Heute ist Muttertag. Ein Tag, an dem Mütter von ihren Kindern besondere Aufmerksamkeit erwarten. Für uns, die Söhne und Töchter jüdischer Mütter, also ein Tag wie jeder andere! Denn wir alle, ob regeltreu oder rebellisch, lieben und fürchten niemanden mehr als die »jiddische Mamme«.
Stärker noch als die Frage, ob Gott uns für den unterlassenen Synagogenbesuch am letzten Schabbat bestrafen wird, beschäftigt uns die Angst vor der mütterlichen Missbilligung unserer Partner- oder Berufswahl. Von ihr, der Mutter, bekommen wir bedingungslose Liebe, Ratschläge, die wir nie erbeten haben, und prall gefüllte Tupperdosen mit Resten liebevoll gekochter Mahlzeiten.
Die Mutter ist eine, wenn nicht die zentrale Figur im Judentum. Die Tora ist voller Geschichten von Müttern wie Eva, Sarah, Rachel und Hannah, die, so unterschiedlich sie auch gewesen sein mögen, allesamt (willens-)starke Frauen waren.
Gesellschaft Eine solche, wenn auch keine Jüdin, war Anna Jarvis, amerikanische Frauenrechtlerin aus Grafton, Virginia. Um ihrer ebenfalls politisch aktiven Mutter Ann ein Denkmal und gleichzeitig ein Zeichen für die soziale und politische Rolle von Frauen in der Gesellschaft zu setzen, engagierte sich Jarvis nach dem Tod ihrer Mutter im Jahre 1905 leidenschaftlich für die Einführung eines »Mutter-Ehrentags«.
1908, am dritten Todestag von Ann Jarvis, verteilte sie 500 Nelken, die Lieblingsblumen ihrer Mutter – nicht ahnend, dass ihre symbolische Geste der Liebe und Anerkennung vor allem das Herz der Blumenhändler erfreute, die – zu Recht, wie sich kurze Zeit später herausstellen sollte – eine lukrative Geschäftsidee witterten.
1914 erklärte US-Präsident Woodrow Wilson den Muttertag zum amerikanischen Feiertag, und bald darauf schwappte die Muttertagswelle in die ganze Welt. Der Muttertag wurde kommerzialisiert, von gesellschaftlichen und politischen Gruppen instrumentalisiert, von den Nationalsozialisten pervertiert, kurzfristig ausgesetzt und immer wieder bekämpft, aber abgeschafft wurde er nicht. Auch nicht in den USA.
Blumengeschäft Als Anna Jarvis, die »Mutter des Muttertags«, versuchte, ihre eigene, wie sie sagte, »vom Gedenk- zum Geschenktag mutierte« Erfindung wieder abzuschaffen, landete sie wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses im Gefängnis, verlor durch jahrelanges Prozessieren gegen die Blumengeschäftswelt ihr gesamtes Vermögen und verstarb kurze Zeit später.
Heute ist der Muttertag in den USA Statistiken zufolge nach Weihnachten und Ostern der drittbeliebteste Feiertag, an dem etwa 123 Millionen Telefongespräche geführt, 133 Millionen Grußkarten verschickt und Blumensträuße im Wert von insgesamt rund zwei Milliarden Dollar verkauft werden. Auch an jüdische Mütter. Schon die Tora lehrt, »Mutter und Vater zu ehren«. Damit ist der Muttertag irgendwie auch eine urjüdische Erfindung.