Es begann vor anderthalb Jahren. Zwölf Münchner Ethnologie-Studenten, die sich in einem Projekt mit dem Judentum befassten, breiteten eine große Europakarte vor sich aus und wählten sieben Städte aus. Die wollten sie bereisen. Aufgabe war es, »nach jüdischen Kultur- und Alltagserscheinungen in unterschiedlichen urbanen Kontexten in Europa heute« zu suchen. Diese Beschreibung verdeckt ein wenig, dass es dabei auch – ja vielleicht vor allem! – um die Begegnung mit Menschen gehen sollte.
Das Ergebnis des Projekts ist eine Ausstellung, die jetzt im Jüdischen Museum München zu sehen ist. Ihr Titel: »Jüdisches Europa heute. Eine Erkundung«.
Bei ihrer Recherche halfen den angehenden Wissenschaftlern übrigens immer wieder Artikel aus der Jüdischen Allgemeinen. Daraus wird in der Ausstellung oft zitiert, zum Beispiel auf den himmelblauen Liegestühlen in der Marbella-Ecke. Marbella liegt an der spanischen Costa del Sol. Die dortige jüdische Gemeinde ist »im Sommer dreimal so groß wie im Winter«, konnte man 2009 in der Jüdischen Allgemeinen lesen.
Charme Der Text des Ausstellungskatalogs besitzt seinen eigenen Charme. Er enthält Sätze, die es schaffen, die sperrige Wissenschaftssprache mit den Tücken einer Erkundung zu konfrontieren. Zur Marbellareise heißt es dort: »Die Unsichtbarkeit der Gemeinde vor Ort hat die Fragestellungen verdeutlicht, die uns bisweilen auch manchmal verwundert zurückließen: Wir fragten uns nicht nur, wo der Eingang zum Gemeindebüro ist und warum niemand der Anwohner etwas von dem Büro wusste, sondern auch, wie wir die außerhalb gelegene Synagoge finden sollten und was mit der Coladose gemeint ist, die uns auf der Busfahrt zur Synagoge als Anhaltpunkt dienen sollte.«
Die originelle Ausstellung begnügt sich mit nur einem großen Raum – in dem neben Marbella Islands Kapitale Reykjavik zu liegen kommt. Diese Stadt ganz im Norden scheint zwar weitgehend ohne Juden zu sein, aber sie ist voller jüdischer Anekdoten. Dazu passend haben sich die Studenten durch Henryk M. Broders Island-Tagebuch locken lassen. Der Berliner Publizist fühlte sich von Island angezogen, weil es wie Israel mit I anfängt und »weil es dort keine Araber gibt«.
Schmuck Juden gibt es, wenn auch nicht viele. Staatlich anerkannt ist die jüdische Religion nicht, in der Öffentlichkeit hält man sich als Jude (gern oder auch nicht so gern) bedeckt. Eine Synagoge? Fehlanzeige. Die israelische Schmuckdesignerin Sigal Har-Meshi stellt an Rosch Haschana ihr Wohnzimmer zur Verfügung. In Warschau haben zwei Münchner Studentinnen sehr selbstbewusste Juden getroffen. Einer von ihnen allerdings habe die jungen Frauen irritiert, denn er ließ den Satz fallen: »Das ist ja nicht das erste Mal, dass sich Deutsche für Juden interessieren.«
Nächste Station ist London, vertreten durch eine koschere Küche. Dann kommt Umea, eine Stadt im Norden Schwedens mit etwa 30 Juden, die sich in einem schwedengelben Holzhäuschen treffen, das jetzt in München seinen Platz hat, neben einem Zeitungsstand, an dem das judenspanische Monatsmagazin »El Amaneser« ausliegt.
Letzte Station: Budapest: Ein paar Holzpaletten schaffen die Atmosphäre der fürs jüdische Viertel so typischen »Ruinenkneipen«. Postkarten liegen aus, auch vom Mahnmal der »Schuhe am Donauufer«, das 2009 geschändet wurde. Antisemitisches und fremdenfeindliches Gedankengut sei »wieder verstärkt zu beobachten«, heißt es da. Dennoch berichten die Studenten von Gesprächen mit »sehr stolzen Jüdinnen und Juden«.
Die Ausstellung ist noch bis zum 14. Februar 2016 zu sehen.
www.juedisches-museum-muenchen.de