Die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright ist im Alter von 84 Jahren gestorben. Sie sei am Mittwoch im Kreis von Familie und Freunden einer Krebserkrankung erlegen, teilte ihre Familie in einer Stellungnahme mit, die über Albrights Twitter-Account verbreitet wurde.
Albright war eine Spätberufene. Erst im Alter von 55 Jahren stieg sie in die erste Reihe der Politik vor. Unter Präsident Bill Clinton wurde sie 1993 Botschafterin der US-Regierung bei den Vereinten Nationen in New York. In Clintons zweiter Amtszeit rückte sie als erste Frau überhaupt an die Spitze des Außenministeriums. In diesem Amt wurde die ursprünglich aus Tschechien stammende Demokratin, deren Familie in die USA eingewandert war, zu einer führenden Stimme der US-Außenpolitik im 20. Jahrhundert.
FLUCHT Albright war am 15. Mai 1937 als Marie Jana (genannt Madlenka) Körbel in Prag als ältestes von drei Kindern einer jüdischen Diplomatenfamilie geboren worden. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die damalige Tschechoslowakei 1939 wanderte die Familie zunächst nach England aus, wo Albright katholisch erzogen wurde. Ihre Eltern waren aus Angst vor den Nazis zum Christentum konvertiert.
Nach dem Krieg kehrte die Familie kurzzeitig nach Prag zurück; Josef Körbel wurde zum Botschafter berufen. Allerdings verließen die Körbels mit der Machtübernahme der Kommunisten 1948 erneut das Land und gingen diesmal nach Amerika. In Denver, Colorado, wuchs Madeleine Albright auf. 1957 wurde ihr die US-Staatsangehörigkeit verliehen.
POLITISCHES ENGAGEMENT 1959 heiratete sie den Journalisten Joseph Albright. Madeleine konvertierte vom Katholizismus zur Episkopalkirche ihres Mannes. Das Paar hatte drei Töchter; die Ehe wurde aber 1982 geschieden.
Wie Joseph Albright war auch Madeleine zunächst publizistisch tätig. Ihr Studium beendete sie mit einer Promotion über den Prager Frühling 1968. Schnell landete sie im politischen Washington und arbeitete zunächst für einen demokratischen US-Senator. Anschließend war sie Mitglied im Mitarbeiterstab des nationalen Sicherheitsberaters von Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, der wie sie selbst aus einer Diplomatenfamilie entstammte, die Europa in der NS-Zeit verließ.
Im Präsidentschaftswahlkampf 1992 half Madeleine Albright dem demokratischen Kandidaten, dem Gouverneur von Arkansas Bill Clinton, und nach dessen Wahlsieg wurde sie zur UN-Botschafterin der USA berufen. In der zweiten Amtsperiode Clintons diente Albright dann als Secretary of State. Vor allem der Krieg im zerfallenden Jugoslawien, aber auch der Nahostkonflikt beschäftigten sie stark.
Albright galt als zähe und hartnäckige Verhandlerin, die im persönlichen Gespräch mit Staatschefs und Ministern gerne Tacheles redete. Das galt auch für die Führer in Nahost, denen sie ins Stammbuch schrieb: »Es reicht nicht, nur über den Wunsch nach Frieden zu reden, sondern man muss auch harte Entscheidungen treffen.«
Nach ihrem Abgang blieb Albright weiter aktiv, schrieb Bücher, übernahm eine Professur an der Georgetown University und eröffnete eine stategische Beratungsfirma in Washington, die Albright Group. Mit ihrer Nachfolgerin als Außenministerin, Hillary Clinton, war sie eng befreundet. Nach ihrem Abgang aus dem Außenministerin 2001 wurde Albright vom damaligen tschechischen Staatspräsident Vaclav Havel sogar als dessen Nachfolgerin ins Spiel gebracht, was sie aber ablehnte.
FAMILIENGESCHICHTE Lange Jahre wusste Madeleine Albright nichts über ihr Judentum und auch nicht über die Tatsache, dass 26 Verwandte ihrer Eltern im Holocaust ermordet worden waren. Dazu zählten auch Albrights Großeltern väterlicherseits, Ernst und Olga Körbel, und ihre Tante Margarethe Deiml.
Erst als sie Ende der 90er Jahre als Secretary of State nominiert wurde, forschte sie genauer in ihrer Familiengeschichte nach, auch ausgelöst durch einen Bericht der »Washington Post« über ihre tschechische Cousine Dagmar Simonova, der während des Krieges in London ihr Kindermädchen war und deren Eltern in der Schoa starben. Ihre eigenen Eltern hätten nie mit ihr darüber gesprochen, wie die Großeltern gestorben seien, sagte Albright damals der Zeitung.
Sie habe das Thema auch nie hinterfragt oder erforscht, weil sie ihre Großeltern nur bis zum zweiten Lebensjahr gekannt und keine Erinnerungen an sie habe. »Ich kann Ihnen nicht sagen, dass [meine Eltern] zu irgendeinem Zeitpunkt gesagt hätten: ›Unsere Eltern sind tot‹. Ich kannte das Konzept der Tatsache, dass sie selbst Eltern hatten, [damals] nicht. Es gab keine Großeltern, als ich ein kleines Mädchen war.« Ihre Eltern hätten ihr auch als Erwachsene lediglich gesagt, dass die Großeltern »während des Kriegs« gestorben seien.
Die Erfahrung, einen Krieg miterlebt zu haben, habe aber ihren Lebensweg geprägt und sie dazu inspiriert, sich für den internationalen Frieden und die Diplomatie einzusetzen, sagte Albright. »Meine Freunde fragen mich oft, ob ich Pessimistin bin oder Optimistin. Ich bin eine Optimistin, die sich große Sorgen macht«.
Sorgen machte sie sich auch um Wladimir Putins Machtgelüste in Richtung Ukraine, und Albright prangerte es lange vor vielen anderen öffentlich. In einem ihrer letzten Artikel, der am 23. Februar in der »New York Times« veröffentlicht wurde, schrieb sie: »Anstatt Russlands Weg zur Größe zu ebnen, würde ein Einmarsch in die Ukraine Herrn Putins Schande besiegeln, sein Land diplomatisch isolieren, wirtschaftlich verkrüppelen und strategisch verwundbar gegenüber einer stärkeren, geeinten westlichen Allianz zurücklassen.«
MAHNERIN Die Ukraine habe ein Recht auf staatliche Eigenständigkeit, unabhängig davon, wer ihre Nachbarn seien. »Das ist die Botschaft, die der jüngsten westlichen Diplomatie zugrunde liegt. Sie definiert den Unterschied zwischen einer Welt, die von Rechtsstaatlichkeit geprägt ist, und einer Welt, die keinerlei Regeln unterliegt.«
Zur Ehre der Verstorbenen wurden Flaggen an öffentlichen Gebäuden in den USA auf halbmast gesetzt. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock erklärte auf Twitter, auch sie stehe heute auf Albrights Schultern. »Mit Haltung, Klarheit und Mut stand Madeleine Albright als erste US-Außenministerin ein für Freiheit und die Stärke von Demokratien«, schrieb die Grünen-Politikerin. »Mit ihr verlieren wir eine streitbare Kämpferin, wahre Transatlantikerin und Vorreiterin.«
Auch viele andere Politikerinnen weltweit drückten ihre Bewunderung über Albright aus und bezeichneten sie als ein Vorbild. Die israelische Verkehrsministerin Merav Michaeli erklärte, Albright sei eine »bahnbrechende Frau« gewesen. »Sie hat uns gezeigt hat, dass der Kampf für die Gleichberechtigung ein Kampf ist, den wir gewinnen können. Möge ihr Andenken ein Segen sein.« (mit dpa).