Es war ein politisches Erdbeben, das kaum einer für möglich gehalten hätte und das womöglich nicht nur in den Niederlanden, sondern in der ganzen Europäischen Union nachhallen wird: Das Enfant terrible der niederländischen Politik, der Rechtspopulist Geert Wilders (60), triumphierte bei den Parlamentswahlen am Mittwoch.
Die von ihm 2006 gegründete Ein-Mann-Partei PVV (Wilders ist das einzige stimmberechtigte Mitglied) wird in der Zweiten Kammer des Repräsentantenhauses in Den Haag die mit Abstand stärkste Fraktion stellen. Nach Auszählung fast aller Stimmen kam die PVV auf 37 Sitze im Parlament, mehr als doppelt so viele als bei der letzten Wahl 2019.
Die liberal-konservative VVD des scheidenden Ministerpräsidenten Mark Rutte, die in den Meinungsumfragen vor der Wahl ihre Führungsposition behauptet hatte, fiel am Wahltag von 34 auf 24 Sitze zurück und kam nur noch auf den dritten Platz.
Zweiter wurde hingegen das Bündnis aus der sozialdemokratischen PvdA des langjährigen EU-Kommissars Frans Timmermans und der Grün-Linken. Timmermans, der bereits niederländischer Außenminister war, könnte, sofern Wilders keine Mehrheit zusammenzimmern kann, Rutte als Ministerpräsident nachfolgen. Es ist aber noch unklar, ob die VVD nicht doch als Juniorpartner in ein Bündnis mit Wilders als Regierungschef einwilligt. Im Wahlkampf hatte sie das ebenso ausgeschlossen wie die NSC, eine neue Partei, die auf 20 Sitze kam. Für eine absolute Mehrheit sind 76 Mandate notwendig.
Viele geben Dilan Yeşilgöz-Zegerius, der Nachfolgerin von Mark Rutte als VVD-Vorsitzender, die Schuld am Comeback von Geert Wilders. Die in der Türkei geborene Yeşilgöz-Zegerius habe im Wahlkampf die Bereitschaft signalisiert, dass für die VVD als Koalitionspartner einer Regierung unter ihrer Führung akzeptabel sei.
Und auch Wilders selbst trug seinen Teil bei: Er trat zuletzt deutlich weniger scharfzüngig gegenüber Muslimen auf als in der Vergangenheit. Den Satz »Der Islam ist eine totalitäre Ideologie« hatte er aus seinem Wahlprogramm gestrichen. Einige spotteten bereits, Wilders sei zu einem »Geert Milders« mutiert.
Der Rechtspopulist präsentiert sich gerne als besten Freund Israels in den Niederlanden. In seiner Jugend hatte er zwei Jahre in Israel gelebt und das Land seitdem mehrere Dutzend Male besucht. Am Wahlabend war auf einem Video eines jubilierenden Wilders in seinem Büro im Hintergrund eine Israelflagge zu erkennen.
Den israelischen General und späteren Regierungschef Ariel Scharon sieht Wilders als sein politisches Vorbild an. Scharons einziger Fehler sei es gewesen, das israelische Militär und die Siedler 2005 aus dem Gazastreifen abzuziehen. Seit Jahren fordert er die Verlegung der niederländischen Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem.
Wilders‹ Verhältnis zur jüdischen Gemeinschaft im eigenen Land war hingegen nicht immer spannungsfrei. Auch seine Forderung, das rituelle Schächten von Tieren zu verbieten, und sein Schulterschluss mit den Führern anderer Rechtsaußenparteien in Europa kamen nicht gut an.
Dennoch dürfte Wilders mit seiner klaren, proisraelischen Haltung nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober bei vielen jüdischen Wählern gepunktet haben. Auch sein Fokus auf das Thema Zuwanderung zahlte sich aus.
Er wolle zeigen, was auf diesem Feld möglich alles sei, sagte Wilders vergangene Woche der Zeitung »De Volkskrant«: »Wenn Sie in Kaldenkirchen in Deutschland an unserer Grenze stehen, Syrer sind und keine Aufenthaltsgenehmigung haben, werden Sie einfach nicht in die Niederlande einreisen können. Wir führen Grenzkontrollen ein. Wenn dann jemand ›Asyl‹ schreit, beantragt er es einfach in Deutschland; dort ist er auch sicher. Ungarn macht das Gleiche.«
Konsequenzen bei einem solchen nationalen Alleingang fürchtet Wilders nicht. »Im Extremfall wird man vom europäischen Gericht verurteilt. Dann bekommt man eine Geldstrafe, die nur einen Bruchteil dessen ausmacht, was man insgesamt hätte zahlen müssen, wenn man all diese Leute reingelassen hätte.« Die Notwendigkeit des Handelns sei wichtiger als das europäische Recht, so der Rechtspopulist.
Auch bei der Ukraine-Hilfe will Wilders aus dem bisherigen Konsens der EU-Mitgliedsstaaten ausscheren. Die Sorge, dass der Wahlsieger vom Mittwoch am Ende die Regierung bilden und die Europäische Union im Verein mit dem Ungarn Viktor Orbán und anderen Euroskeptikern lahmlegen könnte, dürfte auch in Brüssel groß sein. Noch ist Wilders aber nicht am Ziel: Ob es ihm gelingt, eine tragfähige Mehrheit im Parlament zu finden, die ihn zum Ministerpräsidenten wählt, ist zweifelhaft.