Lea leidet einmal pro Monat, wenn sie ihre Tage hat. Wie Millionen andere Frauen. Die Periode ist bei ihr so schmerzhaft, dass sie sich dann durch den Arbeitsalltag quälen muss. »Ich nehme eine Tablette und versuche, normal zu arbeiten. Aber ich bringe selbst mit Schmerzmitteln nicht die komplette Leistung.« Manchmal sei es so heftig, dass sie früher nach Hause gehen müsse.
Zum Glück arbeite sie in einem Frauenteam, da sei das Verständnis groß, selbst wenn sie aufgrund ihrer Schmerzen einmal komplett ausfalle. Viele Frauen müssen aufgrund von Menstruationsbeschwerden hin und wieder zu Hause bleiben. Wenn das ab und an der Fall sei, beschwere sich niemand, so der Tenor. Aber sich regelmäßig krankzumelden, ginge nicht. Also: Tablette rein und zusammenreißen. Dadurch entsteht ein Leidensdruck. Die wenigsten wollen sich öffentlich zum Thema exponieren. Auch Lea möchte anonym bleiben. Die 30-Jährige lebt und arbeitet in Deutschland.
Drei Tage pro Monat ohne Krankschreibung der Arbeit fernbleiben
Im Gespräch mit verschiedenen – auch jüdischen – Frauen wird deutlich, dass der Periode bis heute ein Stigma anhaftet. Dem ist die Schweizer Stadt Freiburg nun entgegengetreten. Frauen, die in der Stadtverwaltung arbeiten, können seit Beginn des Jahres »Menstruationsurlaubstage« nehmen. Das Stadtparlament hat einen Vorstoß von linker Seite gutgeheißen. Angestellte der Stadt können bei starken Beschwerden drei Tage pro Monat ohne Krankschreibung der Arbeit fernbleiben.
In Asien ist dies längst üblich, auch in Spanien dürfen Frauen »mensfrei« machen. In Deutschland ermöglichen einige Start-ups ihren Mitarbeiterinnen einen »period leave«. Allerdings wirft der »Menstruationsurlaub« auch die Frage auf, ob er nicht ungewollt zur Diskriminierung der Frau am Arbeitsplatz führen könne. Das Schweizer Gleichstellungsgesetz schreibt vor, dass Frauen und Männer am Arbeitsplatz die gleichen Rechte haben. Brauchen Frauen also eine juristische Spezialregelung, um daheimbleiben zu dürfen?
Nein, findet der Züricher Rechtsanwalt Roy Levy. »Bis jetzt war dies jedenfalls nicht nötig. Frauen, die aufgrund ihrer Menstruation Beschwerden haben, können zu Hause bleiben, wenn sie deswegen nicht arbeiten können.« Doch Levy ist auch skeptisch, ob mit einem »Menstruationsurlaub« den Frauen tatsächlich geholfen ist: »Die Frauen haben jahrzehntelang für Gleichberechtigung am Arbeitsplatz gekämpft, und nun wird etwas eingeführt, das den Graben zwischen Frauen und Männern eher vergrößert als verkleinert.«
Für einen unverkrampften Umgang mit den Tagen
Im Züricher Stadtparlament sieht man das anders. Auch dort wurde vor einiger Zeit ein Pilotprojekt angestoßen. Ebenso in Lausanne. Nadine findet das gut. »Das nimmt Frauen den Druck, auf Abruf funktionieren zu müssen, insbesondere in einer Phase, in der es einem weniger gut geht«, sagt die 45-jährige Schweizerin. Die Menstruation sei etwas Natürliches, »wenn das vom Arbeitgeber auf diese Weise anerkannt wird, ist das ein erster Schritt zur Enttabuisierung«. Die Mutter einer heranwachsenden Tochter findet es hilfreich, dass auch Mädchen dadurch sehen, wie die Gesellschaft mit dem Thema umgeht. »›Menstruationsurlaub‹ tritt der Stigmatisierung entgegen und verhilft der Gesellschaft zu einem unverkrampften Umgang mit den Tagen.«
Der Tabuisierung der Menstruation in der Gesellschaft entgegenzuwirken, heißt auch Sonja Rueff-Frenkel gut. Doch durch Diskurs anstatt mit einer gesetzlichen Verankerung. Die jüdische Politikerin aus Zürich geht noch einen Schritt weiter, wenn sie sagt: »Ein Menstruationsurlaub ist ein gut gemeinter Schutz, der das Gegenteil bewirkt.« Von Arbeitgeberseite könnte es rasch heißen: »Schon wieder krank?« Bis zu einem Viertel der Arbeitszeit könne pro Monat dadurch verloren gehen, was wiederum wirtschaftliche Folgen habe.
Zudem könne sich jede Frau krankmelden, die sich aufgrund von Beschwerden nicht in der Lage sehe zu arbeiten. »Muss mein Chef wissen, dass ich gerade meine Tage habe?« Die Menstruation werde dadurch zu einer ungewollt öffentlichen Sache. Ob das im Interesse der Frau sei, findet Rueff-Frenkel fragwürdig. Eine berechtigte Frage, schließt sie doch wieder an dieses Tabu an, das sich wie ein roter Faden durch unsere Gesellschaft zieht. Doch worin gründet es eigentlich?
In Asien und Spanien dürfen Frauen schon seit Längerem »mensfrei« machen.
Das deutsche Wort »Tabu« kommt vom polynesischen »tapu«, das etwas Heiliges oder Geweihtes bezeichnet. Das macht das Schlaglicht, das die Menstruation in der westlichen Kultur und auch in der jüdischen Religion auf die Unreinheit wirft, besonders deutlich. Seit frühester Zeit gelten menstruierende Frauen im Judentum als rituell unrein. Ihnen war es untersagt, den Tempel zu betreten, genauso wie Männern, die körperlichen Kontakt zu ihnen hatten. Das gilt in der Orthodoxie bis heute.
Der Züricher Rabbiner Noam Hertig erklärt es folgendermaßen: »Die höchste Form ritueller Unreinheit entsteht durch den Kontakt mit einem Leichnam, nicht aus hygienischen Gründen, sondern vielmehr, weil die Tora das Leben heiligt. Aus diesem Grund sollten Priester, die Kohanim, die heilige Dienste verrichten, und alle, die das Heiligtum des Tempels betreten, sich möglichst vom Tod und jeglicher Form von Tuma, also ritueller Unreinheit, distanzieren. Die Menstruation, bei der ein potenzielles Leben ausgeschieden wird, kann als Distanzierung von der Lebenskraft betrachtet werden, weshalb dabei rituelle Unreinheit entsteht.«
Nicht erotisch
Nidda heißt der Moment ritueller Unreinheit, also jener Zustand, in dem sich die Frau während oder kurz nach ihrer Menstruation befindet, bevor sie die Mikwe besucht hat. Hertig betont, dass rituelle Unreinheit nichts mit physischer Sauberkeit zu tun habe. Doch ist das Judentum hier nicht frauenverachtend, wenn es darum geht, dass der Mann aus halachischer Sicht die Frau nicht berühren darf? Sollte er die Frau nicht in den Arm nehmen dürfen, wenn sie während ihrer Tage vielleicht dünnhäutiger ist als sonst? Hertig sagt: »Während der Nidda-Zeit müssen sich Männer und Frauen nicht zwangsläufig aus dem Weg gehen. Sie können auf platonische, jedoch nicht erotische Weise, füreinander da sein und emotionale Unterstützung bieten.«
Kritikerinnen monieren, dass die Frau während dieser Zeit isoliert sei, was wiederum ein Stigma bedeute. Doch der modern-orthodoxe Rabbiner aus Zürich kontert: »Dies ist eine Phase, in der beide Partner bewusst auf sexuellen Kontakt verzichten und sich auf andere Formen der Liebe konzentrieren.« Auch er ist ganz klar der Meinung, dass die Regelblutung nicht tabuisiert werden dürfe. »Stattdessen sollte respektvoll und sittsam darüber gesprochen werden. Die Tora und das Judentum weisen dem Thema Menstruation mit den zahlreichen Gesetzen einen wichtigen Platz im monatlichen Zyklus zu.«
Der Züricher Gynäkologe Daniel Passweg wiederum kritisiert den »Menstruationsurlaub« aus einem ganz anderen Grund. Er befürchtet, dass betroffene Frauen dadurch zu spät zum Arzt gehen könnten. Enttabuisierung sei sicher wichtig. Doch für ihn als Mediziner stehen an erster Stelle Untersuchung, Abklärung und Therapie. Ein erhöhter Schmerzmittelbedarf bei großem Schmerzempfinden müsse abgeklärt werden.
Richtige Therapie
»Zyklusbedingte Schmerzen, die den herkömmlichen Rahmen sprengen, können mit einer Endometriose im Zusammenhang stehen« – eine der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen. Laut Passweg werde die Diagnose teilweise um Jahre verzögert gestellt, weil die Symptome von der Betroffenen, der Umgebung oder von Medizinern nicht ernst genommen oder nicht verstanden würden. »Es geht darum, die richtige Therapie für die Patientinnen zu finden«, so der jüdische Arzt.
Dass eine zum Beispiel von Endometriose betroffene Frau in diesem Fall ein ärztliches Attest erhält, versteht sich von selbst. Und wer sich nicht wohlfühlt, soll zu Hause bleiben – mit oder ohne »Menstruationsurlaub«. Eine Krankheit ist die Regelblutung nicht – sondern Teil eines natürlichen körperlichen Vorgangs und der weiblichen Fruchtbarkeit.