Nachruf

Meister der eskapistischen Unterhaltung

»Auf dass du nie in meiner Show landest!« Das wünschte Jerry Springer den Menschen, die er traf. Offensichtlich war dies nicht nur als Spaß gemeint, sondern auch ernst. Denn in seiner Fernsehsendung war niemand sicher. Teilnehmer schrien einander an und beleidigten sich. Gelegentlich kam es sogar zu Handgemengen.

Zwischen 1991 und 2018 flimmerte die Jerry Springer Show mehr als 4000 Mal über die Bildschirme in den Vereinigten Staaten. Schimpfwörter, Streit und nur halbherzig verdeckte Nacktheit gehörten stets dazu.

Stripper und Torten Schon die Titel der einzelnen Sendungen gaben den Ton vor. »Ich habe mit dem Bruder meiner Freundin geschlafen«, »Nimm dein Skateboard und verschwinde«, »Torte in deinem Gesicht« und »Mein Stripper-Freund betrügt mich mit seinem Kollegen« waren noch nicht einmal die geschmacklosesten. Das Niveau der Diskussionen in Springers Sendung lag häufig nur wenig über dem Grundwasserpegel.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Doch Jerry Springer wusste, was er tat. Mit intellektuellen Diskussionen über amerikanische Literatur oder die Thesen französischer Philosophen hätte er es nicht geschafft, sogar Oprah Winfrey bei den Zuschauerzahlen zu überholen. Als »eskapistische Unterhaltung« verstand Springer sein Genre. Es gelang ihm, Leute ihre eigenen Probleme zeitweilig vergessen zu lassen, indem er ihnen die Probleme der Anderen präsentierte.

Einst sagte Springer, er selbst würde sich seine »alberne Show« nie ansehen. Aber er verteidigte dennoch ihr Konzept: »Sehen Sie, Fernsehen schafft keine Werte und darf dies auch nicht. Es liefert nur ein Bild von all dem, was da draußen ist: vom Guten, vom Schlechten, vom Hässlichen.«

Schutzbunker Jerry Springers Leben begann sogar noch dramatischer, als es seine Fernseh-Show je war. Geboren wurde er als Gerald Norman Springer am 13. Februar 1944 einer Londoner U-Bahnstation. Sie diente an jenem Tag als Schutzraum vor deutschen Bombenangriffen.

Seine Eltern Margot und Richard Springer waren deutsche Juden aus Landsberg an der Warthe im heutigen Polen. Ihnen war es gelungen, vor den Nationalsozialisten nach England zu fliehen. Springers Großmutter mütterlicherseits wurde im Vernichtungslager Kulmhof ermordet, seine andere Großmutter und deren Bruder starben in Theresienstadt.

Im Alter von vier Jahren kam Jerry Springer dann nach Amerika. Zunächst lebte die Familie im New Yorker Stadtteil Queens. Als Kind war er von John F. Kennedy beeindruckt, dessen Reden er im Fernsehen verfolgte. Später studierte er Politologie und Jura.

Rücktritt und Skandal Nicht alles, was Springer anfasste, funktionierte. In den späten 1960er-Jahren half er im Wahlkampf für Robert F. Kennedy mit, der durch die Ermordung des Kandidaten brutal beendet wurde. Später arbeitete Springer für ein Anwaltsbüro in Cincinnati (Ohio). 1970 scheiterte er dort als Kandidat für den US-Kongress, erzielte aber einen Achtungserfolg. Ein Jahr später wurde er in den Stadtrat von Cincinnati gewählt, musste das Amt 1974 jedoch im Zuge eines Skandals abgeben, in den eine Prostituierte involviert war und der als Thema sicherlich gut in seine spätere Fernsehshow gepasst hätte.

Die Wähler verziehen Springer aber und wählten ihn 1975 wieder in den Rat. 1977 wurde er sogar für ein Jahr Bürgermeister der Stadt. Versuche, zum Gouverneur Ohios und zum US-Senator gewählt zu werden, scheiterten jedoch.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Jerry Springers Medienkarriere hatte zu diesem Zeitpunkt längst begonnen. Schon in seiner Studienzeit hatte er bei einem Radiosender mitgearbeitet. Nach einigen Jahren in einer weiteren Anwaltskanzlei startete er 1991 mit The Jerry Springer Show richtig durch. Das Format wurde schnell auch über die USA hinaus bekannt. Zumindest kannten viele den Titel und das Konzept. Später folgte noch die Reihe Judge Jerry, in der es etwas anspruchsvoller zuging.

»Jerrys Fähigkeit, mit Menschen umzugehen, war bei allem, was er anpackte, der Kern seines Erfolgs, sei es in der Politik, im Rundfunk oder einfach nur beim Scherzen mit Menschen auf der Straße«, erklärte Jene Galvin, eine Freundin der Familie, die auch seine Sprecherin war. »Er ist unersetzlich und sein Verlust schmerzt immens, aber die Erinnerung an seinen Intellekt, sein großes Herz und seinen Humor werden weiterleben.«

Jerry Springer starb nach kurzer, schwerer Krankheit in seinem Haus in einem Vorort von Chicago. Er wurde 79 Jahre alt.

USA

Loyal und radikal

Der künftige Präsident Donald Trump vergibt wichtige Ministerposten an Personen, die bislang nicht durch Kompetenz aufgefallen sind, sondern eher durch Kontroversen von sich reden machten

von Michael Thaidigsmann  21.11.2024

Nachruf

Der Vater des Budget-Tourismus ist tot

Arthur Frommer wurde 95 Jahre alt

von Imanuel Marcus  20.11.2024

New York/Malibu

»Mein Name ist Barbra«

Die Streisand-Autobiografie erscheint auf Deutsch

von Christina Horsten  20.11.2024

Schweiz

Konservative Christen gegen den ESC

Eine Minipartei erwirkt ein Referendum gegen das hohe Rahmenbudget für den Eurovision Song Contest. Dabei geht es auch um Israel

von Peter Bollag  19.11.2024

Italien

Schoa-Überlebende rügt Papst für Genozid-Kommentar

Edith Bruck ist 93 Jahre alt und mit Papst Franziskus befreundet. Jetzt hat sie ihn aber mit deutlichen Worten kritisiert

 19.11.2024

Medien

Ausweitung der Kampfzone

Die israelfeindlichen Täter haben die »NZZ« ganz bewusst zum Abschuss freigegeben. Ein Kommentar

von Nicole Dreyfus  19.11.2024

Tschechien

Oscar-reifer Held am Mikrofon

»Wellen« feiert den KZ-Überlebenden Milan Weiner, der 1968 die Sowjets in Schach hält

von Kilian Kirchgeßner  17.11.2024

USA

Impfgegner, Verschwörungstheoretiker, Gesundheitsminister

Donald Trump beruft mit Robert F. Kennedy einen Mann als Gesundheitsminister, der auch durch antisemitische Verschwörungstheorien von sich reden macht

von Michael Thaidigsmann  15.11.2024

Imanuels Interpreten (1)

Flora Purim: Das Unikum

Die in Rio de Janeiro geborene Sängerin liefert eine einzigartige Melange der Klänge

von Imanuel Marcus  15.11.2024