Ferien in den Alpen

Minjan inklusive

Den vergangenen Schabbat verbrachte der bekannte israelische Chasan Jitzchak Meir Helfgot, zurzeit an der renommierten New York Park East Synagogue engagiert, nicht etwa in seiner Heimatgemeinde, einem anderen großen Gotteshaus oder der Konzerthalle einer Millionenstadt. Er genoss ihn im improvisierten und nicht allzu großen Betsaal des Hotels »Palace« im schweizerischen Wengen, einer kleinen Gemeinde im friedlichen und behäbigen Berner Oberland.

Das Wochenende mit Helfgot, der unter anderem auch die Sex-Expertin Ruth Westheimer – gern nur »Dr. Ruth« genannt – zu seinen Anhängerinnen zählen kann, war wohl der Höhepunkt der diesjährigen Sommersaison im »Palace«. Mehr als 300 Personen, die meisten von ihnen aus Israel, verbrachten den Schabbat dort. Über den ganzen Sommer gerechnet ist die Zahl allerdings wesentlich höher.

»Chasan Helfgot und ein Chor machten die Gottesdienste zum unvergesslichen Erlebnis, auch sonst hat alles gestimmt, das Essen, der Service, die Zimmer«, schwärmte ein Gast von der Atmosphäre im Palace. Allein das Wetter wollte in diesem sonst so heißen Sommer nicht mitspielen und zeigte sich trüb und nass. Aber darauf hat der israelische Unternehmer Jakob Cohen, der seit sieben Jahren im Sommer das Hotel im Berner Oberland betreibt, eben keinen Einfluss.

Annoncen Das Wengener Wochenende mit Helfgot, für das Cohen in verschiedenen jüdischen Zeitungen annonciert hatte, zeigt, dass sich jüdisch-orthodoxes Leben in den Sommerwochen in den Bergen abspielt. Und das – trotz des starken Schweizer Franken – immer noch und besonders gerne in der Schweiz.

Die Attraktivität der Bergwelt auch für Tausende vor allem orthodoxer jüdischer Feriengäste aus Ländern wie England, Belgien, Israel, aber auch den USA oder Australien, scheint ungebrochen. Zu sehen ist das gerade an Orten wie Wengen, wo zumindest für einige Wochen ein koscheres Hotel seine Tore geöffnet hat, aber auch an anderen Urlaubszielen des Landes. Vor allem in Davos, der rund 11.000 Einwohner zählenden Stadt in den Bündner Bergen, bekannt auch als Ort des Weltwirtschaftsforums im Winter. Bis zu 20 Prozent zusätzliche jüdische Feriengäste sind im Hochsommer hier anzutreffen. Kein Wunder, dass manchmal sogar vom »höchstgelegenen Schtetl« Europas die Rede ist.

Mit vielen dieser Gäste, die durch ihre vom orthodoxen Lebensstil geprägte Kleidung im Ortsbild schnell auffallen, ist Rafael Mosbacher in Kontakt. Sein Vater hatte einige Jahre in Davos eine Schreinerei betrieben. Und so ist Mosbacher seit seiner Jugend in Davos anzutreffen. Seit Jahren versucht der Zürcher Catering-Unternehmer, gemeinsam mit anderen, hier eine koschere Infrastruktur aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Die braucht es, damit sich strenggläubige jüdische Familien auch im Urlaub wohlfühlen. So hat Davos heute koschere Verpflegung, Synagogen und Betstuben, eine Mikwe, verfügt sogar im Fall der Fälle über einen jüdischen Friedhof.

Schließlich ist Davos über Jahrzehnte als Lungen-Kurort, dem Thomas Mann mit seinem Zauberberg ein literarisches Denkmal gesetzt hat, bekannt. Und erst recht für jüdische Lungenpatienten, denen einst die Heilstätte »Etania« Aufnahme und Hilfe gab. Diese musste allerdings vor etwa 15 Jahren schließen, weil das Haus heruntergekommen und eine umfangreiche Sanierung nicht mehr zu bezahlen war.

So wie der »Etania« ging es in den vergangenen Jahren auch koscheren Hotels in Scuol/Schuls oder sogar im weltberühmten St. Moritz: Sie mussten für immer schließen. Ganzjährig ein koscheres Hotel zu betreiben, rechnet sich offensichtlich vor allem wegen hoher Lohn-, und Infrastrukturkosten sowie vielerlei anfallender Nebenkosten eben längst nicht mehr. Heute gibt es in der Schweiz gerade noch ein einziges Hotel, das »Metropol« in Arosa, das kürzlich in die Schlagzeilen geraten ist, weil eine hölzerne Verbindungsbrücke eingestürzt war. Es beherbergt fast das ganze Jahr hindurch Gäste.

Catering Inzwischen öffnen in den Alpenländern viele Betriebe nur für wenige Wochen im Jahr. Oft versuchen sie, ab Tischa BeAw ihre Kundschaft anzusprechen. Oft fliegen die Unternehmen das Catering dazu aus Israel oder anderen Ländern mit einer großen Auswahl an koscheren Lebensmitteln ein und werben das Servicepersonal aus dem Ausland an, um auf diese Art die Kosten möglichst niedrig zu halten.

Dennoch ist das Preisniveau in diesen Hotels eher hoch, was gerade für kinderreiche Familien ein Problem sein kann. Vermutlich auch deswegen hat sich in vielen Schweizer Berg-Ferienorten inzwischen auch ein regelrechter Ferienwohnungsboom unter jüdischen Gästen entwickelt.

Ein Blick in die in Zürich erscheinende »Jüdische Zeitung«, das Organ der Schweizer Orthodoxie, bestätigt das. Hier werden in zahlreichen weniger bekannteren Orten wie Sedrun, Brigels oder Riederalp jüdische Männer gesucht, damit auch in den Ferien ein Minjan zustande kommen kann. Und in der Tat sind diese Suchen fast immer erfolgreich, weil jeweils genügend jüdische Gäste vor Ort sind. Ein weiterer Blick in die Zeitung zeigt auch, dass sich Lebensmittelgeschäfte in diesen Orten anpassen und zumindest einige Wochen im Sommer ein Koscher-Sortiment führen.

Etwas zurückhaltender geben sich die »Jüdische Zeitung« und andere Blätter dagegen, wenn es um das Thema Antisemitismus geht. Auch sonst spricht man über diese weniger erfreuliche Seite des jüdischen Bergtourismus eher selten. Kritik an ihren Gästen üben die Einheimischen nicht nur hinter vorgehaltener Hand. Da und dort beklagen sie, manche als Juden deutlich erkennbare Gäste würden nicht grüßen, besetzten im Zug oder den Bergbahnen zu viele Plätze oder benähmen sich schlecht.

Umgekehrt erschreckte ein Vorfall in Davos im Spätsommer 2014 nicht nur die jüdische Öffentlichkeit: Ein orthodoxer Mann wurde auf einem Parkplatz von einem Unbekannten beschimpft und tätlich angegriffen. Und auch an anderen Orten ist von der lokalen Bevölkerung immer mal wieder die Frage zu vernehmen, warum »die« denn »so gekleidet« herumlaufen würden.

Das lokale »Bündner Tagblatt« wollte es daraufhin genau wissen und fragte jüdische Feriengäste in Davos nach ihren Erfahrungen, doch die reagierten eher wohlwollend. Ein jüdisches Ehepaar aus Basel fügte, stellvertretend wohl für viele, aber durchaus kritisch an: »Grundsätzlich ist man nett zu uns, aber es gibt immer Ausnahmen.«

Aufklärung In Davos versucht Raphael Mosbacher, bei solchen »Konflikten« zu vermitteln. Der Unternehmer hat gemeinsam mit anderen ein Merkblatt für Vermieter aber auch jüdische Mieter verfasst. Außerdem war er schon in Schulen, um über das Judentum zu informieren und seine Traditionen zu erklären. Und die Solidaritätsbekundungen nach dem Vorfall vor einem Jahr brachten ihn insgesamt zu der Überzeugung: »Die jüdischen Gäste können sich hier wohlfühlen.«

Erfahrungen mit Antisemitismus gab es auch jenseits der östlichen Grenze der Schweiz, im Tiroler Ort Serfaus. Der Vorfall, bei dem der Vermieter einer Ferienwohnung jüdische Gäste ablehnte, offensichtlich nur weil sie Juden waren, liegt zwar schon einige Jahre zurück, brachte Serfaus aber in die internationalen Schlagzeilen. Vor allem in Israel wurde der Ort daraufhin eine Zeit lang als »judenfeindlich« eingestuft.

Das ist aber längst Geschichte, denn im Sommer verwandelt sich der Ort seit Jahren in eine Art »Klein-Davos«. Denn auch hier gibt es ein koscheres Hotel, betrieben von einem israelischen Reiseveranstalter. Im Juli und August kommen viele Chassidim mit ihren Familien hierher. Ihre Anwesenheit verändert die Struktur und das Äußere des Ortes so sehr, dass große Zeitungen darauf aufmerksam wurden und »Spiegel« oder »Zeit« über das »Judendorf Serfaus« berichteten.

Die Aufmerksamkeit der Medien ist auch Stefan Sommerbichler sicher, einem Hotelier aus dem Salzburger Ort Saalbach-Hinterglemm. Seit gut 13 Jahren betreibt der nichtjüdische Hotelier dort ein koscheres Haus, das er inzwischen umgebaut und vergrößert hat. Sommerbichler war mit seiner Idee, ein Koscher-Hotel in einer Gegend anzubieten, wo bislang kaum ein strenggläubiger Jude hinkam, jahrelang abgeblitzt – bevor er schließlich doch einen orthodoxen Rabbiner in Wien fand, der ihm den vielbegehrten Hechscher, das Koscher-Zertifikat, erteilte.

Lockmitttel Und Sommerbichler gelang es auf Anhieb, hochgeachtete chassidische Rabbiner wie beispielsweise den Toldot- Aharon-Rebben aus Jerusalem nach Österreich zu locken. Der Rabbiner kam samt seinen zahlreichen Anhängern – sicher weltweit einzigartig.

Die Schweiz und Österreich erhalten allerdings inzwischen in puncto Koscher-Urlaub Konkurrenz aus Frankreich. Die Grande Nation, die trotz Auswanderung und Problemen immer noch über eine große jüdische Gemeinschaft verfügt, hat schließlich auch Berge und dies nicht zu knapp: die Alp d’Huez in Savoyen beispielsweise, für jeden Radbegeisterten ein Begriff, weil die Tour de France häufig hier Station macht.

Auch hier gibt es ein koscheres Hotel, ebenso in der nur wenig entfernten Destination Les Deux Alpes. Die Hotels, die allerdings ebenfalls nur saisonal betrieben werden, sind zwar meist einfach, dafür ist der Preis unschlagbar. Eine Woche ist hier bereits ab 700 Euro pro Person zu bekommen – drei Mahlzeiten pro Tag inbegriffen.

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