Holocaust-Leugnern könnten in Ungarn bald hohe Haftstrafen drohen. Das ungarische Parlament stimmte in der vergangenen Woche für einen entsprechenden Antrag der sozialistischen Partei MSZP. Wer in Zukunft öffentlich die Würde eines Holocaust-Opfers verletzt, indem er den Massenmord an Juden leugnet, infrage stellt oder in seiner Bedeutung mindert, kann mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Insgesamt 197 Parlamentsabgeordnete stimmten einer Änderung des Strafgesetzbuches zu. 142 Mitglieder des Parlaments – darunter auch die Fraktion der Oppositionspartei Fidesz – enthielten sich, Gegenstimmen gab es eine.
Der Chef des Verbands jüdischer Gemeinden (Mazsihisz), Péter Feldmájer, der bei der Abstimmung anwesend war, zeigte sich mit dem Parlamentsbeschluss zufrieden: »Die Regelung macht deutlich, wie weit man gehen kann, ohne die Würde eines Menschen zu verletzen. Man kann sich nie wirklich über strafrechtliche Vorschriften freuen, aber es muss als Signal gesehen werden, dass es hier nur eine Gegenstimme gab«, so Feldmájer, dessen Verband bereits 1992 ein Gesetz gegen die Leugnung des Holocausts vorgeschlagen hatte, dem mehr als 500.000 ungarische Juden zum Opfer gefallen waren. Auch Chava Baruch von der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem begrüßt das Gesetz: »Wenn man dafür belangt werden kann, wird man es sich zweimal überlegen, ob man öffentlich den Holocaust leugnet.«
vorbehalte Der Antrag der MSZP war einer von mehreren Versuchen sozialistischer Regierungen, die Leugnung des Holocausts unter Strafe zu stellen. Er kommt zu einem Zeitpunkt, da die radikale Rechte einen enormen Wählerzuwachs verzeichnet. Laut Umfragen kann die rechtsradikale Partei Jobbik mit bis zu acht Prozent der Stimmen und dem Einzug ins Parlament nach den Wahlen im April rechnen. Noch ist allerdings unklar, ob Staatspräsident László Sólyom das Gesetz vom Verfassungsgericht prüfen lässt. Dabei kann es passieren, dass das höchste Gericht das Gesetz wegen verfassungsrechtlicher Vorbehalte ablehnt.
Éva Simon, Rechtsanwältin der Gesellschaft für Freiheitsrechte, gibt zu bedenken: »Es ist nicht klar, wann genau die Würde des Menschen verletzt wird und wer eigentlich zur Gruppe der Holocaust-Opfer gezählt werden kann. Gehören dazu auch die zweite und dritte Generation der Holocaust-Opfer? Die Begründung des Antrags gibt auf diese Fragen keine Antworten«, sagte Simon gegenüber dem Nachrichtenportal Index.hu. Ebenso sei um- stritten, was eigentlich mit »öffentlich« gemeint ist. »Denn öffentlich ist nicht nur die Rede bei einer Veranstaltung in Budapest, sondern auch der Kommentar eines Blogbeitrags«, so Simon.
meinungsfreiheit Kommentatoren kritisieren, dass ein Gesetz zum Verbot der Holocaust-Leugnung das in der Verfassung verankerte Recht auf Meinungsfreiheit untergrabe – ein Grund, warum ein solches Gesetz bislang noch nicht verabschiedet wurde. In Ungarn haben Rede- und Meinungsfreiheit als Konsequenz aus der kommunistischen Diktatur einen hohen Stellenwert. Eine entsprechende Änderung des Strafgesetzbuches könnte das Recht auf Meinungsfreiheit einschränken, befürchten Beobachter. Für die MSZP-Vorsitzende Ildikó Lendvai ist es trotzdem höchste Zeit für die gesetzliche Regelung: »Die Meinungsfreiheit ist ein wichtiges Recht, doch gegen solch eine nationale Ausgrenzung des menschlichen Schicksals müssen wir vorgehen.« Ungarn müsse endlich ein Gesetz gegen Holocaust-Leugnung bekommen, das in vielen europäischen Staaten bereits existiert, so Lendvai.
sammelklage Wenige Tage vor der Abstimmung im Budapester Parlament haben 96 Nachfahren von ungarischen Holocaust-Opfern eine Sammelklage bei einem Gericht in Chicago eingereicht. Sie fordern knapp neun Milliarden US-Dollar Schadenersatz sowie Schmerzensgeld von den Ungarischen Staatsbahnen (MÁV). Die beauftragten Rechtsanwälte errechneten die gewaltige Summe aus dem heutigen Wert des Betrages, den Mitarbeiter der MÁV ungarischen Juden während der Deportationen in die Konzentrationslager abgenommen hätten.
Experten hegen allerdings Zweifel an den Fakten der Klageschrift, die lediglich 16 Seiten lang ist. Der Historiker László Karsai, seit 1994 Leiter der ungarischen Archiv-Forschungsgruppe Yad Vashem, bezeichnete die Klage gar als Unfug. Neben Rechenfehlern in Bezug auf die gewaltige Streitsumme hätten die Verfasser der Klageschrift wichtige Quellen unterschlagen. Faktisch falsche Tatsachen werden – untypisch für juristisches Schriftgut – in einem eher literarisch gehaltenen Stil wiedergegeben. Auch Mazsihisz-Chef Feldmájer möchte nicht allein der MÁV die Schuld am ungarischen Holocaust in die Schuhe schieben. »Für den Holocaust war der ungarische Staat verantwortlich.«
Dass ausgerechnet die MÁV Ziel der Klage wurde, hat mit ihrer Rechtsform als Unternehmen zu tun, das auch in den USA Fahrkarten verkauft. Dadurch hat die amerikanische Justiz eine rechtliche Handhabe. Allerdings könnte der wahre Grund für die Jahrhundertklage woanders liegen: Laut der Klageschrift bekämen die Anwälte ein Drittel der beträchtlichen Streitsumme.