Türkei

Mit der Leica durch Istanbul

Er hat sein Atelier mit Büro im fünften Stock eines alten Hauses, dessen Treppenhaus und Flure schon lange keine Farbe mehr gesehen haben. Elektro- und andere Drähte hängen frei an den Wänden herunter. Die Fahrstuhl-Kabine mit dem kunstvoll verschnörkelten Gitter ächzt gefährlich, schnurrt aber doch tapfer in den fünften Stock.

Izzet Keribar hat kein stylisches Atelier nötig. Das Inventar seines Domizils scheint wie aus der Zeit gefallen. Nahezu unhörbar arbeiten die Assistenten des bekannten jüdischen Fotografen an den neuesten Rechnern, die wie Raumschiff-Cockpits in dem 20er-Jahre-Interieur wirken. Einer wie Izzet Keribar braucht keine feine Adresse. Seine Adresse sind seine Fotografien, und die sind in berühmten Magazinen abgebildet. Weltweit. Grandiose Landschaftsaufnahmen, sensible Porträts, Fotografien, die von Menschen erzählen, von ihrem Leben, von der Natur. Izzet Keribar ist ein berühmter Fotograf, ein Kosmopolit.

bosporus Er lebt in einer der brodelndsten Metropolen, in Istanbul, fast direkt am Bosporus. Im Fotografen-Viertel oberhalb der Galata-Brücke. Doch dort kennen nur ganz wenige den großen Kollegen. Den, der seine Profession nicht wie die meisten im Viertel von der Pike auf gelernt hat, sondern ein Quereinsteiger ist, einer, dessen ständige Begleiterin eine Leica ist, der aber nie Geselle war, nie seinen Meister machte.

Izzet Keribar hält gern Hof, er erzählt Besuchern aus seinem Leben, einem langen Leben – dem Leben eines Mannes, der vielfach davon gekommen ist, Vermögen erarbeitet, verloren und erneut gewonnen hat.

Izzet Keribar gehört zur jüdischen Gemeinde in Istanbul. Sie wurde zwar geschützt vor jedweden Nazi-Übergriffen. Trotzdem war seine Kindheit am Bosporus wie die aller jüdischen Kinder in Europa von Hitlers Rassenwahn beeinträchtigt.

familie
Damals hieß Izzet gar nicht Izzet, sondern Yves. Und seine Familie hieß nicht Keribar, sondern Levy. Das erschien ihnen 1936 derart jüdisch, dass sie sich einen neuen Namen gaben. 1936 ist das Geburtsjahr von Izzet Keribar, der eigentlich Yves Levy heißen sollte. Doch daraus wurde nichts. Die Familie erinnerte sich an den Urgroßvater, einen Bernstein-Händler. Auf Türkisch heißt Bernstein Keribar. »Und so wurde ich, gerade geboren und das ausgerechnet an Hitlers Geburtstag, am 20. April, zu Izzet Keribar«, sagt der 78-Jährige und lächelt ein wenig sarkastisch.

Seine Mutter kam aus Alexandroupolis, das Anfang des 20. Jahrhunderts zum Osmanischen Reich gehörte. Der Vater stammte aus Haidarpasa, Istanbuls Hafenviertel auf der asiatischen Seite des Bosporus. Sieben Geschwister hat Izzet Keribar. Die Familie war wohlhabend und angesehen. Die Eltern lernten sich in Istanbul kennen, zogen dort in ein ererbtes Haus direkt am Taksim-Platz. In der Nachbarschaft befand sich das deutsche Generalkonsulat. »Ich erinnere mich an die Hakenkreuzfahne auf dem Konsulat. Als sie einmal im Sturm zerriss, sagte meine Mutter: ›Siehst du, das ist das Ende von Deutschland‹.«

Izzet Keribars Mutter legte während des Kriegs stets warme Kleidung bereit für den Fall, dass die Deutschen einmarschieren würden und die Familie fliehen müsste. Immerhin stand die Wehrmacht bereits in Griechenland. Zudem hortete die Mutter Lebensmittel. »Wahrscheinlich hatte die türkische Regierung den Deutschen eine Namensliste mit allen Juden gegeben«, vermutet Keribar.

Krieg Während des Zweiten Weltkriegs zehrte eine Sondersteuer für Nicht-Muslime an der Existenz vieler Juden in der Türkei. Izzet Keribars Familie handelte mit Porzellan, Glas, Tafel- und Kücheninterieur. »Sie waren gute, vielleicht damals sogar die besten Händler Istanbuls«, sagt er. In seiner Stimme schwingt Wehmut nach einer vergangenen Zeit mit. Als Israel am 14. Mai 1948 gegründet wurde, wanderte die Hälfte der 80.000 jüdischen Istanbuler aus. Aber nicht Izzet Keribars Vater. Er fühlte sich der Türkei verpflichtet, dem Land, das ihn als Juden schützte. Die Sondersteuer war 1944 gestrichen worden, und mit dem Geschäft ging es wieder bergauf.

»Wir haben erst nach dem Krieg von der Schoa erfahren«, sagt Keribar. Sein Vater habe das deutsche Heer sogar als beste Soldaten der Welt bewundert. Und er liebte die deutsche Sprache. Die Familie sprach Ladino, das traditionelle Idiom der sefardischen Juden. Als Sohn Izzet 17 Jahre alt war, schickte ihn der Vater zum Deutschlernen für zwei Jahre nach Wien. Das war Anfang der 50er-Jahre. Nach der Rückkehr unterstützte der junge Mann den Vater, der inzwischen Textilhändler und -fabrikant geworden war, im Geschäft.

militär
1956 wurde Izzet Keribar zum Militär eingezogen. Er wurde Leutnant und ging nach Korea. Seine Leica-Kamera, die ihm der Vater als Kind geschenkt hatte, nahm er mit. Sie war der Schlüssel zu seiner Leidenschaft, der Fotografie.

Nach Istanbul zurückgekehrt, heiratete er, wurde Vater einer Tochter und eines Sohnes. Er stieg ins väterliche Textilgeschäft ein und übernahm es 1958, als sein Vater meinte, er habe genug getan. Doch es bekam dem alten Herrn nicht gut, Rentner zu sein, und so kehrte er 1970 ins Geschäft zurück. Es boomte. 1977 kaufte die Familie mehrere Häuser, auch am Taksim-Platz.

Doch allmählich wurde Istanbul dem umtriebigen Sohn zu eng. So ging er 1980 nach Amerika – und ließ seine Kamera zu Hause. »Erst als ich von den USA über Amsterdam zurückflog, kaufte ich mir wieder eine Leica. Als ich sie in Händen hielt, fühlte ich mich wie neu geboren«, sagt er. Später fuhr er direkt nach Wetzlar ins Leica-Zentrum und kaufte ein. Zurück in Istanbul, wurde er Mitglied in einem der bekanntesten Fotoklubs. Er gewann Preise, wurde zum besten Fotografen der Stadt gewählt und von der israelischen Tageszeitung »Jerusalem Post« für seine Arbeiten über Israel ausgezeichnet.

Profi Während es mit der Fotografie steil bergauf ging, drohte dem Textil-Unternehmen 1997 während der Rezession das Aus. Keribar tauschte das Geschäftsschild »Textil« gegen »Fotografie« aus. »Jetzt verdiente ich mein Geld nur mit meinem Können und Wissen und nicht mit irgendwelchem Kapital. Das war eine ganz wunderbare Erfahrung«, freut er sich noch heute über den geglückten Neuanfang. An manchen Tagen brachte er es auf 1000 Dollar. Stufe für Stufe kletterte er die Leiter des Erfolgs hinauf.

Doch er wollte mehr. »Ich bin der Meinung, dass wir unser Wissen und Können an die nächsten Generationen weitergeben müssen«, sagt der heutige Star-Fotograf, der keine Stars fotografiert, aber selbst einer ist. Neben seinen Fotografie-Exkursionen durch die ganze Welt arbeitet Keribar als Dozent. Er zeigt dem Nachwuchs das richtige Sehen, das Komponieren von Farben, Hintergründen und Motiven bis zum kunstvollen Gesamtbild.

bima Als 2002 die Digitalfotografie die Fachwelt überrollt, springt er sofort auf die Welle und arbeitet seitdem für große Bild- und Werbeagenturen wie Saatchi & Saatchi. Im Dezember kam sein neuestes Werk heraus, ein Fotokalender mit Motiven aus Sri Lanka. Davor hatte er vier Jahre an einem Bildband über Synagogen in aller Welt gearbeitet. Auch die Bima der 1427 erbauten Ahrida-Synagoge im Istanbuler Stadtteil Balat hat er aufgenommen. Sie ist aus Holz, sieht aus wie der Bug eines Handelsschiffs und erinnert an die Flucht der sefardischen Juden vor der Inquisition. Darauf angesprochen, dass diese Bima von niemandem sonst fotografiert werden darf, lächelt der Fotograf hintergründig. Er hat eben so seine Kontakte.

Neben der akribischen Arbeit an Fotobüchern steigt er gern mit einem Helikopter in die Luft, inszeniert Rauminstallationen in Museen und fotografiert sie für eigene Ausstellungen, beispielsweise im Pariser Musée des Beaux-Arts.

musik Neben dem Fotografieren hat Keribar noch weitere Leidenschaften: Er spielt Klavier, von Bach bis Strawinsky, sammelt Wiener Porzellan aus dem 18. Jahrhundert und böhmisches Glas, eine Reminiszenz ans elterliche Geschäft seiner Kindheit. »Ein bisschen Kind ist er auch geblieben, der elegante Herr Keribar, als er plötzlich eine Plastiktröte aus der Tasche zieht und »Heidi von der Alm« spielt: »Musik geht mir immer durch den Kopf, das inspiriert mich auch beim Fotografieren«, sagt er.

Jetzt will er zur Schwarz-Weiß-Fotografie zurückkehren. Farbe sei ihm oft zu geschwätzig, sagt er und zeigt beeindruckende Schwarz-Weiß-Porträts von Menschen auf Kuba. »Ich bin dankbar, dass ich ein so buntes Leben habe mit vielen Freunden, meiner Familie und meiner Frau. Das Beste im Leben ist, das weiterzugeben, was man weiß und kann«, philosophiert er und prostet seiner Besucherin mit einem Espresso zu. Und was sagt er zur antiisraelischen und antijüdischen Politik eines Herrn Erdogan? Izzet Keribar nimmt liebevoll seine Leica in die Hand. Politik? No comment.

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