Österreich

Mein Herz gehört mir

Kommt nicht in die Tüte: mein Herz Foto: dpa

Österreich

Mein Herz gehört mir

Die Wiener Chewra Kaddischa ermuntert Juden, sich gegen Organentnahmen zu verwehren

von Alexia Weiss  11.02.2010 00:00 Uhr

So will es der Gesetzgeber: Wenn Berthold Sandorffy, Gott behüte, morgen bei einem Autounfall derart schwere Verletzungen erleiden würde, dass die Ärzte ihn für hirntot erklären, könnten die Mediziner ihm – ohne Rücksprache mit Angehörigen – Organe, wie das noch schlagende Herz, entnehmen. Für den Fall, dass ein anderer Mensch es vielleicht brauchen könnte. Das entspricht der österreichischen Gesetzeslage. Doch Sandorffy ist Jude – und möchte daher für den Fall des Falles ausschließen, dass eines seiner Organe transplantiert wird. Er möchte, so wie es die Halacha vorsieht, »dass mein Körper ganz begraben wird«.

Sandorffy sitzt zudem im Vorstand der Chewra Kadischa, einer Organisation, die sich seit fast 250 Jahren darum kümmert, dass jüdische Begräbisse in Österreich korrekt ablaufen. In dieser Funktion hat er nun eine Kampagne gestartet, mit der alle Mitglieder der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) aufgerufen werden, sich in ein Widerspruchsregister eintragen zu lassen. Dieses gibt es zwar schon seit 1995, doch ist es bisher kaum bekannt. »Ich finde es schade, das nicht zu nutzen«, meint Schandorffy.

herzenssache Derzeit sind in diesem Register rund 20.000 Personen eingetragen, sagt Maria Preschern-Hauptmann von der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), die das Register verwaltet. Nähere Informationen zu den Personen, die sich hier eintragen lassen, werden nicht gesammelt – es gibt keine Daten, die auf die Religionszugehörigkeit schließen lassen. Auch über die Beweggründe, sich eintragen zu lassen, »wissen wir nichts, wir dürfen sie auch nicht abfragen«. Eine Frau habe sich einmal wieder austragen lassen und den GÖG-Mitarbeitern ungefragt gesagt, warum sie das mache: »Mein Freund hat kürzlich ein Herz gebraucht und auch eins bekommen. Ich weiß jetzt, was das heißt.«

Dass in der GÖG Diskretion groß geschrieben wird, erleichtert es nach Ansicht Sandorffys jedem, sich – übrigens kostenlos – in das Register eintragen zu lassen. Den Brief, den die Chewra Kadischa zur Information zu diesem Thema verschickt hat, und Anzeigen in der IKG-Zeitung »Die Gemeinde« haben inzwischen eine Diskussion in Gang gesetzt. Natürlich gebe es jene, die meinen, man könne nicht von der Allgemeinheit verlangen, ein Organ gespendet zu bekommen, wenn man selbst nicht bereit sei zu spenden, sagt Sandorffy. Doch könne er versichern, dass jeder, der sich in das Register eintragen lässt, nicht benachteiligt wird, sollte er selbst eine Organtransplantation benötigen.

widerspruch Das Register wird ausschließlich dazu genutzt, um bei Patienten, die für hirntot erklärt werden und eine Organentnahme nicht mehr bewusst ablehnen können, zu prüfen, ob sie zu Lebzeiten entschieden haben, keine Organe zu spenden. Preschern-Hauptmann ergänzt: »Die Angehörigen können sich nicht für eine Organentnahme entscheiden, wenn ein Widerspruch des Verstorbenen vorliegt.«

Immer wieder akut würde die Diskussion zu diesem Thema bei jungen Unfallopfern, deren Organe im Normalfall gut funktionieren und daher für eine Entnahme be- sonders infrage kommen, sagt Wiens Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg. Aus rabbinischer Sicht ist die Definition des Todes problematisch: Sein Zeitpunkt wird im klassischen Judentum an das Aufhören von Herzschlag und Atmung geknüpft. Es gebe heute aber auch halachische Autoritäten, die den Hirntod anerkennen, so Eisenberg.

leben retten Der Oberrabbiner empfiehlt den Gemeindemitgliedern, sich ins Widerspruchsregister eintragen zu lassen, betont aber gleichzeitig, dass manche Transplantationen eine Mizwa sind. So spreche nichts gegen das Spenden einer Niere, wenn dies einer anderen Person das Leben rettet. »Während ein Lebender verpflichtet ist, Mizwot zu tun, kann man das von einem Toten aber nicht mehr verlangen.« Für den Oberrabbiner ist jedoch vor allem eines wichtig: »Auf alle Fälle sollte die Entscheidung nicht von fremden Ärzten getroffen werden.«

Handelt es sich bei dem für hirntot erklärten Patienten nicht um einen österreichischen Staatsbürger, werden vor einer Organentnahme immer die Angehörigen kontaktiert, beruhigt Preschern-Hauptmann. Ein stets »mitgeführtes Schreiben«, das klar darlegt, dass man keine Organentnahme wünsche, erfülle den Zweck ebenso wie der Eintrag ins Register, versichert die GÖG-Mitarbeiterin.

Nachruf

Die Frau, die den Verschlüsselungscode der Nazis knackte

Im Zweiten Weltkrieg knackten die Briten in Bletchley Park den Verschlüsselungscode der Nazis. Eine der Frauen, die beim Entziffern feindlicher Nachrichten half, war Charlotte »Betty« Webb

von Julia Kilian  01.04.2025

Todestag

Wenn Worte überleben - Vor 80 Jahren starb Anne Frank

Gesicht der Schoa, berühmteste Tagebuch-Schreiberin der Welt und zugleich eine Teenagerin mit alterstypischen Sorgen: Die Geschichte der Anne Frank geht noch heute Menschen weltweit unter die Haut

von Michael Grau, Michaela Hütig  31.03.2025

Interview

»Es ist sehr kurz vor zu spät«

Für eine »Restabilisierung« der Gesellschaft und die Verteidigung der Demokratie bleiben höchstens fünf Jahre Zeit, warnt Michel Friedman

von Steffen Grimberg  28.03.2025

Imanuels Interpreten (7)

Peter Herbolzheimer: Der Bigband-Held

Der jüdische Posaunist, Komponist, Arrangeur, Bandleader und Produzent rettete Bigbands, gründete seine eigene und wurde Jazz-Rock-Pionier

von Imanuel Marcus  27.03.2025

Irak/Iran

Die vergessene Geisel

Seit zwei Jahren befindet sich Elizabeth Tsurkov in der Gewalt einer pro-iranischen Terrormiliz. Nun sorgt Druck aus Washington für Bewegung

von Sophie Albers Ben Chamo  24.03.2025

Schweiz

Trauer um eine »Macherin«

Die Zürcher Verlegerin und Mäzenin Ellen Ringier ist im Alter von 73 Jahren verstorben. Ein Nachruf

von Peter Bollag  24.03.2025

New York

Von Gera nach New York

Der Journalist Max Frankel, früherer Chefredakteur der New York Times, ist tot. Er wurde 94 Jahre alt

 24.03.2025

New York

Für immer Carrie: Sarah Jessica Parker wird 60

Als Sex-Kolumnistin Carrie Bradshaw in »Sex and the City« wurde Sarah Jessica Parker zum Weltstar. Jetzt feiert »SJP« ihren runden Geburtstag

von Christina Horsten  24.03.2025

Orléans

Rabbiner geschlagen und gebissen

Der Täter flieht, wenig später wird ein junger Verdächtiger festgenommen – Präsident Macron verurteilt Angriff auf Rabbiner

 23.03.2025 Aktualisiert