Das Holocaust-Gedenkzentrum Babyn Jar, das bisher in Form einer Stiftung existiert und bis 2023 eröffnet werden soll, macht Schlagzeilen.
Erst wurde der umstrittene russische Regisseur Ilja Chrschanowski zum künstlerischen Leiter des Zentrums ernannt, nun debattiert Kiew seit Wochen über den Vorschlag des Zentrums, den benachbarten U-Bahnhof Dorohoschytschi in »Babyn Jar« umzunennen.
Schoa In der Schlucht von Babyn Jar in Kiew ermordeten Wehrmacht und SS allein im September 1941 rund 34.000 Juden − bis 1943 wurden es rund 100.000 Opfer.
»Viele in der Stadt erinnern sich überhaupt nicht daran, dass damals ein Viertel der Einwohner ermordet wurde«, kommentiert Maxym Jakower, Generaldirektor des Zentrums, seinen Vorschlag. »Man muss etwas tun, damit sich die Kiewer an die Tragödie erinnern.«
Bald sollen die Einwohner der Stadt im Rahmen einer Online-Abstimmung ihre Meinung zur möglichen Umbenennung äußern können.
In der Ukraine ist die Erinnerung an Babyn Jar ein kompliziertes Thema.
In der Ukraine ist die Erinnerung an Babyn Jar ein kompliziertes Thema. Zwar ist das Massaker heute mehr im Bewusstsein als zu Sowjetzeiten, doch die Teilnahme der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), deren wichtige Mitglieder wie Stepan Bandera seit einigen Jahren offiziell verehrt werden, macht die Diskussion schwieriger.
Das erlebte 2016 auch Israels Präsident Reuven Rivlin, der zum 75. Jahrestag des Massenmords in einer Rede vor dem ukrainischen Parlament die Rolle der OUN kritisierte. Wolodymyr Wjatrowytsch, der damalige Chef des Instituts für Nationale Erinnerung, reagierte empört auf Rivlins Worte. Israels Präsident verbreite sowjetische Propagandamythen, behauptete er.
Wahlsieg Nach dem Wahlsieg von Präsident Wolodymyr Selenskyj vor einem Jahr verlor Wjatrowytsch sein Amt. Als sogenannter Geschichtsminister, wie der Posten des Chefs des Erinnerungsinstituts in der Ukraine scherzhaft genannt wird, wurde er durch Anton Drobowytsch ersetzt. Der spricht sich für die Suche nach positiveren Nationalhelden aus, solchen, die anders als Bandera und dessen Mitstreiter das ganze Land vereinen würden.
Doch auch Drobowytsch ist gegen die Umbenennung des U-Bahnhofs. »Aus meiner Sicht ist das jetzt nicht an der Zeit«, sagt er. Und zumindest sollten vor allem Experten und Holocaust-Überlebende mitentscheiden.
Das Institut erklärte, der Name Dorohoschytschi passe zwar historisch zu der Gegend, man bevorzuge aber generell keinen der beiden Namen. Man schlage vor, dass Reisende, wenn sie die U-Bahn verlassen, klar erkennen sollen, dass sich hier die Gedenkstätte Babyn Jar befindet.
Viele in der Ukraine kritisieren das Gedenkzentrum, weil es zum größten Teil mit Geld aus Russland finanziert wird.
Russland Viele in der Ukraine kritisieren das Gedenkzentrum, weil es zum größten Teil mit Geld aus Russland finanziert wird. Auch in der jüdischen Gemeinde des Landes teilen manche die Kritik, doch insgesamt ist man in dieser Frage gespalten.
»Das Problem ist nicht nur der Name, auch der Kontext ist wichtig«, betont Josef Sissels, sowjetischer Dissident und Vorsitzender der Vereinigung der jüdischen Organisationen und Gemeinden der Ukraine (Vaad). »Das russische Team des Zentrums hat diese Umbenennung vorgeschlagen. Sollte die Ukraine diesen Vorschlag ablehnen, wird uns wieder Nationalismus und Antisemitismus vorgeworfen. Und dies würde die russische Propaganda bestimmt gerne nutzen.«
Sissels selbst glaubt außerdem, dass der Name »Babyn Jar« für einen U-Bahnhof zu negativ besetzt ist.
Skepsis Sissels’ Kontrahent Eduard Dolinskyj vom Ukrainischen Jüdischen Komitee ist aus einem anderen Grund skeptisch. »Die Umbenennung würde nichts ändern«, schreibt er auf Facebook. Die Gegend ist heute von Straßen umgeben, die nach OUN-Mitgliedern oder Banderas Mitstreitern Olschytsch und Teliha benannt sind. Solange die Mittäter des Massenmordes so verehrt werden, ist es egal, wie der Bahnhof heißt.«