Diese Woche gab die juristische Fakultät der Universität Antwerpen in Belgien bekannt, dass man »im Konsens« entschieden habe, ein Kooperationsabkommen mit der israelischen Bar-Ilan-Universität auszusetzen.
Grund, so die auch gleich auf Englisch veröffentlichte Begründung des Fakultätsrates, seien »unabhängige Bewertungen der Vereinten Nationen« gewesen, die angeblich ergeben hätten, dass die israelischen Streitkräfte im Gazastreifen »mehrfach gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen« hätten.
»Höchste Stellen der Bar-Ilan-Universität« hätten den Militäreinsatz »uneingeschränkt unterstützt.« Man habe als juristische Fakultät daher die Verantwortung, die institutionelle Zusammenarbeit »unter diesen Umständen nicht weiter zu fördern, um die Einhaltung des Völkerrechts zu gewährleisten«, teilte die Universität - eine der größten des Landes - mit.
Größter Problemfall
Dabei sind bislang solche Rechtsverstöße Israels keineswegs offiziell festgestellt worden, es laufen lediglich erste Untersuchungen. Erst an diesem Freitag will der Internationale Gerichtshof in Den Haag über einen Antrag Südafrikas auf einstweiligen Maßnahmen gegen Israel entscheiden. Warum also gerade jetzt der Entscheid der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Antwerpener Universität?
Für Yohan Benizri, den ehemaligen Vorsitzenden des jüdischen Dachverbands CCOJB und Mitglied im Vorstand des Jüdischen Weltkongresses (WJC), ist der Fall klar. Belgien sei mittlerweile zum größten Problemfall in Europa geworden, was den Hass auf Juden angehe, sagte Benizri am Mittwoch bei einer Veranstaltung in der hessischen Landesvertretung in Brüssel, die von der israelischen Vertretung bei der Europäischen Union, dem American Jewish Committee und der Konrad-Adenauer-Stiftung organisiert worden war.
Es gebe nicht nur eine Dämonisierung Israels an den Rändern, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft und in den etablierten politischen Parteien. »Ich kann auch nicht erklären, warum das so ist. Aber ich kann dagegen angehen«, so Benizri weiter.
Boykottaufrufe gegen Israel
In den letzten Wochen – und selbst unmittelbar nach dem Hamas-Massaker an israelischen Zivilisten am 7. Oktober – ist die Kritik an Israel in Deutschlands westlichem Nachbarland immer lauter geworden. Auch aus der Politik ertönen Boykottaufrufe gegen Israel und Forderungen nach Sanktionen - auch von Politikern der Regierungskoalition.
Entwicklungshilfeministerin Caroline Gennez hatte Israels Vorgehen im Gazastreifen als »ethnische Säuberung« bezeichnet und Deutschland vorgeworfen, es lasse sich vor den Karren Israels spannen, weil es wegen der NS- Geschichte noch traumatisiert sei.
Premierminister Alexander De Croo hatte Gennez dafür zwar gerügt. Aber er hat weitere Kabinettsmitglieder, die so denken wie die flämische Sozialdemokratin. De Croos Stellvertreterin Petra De Sutter von den Grünen forderte Belgien auf, der Klage Südafrikas gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof beizutreten.
Antisemitische Vorfälle
Nicht nur De Sutter, auch der Vorsitzende der Sozialistischen Partei im französischsprachigen Landesteil, Paul Magnette, fordert jetzt lautstark Sanktionen gegen Israel. »Die israelische Regierung muss zur Vernunft gebracht werden, es müssen Wirtschaftssanktionen verhängt und der IGH muss aufgefordert werden, das Risiko eines Völkermords zu untersuchen«, forderte Magnette vor wenigen Tagen im Fernsehen – und nahm am Wochenende an einem Protestmarsch in Brüssel teil.
Auf den Straßen der belgischen Hauptstadt gibt es regelmäßig größere Solidaritätskundgebungen mit den Palästinensern, bei denen es auch immer wieder zu antisemitischen Vorfällen kommt. Meist hätten die aber keine Konsequenzen, findet Yohan Benizri, und das, obwohl es durchaus Gesetze gebe in Belgien gegen Antisemitismus und Holocaustleugnung. Die würden nur nicht angewandt.
Was den »Import« des Nahostkonflikts nach Belgien angehe, meinte er: »Wir sind da wahrscheinlich das schlechteste Land in Europa, zusammen mit Spanien und Irland.« Er nannte auch einen Grund dafür: «Wenn ich es zugespitzt ausdrücken müsste, würde ich sagen: Wir haben es hier mit einer Mischung aus Inkompetenz und wahltaktischem Kalkül der Politiker zu tun.« Dem könne man auch nicht mit noch so vielen rechtlichen Regelungen beikommen, fügte der Rechtsanwalt hinzu.
Kurzfristig abgesagt
Und er gab noch ein Beispiel. Ein Vortrag von Regina Sluszny, die als Kind die Schoa im Versteck überlebt hatte und mittlerweile auch Vorsitzende des Antwerpener Dachverbands Forum der Joodse Organisaties ist, an einer belgischen Schule war kurzfristig abgesagt worden. In der Schule war man der Meinung, dass Slusznys Auftritt Kontroversen und sogar Chaos unter den Schülern verursachen könnte, so Benizri. Das sei eine Schande.
Viele von Belgiens 40.000 Juden haben sich zwar an das raue politische Klima gewöhnt. Aber einige tragen sich auch mit dem Gedanken, dem Land den Rücken zu kehren. »Antisemitische Handlungen werden immer stärker und virulenter. Das bringt die Juden dazu, diesen Schritt zu wagen«, sagte Joël Rubinfeld, der Vorsitzende der Liga gegen Antisemitismus, der Zeitung »Dernière Heure«. Die jüngsten politischen Spannungen mit Israel würden die Situation nur noch verschärfen.
Auch die Gefahr konkreter Anschläge gegen Juden und jüdische Einrichtungen in Belgien ist wieder gestiegen. Im Dezember wurde in Antwerpen ein 19-Jähriger festgenommen, der verdächtigt wird, einen Anschlag auf die jüdische Gemeinschaft geplant zu haben. Es wäre nicht der erste seiner Art. Im Mai 2014 erschoss ein Dschihadist im Jüdischen Museum in Brüssel kaltblütig vier Menschen. Im September 1982 starben ebenfalls vier Menschen bei einem Attentat eines Palästinensers auf die Hauptsynagoge in Brüssel.
Dass es nicht wieder soweit kommt, ist für viele nicht mehr als eine Hoffnung. Grund zur Zuversicht haben Belgiens Juden im Moment nicht.