischen Gemeinde unter strenge Beobachtung zu stellen und den Kontakt mit Ausländern einzuschränken?

touristen Es gibt verschiedene Versuche, die Veränderung zu deuten. Manche sehen den Grund dafür im zunehmenden Interesse westlicher Medien am jüdischen Kaifeng. Shanghai oder Harbin gehören längst zum Standardprogramm jüdischer Touristen: Shanghai galt als sicherer Ort für Flüchtlinge aus Nazideutschland, Harbin war eines der größten Zentren russischer Juden. Mehr Tourismus bedeutet zwar mehr Geld, aber eben auch die Gefahr, dass zunehmend auch kritische Fragen gestellt werden. Seit Langem ist bekannt, dass es Chinas Regierung ungern sieht, wenn das Ausland viel Aufhebens um religiöse Themen macht. Die Machthaber sehen es als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes.

Anson Laytner vermutet, der Fall einer kürzlich in die USA gereisten Nachfahrin der jüdischen Gemeinde habe das gegenwärtige Klima der Unterdrückung ausgelöst. Die Frau hatte in Amerika um politisches Asyl gebeten und ihren Antrag damit begründet, dass es in China religiöse Verfolgung gebe.

Mit solchen Vorwürfen ist in Peking nicht zu spaßen. Auch wenn das Judentum keine der fünf offiziellen Religionen ist, betont die Regierung immer wieder, dass Religionsfreiheit für alle herrscht. Eine solche Anschuldigung sei also völlig grotesk und schade dem Ansehen des Landes.

Machtkampf Schon seit einiger Zeit sieht sich Peking mit mehreren Vorwürfen konfrontiert, religiöse Strömungen im Land zu unterdrücken. Einige Beobachter vermuten, dass mit dem harten Vorgehen in Kaifeng nun ein Exempel statuiert werden soll. Vielleicht ist es aber auch so, dass hinter dem Klimawechsel ein Machtkampf zwischen Gruppierungen innerhalb der Kommunistischen Partei steht. Auf der einen Seite sind diejenigen, die sich eine stärkere Öffnung gegenüber dem Ausland wünschen, auf der anderen diejenigen, die China vermehrt abschotten möchten.

Ein solcher Streit, diesmal ausgetragen auf dem Rücken der Juden von Kaifeng, wäre in China nichts Neues. Die gegenüber dem Ausland misstrauisch eingestellten nationalistischen Hardliner haben schon immer erklärt, die Kaifenger Juden seien »ganz gewöhnliche« Han-Chinesen.

Mit dieser Meinung stehen sie nicht allein da. Schon der erste israelische Botschafter in China, Zev Suffot, sagte 1992 über die Nachkommen der Juden von Kaifeng: »Zu behaupten, sie seien Juden, ist absurd. Es gibt keine Gemeinsamkeit zwischen diesen Leuten und dem Judentum.« Sehr ähnlich hatte bereits Peony, die Heldin des gleichnamigen Romans von Pearl S. Buck, räsoniert: »Heute ist sogar das Gedächtnis an ihren Ursprung verschwunden. Sie (die Kaifenger Juden) sind Chinesen.«

Trotz aller Widrigkeiten wollen die Nachfahren der Juden von Kaifeng jedoch weiterhin allein – oder höchstens mithilfe der Organisation Shavei Israel – die Frage nach ihrer Identität beantworten.

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