Michael Schneider war eine ungewöhnliche Erscheinung in der jüdischen Welt. Weder als langjähriger Chef der größten jüdischen Wohlfahrtsorganisation, des American Jewish Joint Distribution Committee (JDC), noch als Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses (WJC) machte er viel Aufheben von seiner Person und suchte nur ungern das Rampenlicht der Medien. Auch große Reden zu halten, war nicht seine Sache. Er ließ lieber anderen den Vortritt.
Der 1939 im südafrikanischen Paarl als Sohn litauischer Juden geborene Schneider kämpfte in jungen Jahren als einer der wenigen Weißen an der Seite von Nelson Mandela gegen das Apartheid-Regime. So schmuggelte er, als Priester verkleidet und mit einem gefälschten Beglaubigungsschreiben des südafrikanischen Präsidenten Charles Robberts Swart im Gepäck, im Auftrag von Mandelas ANC 20 Krankenschwestern außer Landes, die nach Tansania gingen.
ANTI-APARTHEID Das Land hatte kurz zuvor seine Unabhängigkeit erklärt, die Pflegerinnen waren eine Art »Geschenk« des verbotenen ANC an die linke Befreiungsbewegung des tansanischen Präsidenten Julius Nyerere. »Viele der Krankenschwestern heirateten später Tansanier, von denen einige dort sogar in die Regierung aufstiegen. Offenbar gibt es bis heute Krankenschwestern, die immer noch glauben, dass ich ein echter Priester war«, sagte Michael Schneider 2011 bei einem Vortrag in Südafrika schmunzelnd.
Mitte der 60er-Jahre entging Schneider nur knapp der Verhaftung, denn er war als Mitglied der weißen Afrikanischen Widerstandsbewegung (ARM) an Sabotageakten beteiligt. In seiner Garage lagerte die ARM unter anderem Sprengstoff. So schaltete die Gruppe die Signale der Pendlerzüge zwischen Kapstadt und Simonstown aus, was in der Großstadt am Kap zu einem beträchtlichen Chaos führte.
»Die Sabotageakte waren von Nelson Mandela beschlossen worden. Wir hielten uns an einen strikten Kodex: Personen sollten nicht zu Schaden kommen«, so Schneider. Einer der Angriffe auf Verkehrsknotenpunkte ging jedoch schief, und es kamen zwei Menschen dabei ums Leben. Ein Mitstreiter Schneiders, der für die Tat verantwortlich war, wurde zum Tode verurteilt und später hingerichtet.
Schneider und anderen dagegen gelang die Flucht nach Swasiland und Botswana. Einige Monate später wagte er heimlich die Rückkehr nach Südafrika, musste später jedoch erneut fliehen. In Großbritannien erhielt er 1968 schließlich politisches Asyl.
In London habe er dann vor einer schwierigen Wahl gestanden, erinnerte sich Schneider später: »Mir wurden zwei Stellen angeboten, einer im Gemeindezentrum der Quäker und der andere beim Jewish Welfare Board.« Letztere habe er dann deshalb angenommen, weil es dort 75 Pfund Sterling im Jahr mehr zu verdienen gab, erinnerte sich Schneider später. »Dieser Job brachte mich in die jüdische Gemeindearbeit, von da an nahmen die Dinge ihren Lauf.« Zehn Jahre verbrachte er beim Jewish Welfare Board.
IRAN Dann trat er 1978 dem JDC bei und wurde zunächst als Country Director in den Iran geschickt. Dort erlebte er die Wirren der islamischen Revolution und die Machtübernahme von Ajatollah Ruhollah Chomenei mit. Die Lage wurde schnell gefährlich, Schneider musste evakuiert werden. Von Rom aus kümmerte er sich weiter um das Wohlbefinden der iranischen Juden. Später wurde er in den Ostblock geschickt, zunächst nach Ungarn und in die Tschechoslowakei, später dann nach Jugoslawien. Mit den Regierungen dieser Länder handelte Schneider Abkommen zugunsten der jüdischen Gemeinden aus, um so Unterstützung aus den USA zu ermöglichen.
Im Jahr 1982 entsandte ihn das JDC nach Äthiopien. Dort gelang es Schneider, mit dem Regime zu einer Vereinbarung zu kommen, die es der amerikanischen Organisation ermöglichte, sich um die Juden in der Provinz Gondar zu kümmern. Mehrere Hilfsprojekte konnte Schneider so aufsetzen.
Ende der 80er-Jahre stieg er zum Geschäftsführer des in New York ansässigen JDC auf. Unter seiner Führung expandierte die weithin »Joint« genannte Organisation in der Sowjetunion und anderen Ostblockstaaten. So half das JDC nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime Hundertausenden Juden bei der Ausreise nach Israel und in andere westliche Länder.
WELTKONGRESS Auch an der »Operation Salomon«, bei der 1991 innerhalb kürzester Zeit mehr als 14.000 Juden von Äthiopien nach Israel ausgeflogen wurden, waren das American Jewish Joint Distribution Committee und Schneider mitbeteiligt. Juden in zahlreichen islamischen Ländern verdanken ihm ihre Rettung vor antisemitischer Verfolgung.
2002 zog sich Michael Schneider vom Chefsessel des Joint Distribution Committees zurück, doch er blieb weiterhin aktiv. 2005 übernahm er die Führung der World Jewish Restitution Organization (WJRO), einer von Israel und jüdischen Verbänden gegründeten Koordinationsstelle, die sich für die Rückgabe von während der NS-Herrschaft gestohlenem jüdischen Eigentum einsetzte.
2007 wurde Schneider schließlich von Ronald Lauder zum Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses berufen. Der weltweite Dachverband jüdischer Gemeinden war damals wegen heftiger innerer Verwerfungen in schwerem Fahrwasser.
Schneider gelang es, die Wogen zu glätten und Reformen einzuleiten. Dabei halfen ihm nicht nur seine Erfahrung und sein Netzwerk in den jüdischen Gemeinden in aller Welt, sondern auch seine ruhige, vermittelnde Art. 2011 zog er sich als WJC-General zurück, blieb aber im Hintergrund weiter aktiv und wirkte als Schlichter und »graue Eminenz«.
REAKTIONEN Am vergangenen Wochenende ist Michael Schneider im Alter von 83 Jahren an den Folgen seiner langjährigen Diabetes-Erkrankung gestorben. Der südafrikanische jüdische Dachverband SAJBD würdigte ihn als einen »großen jüdischen Südafrikaner, der sein Leben im Kampf für Gerechtigkeit in seinem Geburtsland riskierte und sich anschließend um das weltweite Judentum verdient gemacht hat«.
Gideon Taylor, Präsident der Jewish Claims Conference und zuvor ebenfalls bei der WJRO und dem JDC tätig, nannte den Verstorbenen »einen Giganten«, der ihn persönlich wie kein Zweiter geprägt habe. »Michael trat immer leise und zurückhaltend auf, dachte aber sehr tiefgründig. Er war ein meisterhafter Stratege und eine der großen Persönlichkeiten des jüdischen Gemeindelebens. Das Vermächtnis, das er hinterlässt, wird in der ganzen Welt noch lange zu spüren sein«, sagte Taylor dieser Zeitung.
In einem am Mittwoch vom WJC veröffentlichten Statement nannte dessen Präsident Ronald S. Lauder Schneider einen der »wenig bekannten Helden des jüdischen Volkes«, der »persönlich für die Rettung Tausender und Abertausender von Juden aus Ländern verantwortlich« gewesen sei, wo sie sich in großer Gefahr befunden hätten.
»Ich habe ihn für seine Integrität, seinen scharfen Intellekt, seine Bescheidenheit und vor allem für seine uneingeschränkte Hingabe an das Wohl des jüdischen Volkes immer bewundert und respektiert«, so Lauder weiter. Der Jüdische Weltkongress schulde Schneider zudem großen Dank dafür, dass er nach einer Reihe von Krisen wieder »für Ruhe gesorgt« sowie »Transparenz und finanzielle Stabilität in unserer Organisation eingeführt hat. Ich werde seine Freundschaft und seine stets klugen Ratschläge vermissen«, erklärte der WJC-Präsident.