Wer braucht im sonnigen Spanien schon einen teuren Pelzmantel? Vielleicht flog der Bestechungsskandal ja auf, weil es dem spanischen Schiedsrichter zu heiß wurde, als man ihn mit edlen Pelzen in der Champions League zugunsten von Dynamo Kiew »überzeugen« wollte, wie es in der Ukraine gelegentlich heißt.
Das war Mitte der 90er-Jahre. Die neu gegründete Champions League hatte ihren ersten Skandal. Und Grigori Surkis, ein schwerreicher Oligarch, Eigentümer des internationalen Spitzenklubs Dynamo und einer von rund 100.000 Juden in der Ukraine, steckte mittendrin. In den Wirren nach der Auflösung der Sowjetunion und der wiedererlangten Unabhängigkeit der Ukraine war er zu seinem Vermögen gekommen, 1993 hatte er schließlich den Klub gekauft, in dem sich das große Erbe des sowjetischen Fußballs vereinte.
Zu Sowjetzeiten war Surkis Angestellter der Stadt Kiew, im Bauamt. Wie er nach 1991 an sein Geld kam, ist unklar; jedenfalls investierte er es Erdöl, Landwirtschaft und Banken.
tradition Zweimal hatte Dynamo Kiew in den davor vergangenen zwei Jahrzehnten den UEFA-Cup der Pokalsieger gewonnen, in dieser Zeit mit einem massiven Block die sowjetische Nationalmannschaft, die Sbornaja, dominiert. Und dem sowjetischen Fußball sowohl den Kopf, Trainerlegende Waleri Lobanowski, geschenkt wie auch dessen wertvollsten Fuß, den Weltklassestürmer Oleg Blochin, der heute wiederum die ukrainische Sbornaja trainiert.
Wie einst Lobanowski, der vor zehn Jahren gestorben ist, gehört auch Blochin zur ukrainischen Machtelite und zum engen Umfeld von Oligarch Surkis. So wie Andrej Schewtschenko, der zweite ukrainische Weltklassestürmer, der seine Karriere bei Dynamo Kiew begonnen hatte. Die konnte vor allem deshalb schnell Fahrt aufnehmen, weil eine dreijährige UEFA-Sperre seines Klubs Dynamo Kiew dann doch auf ein Jahr reduziert wurde, nachdem die Sache mit den Pelzen aufgeflogen war.
Aber statt Grigori wurde damals Igor Surkis, der Bruder von Grigori und Mitglied im Klubvorstand von Dynamo, als Schuldiger vorgeführt. Seit Jahren ist Igor Surkis nun schon der offizielle Präsident von Dynamo. Der Eigentümer Grigori blieb außen vor und wurde zwischenzeitlich zum Präsidenten des ukrainischen Fußballverbandes FFU gewählt. Ein Amt, das er bis heute verteidigt – trotz der Versuche seiner Widersacher, der Oligarchen Rinat Achmetow (Schachtar Donezk) und Alexander Jaroslawski (Metalist Charkiw), ihn über eine Abwahl aus dem Amt zu drängen.
Surkis, der auch schon für das Amt des Kiewer Oberbürgermeisters kandidierte und im Parlament saß, gilt als Chef des sogenannten »Kiewer Clans«, eines Netzwerks von Multimillionären und -milliardären. Dem gehören nicht alle ukrainischen Oligarchen an, seit zwei Jahren tobt zwischen ihnen ein regelrechter Fußballkrieg.
Begleitet wird der durch eine Kampagne gegen Surkis, die sich auch an Kiewer Häuserwänden zeigt: Oft sind antisemitische Parolen gegen Grigori Surkis dort hingeschmiert. Zwar hat dessen Klub, der einstige Serienmeister Dynamo, längst seine Vorherrschaft an den amtierenden ukraini- schen Meister Schachtar Donezk abtreten müssen, und auch der Verein Metalist Charkiw schickt sich an, Dynamo sportlich zu überholen.
schweden An Surkis’ Macht ändert das nichts, er wird immer wieder von der UEFA gestärkt. In deren Exekutivkomitee sitzt er seit nunmehr acht Jahren – als engster osteuropäischer Verbündeter von UEFA-Präsident Michel Platini. Niemand spricht mehr über die Pelzmäntel aus Kiew, schließlich hatte Surkis Platinis Wahl gesichert. Anfang 2007 war der Franzose gegen den schwedischen Amtsinhaber Lennart Johansson angetreten. Dass die Wahl knapp würde, stand vorher fest. Einige Verbände, darunter der Deutsche Fußball-Bund, hatten sich bereits für den Schweden ausgesprochen.
Doch Grigori Surkis sammelte fleißig die Stimmen der osteuropäischen Verbände ein. In Polen halfen ihm der langjährige Verbandschef Michal Listkiewicz und Platinis ehemaliger Mitspieler bei Juventus Turin, Zbigniew Boniek. Gemeinsam hofften sie, dass man unter Platini zu mehr Einfluss gegenüber den großen Verbänden aus Westeuropa kommen könnte.
Platini gewann die Wahl schließlich, auch dank Surkis’ Netzwerk, mit 27:23. Die allermeisten osteuropäischen Delegierten hatten sich für Platini entschieden, und ihre Hoffnung erfüllte sich. Wenige Monate nach der Wahl verkündete Michel Platini nach einer Sitzung des Exekutivkomitees in Wales die Gastgeber der Europameisterschaft 2012: Ukraine und Polen. Dabei hatte dieses Bewerberduo bis dahin noch als krasser Außenseiter gegolten, Favorit für die Austragung der EM 2012 war Italien.
schmiergeld Zwei Jahre nach der Entscheidung erhob ein zypriotischer Funktionär schwere Korruptionsvorwürfe: Rund elf Millionen Euro Schmiergeld seien an einzelne Vorstandsmitglieder der UEFA gezahlt worden, um für die Gastgeberländer Polen/Ukraine zu stimmen. Unterdessen berichte- ten rumänische Medien davon, dass die dortige nationale Antikorruptionsbehörde gegen den Chef des rumänischen Fußballverbandes FRF, Mircea Sandu, ermittelte, der wie Surkis in der Exekutive sitzt. Er stand unter Verdacht, zwei Millionen Euro für sein Votum pro Polen/Ukraine erhalten zu haben. Die Vorwürfe halten sich, aber sämtliche Ermittlungen verliefen im Sand.
So saß Grigori Surkis nun beim Eröffnungsspiel der EM, Polen gegen Griechenland (1:1) im neu errichteten Nationalstadion in Warschau auf der Ehrentribüne links neben seinem wuchtigen Staatspräsidenten Wiktor Janukowitsch, in einer Reihe mit Michel Platini. Aber wie sein Pendant, der Vorsitzende des polnischen Fußballverbandes PZPN, Grzegorz Lato, hatte sich Surkis in der Zeit vor dem Turnierstart äußerst rar gemacht. Auf Interviewanfragen antwortete keiner von ihnen. Auch Lato steht unter Korruptionsverdacht, er soll beim Bau der neuen Verbandszentrale in Warschau kassiert haben.
Während Lato nach der EM vor einer möglichen Ablösung steht, gilt Surkis in der Ukraine noch immer als überzeugungsstarker Akteur mit fantastischen internationalen Beziehungen. Ihm traut man sogar zu, die Olympischen Winterspiele in die ukrainischen Karpaten zu holen. Bislang sind die noch kein bedeutender Fleck auf der Landkarte des internationalen Wintersports.
russland Doch längst gibt es ein Kräftemessen der Ukraine mit Russland um die weltweit bedeutendsten Sportereignisse: Erst bekam die Ukraine den Zuschlag für die EURO 2012, dann folgte Russland mit den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014, vor allem aber mit der Fußball-WM 2018. Seither denkt man in der Ukraine darüber nach, welches sportliche Topereignis ins Land geholt werden könnte: Warum nicht auch Olympia?
»Wenn Staatspräsident Janukowitsch Surkis darum bittet, die Olympischen Winterspiele zu holen, dann werden sie auch in der Ukraine stattfinden«, sagt dazu Artem Frankow, Chefredakteur des größten ukrainischen Fußballmagazins »Futbol«. Was ihn denn dabei so sicher mache? »Surkis hat ja bereits ein Wunder wahr gemacht. Dann wird es ihm auch gelingen, ein weiteres zu schaffen«, lautet die vielsagende Antwort. Surkis jedenfalls gilt als ein Mann, der Dinge möglich macht, indem er Entscheider »überzeugt«.