Im Mai 2025 finden in Polen die nächsten Präsidentschaftswahlen statt. Zu den Favoriten gehört ebenfalls der amtierende Außenminister Radosław Sikorski von der liberalen Regierungspartei »Bürgerplattform«. Bei TVN24 wurde er kürzlich mit einer brisanten Frage zu seiner Ehefrau, der Historikerin und Publizistin Anne Applebaum, konfrontiert.
Laut einem Medienbericht wird die jüdische Amerikanerin von der »Bürgerplattform« als »Problem« des Kandidaten Sikorski betrachtet. Ob dies zutreffe, wollte man wissen. Sikorski verwies gereizt auf die jüdischen Wurzeln der jetzigen polnischen First Lady, Agata Kronhauser-Duda, sowie ihrer Vorgängerin Anna Komorowska und verließ empört die Sendung. Auf der Plattform X, vormals Twitter, betonte er anschließend, Polen sei »kein Land von Antisemiten«.
Aber hat Sikorski recht? Studien zeigen, dass der historisch tief verwurzelte Antisemitismus in der polnischen Gesellschaft keineswegs verschwunden ist. Etwa ein Drittel der Bevölkerung sei judenfeindlich eingestellt, wobei antisemitische Klischees religiöser, sozialer oder politischer Natur gerade in sozialen Netzwerken weit verbreitet sind. Auch gibt es fast täglich Diskussionen über die tatsächliche oder vermeintliche jüdische Herkunft prominenter Künstler, Politiker und Journalisten, die Sikorski für beschämend hält.
In der offiziellen Politik dagegen kommen antisemitische Skandale nur sporadisch vor. Als notorischer Judenhasser gilt etwa der Anführer der im Sejm vertretenen nationalistischen Partei »Konföderation«, Grzegorz Braun, der die Mitwirkung von Polen an der Schoa bestreitet und Israel mit dem Dritten Reich in Verbindung bringt.
Auch im benachbarten Litauen lassen sich solche Tendenzen beobachten. Dort ist bei den jüngsten Parlamentswahlen die rechtspopulistische Partei »Nemuno aušra«, zu Deutsch: Morgenröte von Nemunas, auf Platz drei gelandet und wird wohl an der von den Sozialdemokraten angeführten Regierungskoalition beteiligt sein. Ihr Parteichef Remigijus Žemaitaitis macht Juden für den »Holocaust an der litauischen Bevölkerung« im Zweiten Weltkrieg verantwortlich und vergleicht Israels Vorgehen gegen die Hamas mit Russlands Krieg gegen die Ukraine. Antisemitismusvorwürfe weist er – wenig überraschend – von sich.
Obwohl der Antisemitismus ebenfalls im östlichen Europa virulent ist, nimmt er äußerst selten radikale Formen an.
Polen und Litauen sind keine Ausnahmen. Und trotzdem werden ausgerechnet die ehemaligen Ostblockstaaten von Israel als besonders sicher für seine Staatsbürger eingeschätzt. In den Jahresberichten zum Thema Antisemitismus des Diaspora-Ministeriums tauchen sie – wenn überhaupt – nur am Rande auf. Auch von zahlreichen Juden im westlichen Europa werden diese Länder als überwiegend judenfreundlich wahrgenommen.
Wie lässt sich dieses Phänomen erklären? Obwohl der Antisemitismus ebenfalls im östlichen Europa virulent ist, nimmt er äußerst selten radikale Formen an, so eine Erklärung. Gewalt, wie sie für viele Jüdinnen und Juden in Westeuropa mittlerweile Alltag geworden ist, findet man dort kaum. Auch propalästinensische Demonstrationen sind selten. Ohnehin ist das Interesse am Nahostkonflikt relativ gering, wobei etliche Politiker und manche Bürger – nicht zuletzt aufgrund ihrer antimuslimischen Einstellungen – Israels Vorgehen im Gazastreifen und im Libanon wohlwollend sehen.
Ausgerechnet in Ungarn, wo laut Anti-Defamation League (ADL) die Judenfeindlichkeit noch ausgeprägter ist als in Polen, profiliert sich die nationalkonservative Regierung von Viktor Orbán als Israels treuester Partner in Europa, ohne jedoch auf die Verbreitung antisemitischer Verschwörungstheorien verzichten zu wollen.
Die Budapester Machthaber versäumen keine Chance, ihren ramponierten Ruf aufzupolieren: Das Fußballspiel in der Europe League zwischen Besiktas Istanbul und Maccabi Tel Aviv, das eigentlich in der Türkei stattfinden sollte und nach Gewaltexzessen in Amsterdam aus Sicherheitsgründen verlegt wurde, findet nun ausgerechnet im ungarischen Debrecen statt. Der Grund: Ungarn ist das einzige Land in Europa, das bereit war, diese brisante Partie auszutragen.