Wie systemrelevant ist Mazze? Nelly Lammers, eine 77-jährige Amsterdamerin, hat diese Frage Mitte März eigentlich schon beantwortet. Und zwar negativ. Notgedrungen.
Denn auch die Niederlande befinden sich im Lockdown. Dass der Supermarkt ihr und ihrem Mann die Standardlebensmittel wie immer nach Hause liefert, ist da schon einiges wert. Nur ist da eben nichts für das bevorstehende Pessachfest im Angebot.
Aufruf Doch dann liest Nelly Lammers auf der Website von Maccabi Nederland einen Aufruf: »Liebe Freunde, Makkabäer! In diesen unsicheren Zeiten sollt ihr wissen, dass ihr nicht alleine seid.«
Auch die Niederlande befinden sich im Lockdown.
Wenig später empfangen Nelly, der das Gehen schwerfällt, und ihr 86-jähriger Mann Herman eine große Packung Mazze an der Wohnungstür. Pessach ist gerettet. Das Ehepaar Lammers ist gerüstet.
Akute Gesundheitsprobleme haben die beiden derzeit nicht. »Zu zweit können wir es noch ein Weilchen aushalten«, sagt Nelly zuversichtlich. Die Initiative von Maccabi kommentiert sie mit zwei Worten: »Ungeheuer schön!«
Enthusiasmus Die Frau, die all dies auf die Beine gestellt hat, ist nicht minder angetan. Laura Renberg-Dunkelgrün, Geschäftsführerin von Maccabi Nederland mit seinen 17 Abteilungen, sprudelt vor Enthusiasmus, wenn sie die vergangenen anderthalb Wochen zusammenfasst. »Als das mit Corona begann, haben wir natürlich alle Sportveranstaltungen abgeblasen. Aber wir wollten nicht einfach sagen: ›Wir sehen uns nach der Krise‹, sondern fragten uns: Wie können wir mit unseren Mitgliedern in Kontakt bleiben?«
Der siebenköpfige Maccabi-Vorstand verschickte Links zu Online-Work-outs – und merkte bald, dass dies nicht reicht. Weder für Art und Umfang der Krise noch für das Bedürfnis, in dieser Situation zu helfen, und zwar nicht nur den Mitgliedern.
Also veröffentlichte er am Abend des 14. März nach Ausgang des Schabbats den Aufruf auf Niederländisch, Englisch und Hebräisch. Er spricht Menschen an, die Hilfe bei Einkäufen und anderen Besorgungen suchen, ein offenes Ohr oder Kontakt zu einem Arzt. Und er wendet sich an Freiwillige, die ihnen beistehen wollen.
Innerhalb von 24 Stunden finden sich auf diese Weise 100 hilfsbereite Menschen, und einen Tag später wird in Amersfoort die erste Tasche mit Einkäufen zu einem Hilfebedürftigen gebracht.
Infektionsrisiko Seitdem hat Laura Renberg-Dunkelgrün kaum eine ruhige Minute. Wie die meisten Niederländer arbeitet auch sie in diesen Wochen von zu Hause. Während sie ihre beiden kleinen Kinder versorgt und bei Laune hält, koordiniert sie die Maccabi-Hilfe im ganzen Land und sieht zu, dass Helfer und Bedürftige dieselbe Sprache sprechen und dass bei der Übergabe kein Infektionsrisiko entsteht. »Die Gesundheit der Freiwilligen steht an erster Stelle.«
Und so werden in diesen schweren Zeiten nicht nur Einkaufstüten durchs Land gebracht, sondern auch Medikamente, Schulbücher und koschere Mahlzeiten.
Renberg-Dunkelgrün arbeitet ein Schema aus, nach dem einsame Menschen nun täglich einen Aufmunterungsanruf erhalten.
Schokoladentorte Wie motiviert die Freiwilligen sind, erfährt stellvertretend ein alter Mann, der die Krisenzeit allein in seinem Haus in Amsterdam verbringt. Seine Tochter nimmt aus Israel Kontakt mit Maccabi auf. Da zudem noch sein 93. Geburtstag ansteht, bekommt er eine hausgemachte Schokoladentorte geliefert.
Wie motiviert die Freiwilligen sind, erfährt stellvertretend ein alter Mann, der die Krisenzeit allein in seinem Haus in Amsterdam verbringt.
Am Ende der zweiten Woche hat die Hilfe Strukturen angenommen. Mehrere jüdische Organisationen wie Maror, Chabad on Campus oder das Sozialwerk JMW sind involviert. Zeit für Laura Renberg-Dunkelgrün, nach vorn zu blicken: »Pessach steht vor der Tür. Wir werden also 500 Seder-Pakete verschicken, mit Mazzen, einer Flasche Wein und einer Ausgabe der Haggada.«
Wie lange all dies nach Pessach weitergeht, weiß derzeit niemand. Irgendwann aber, wenn diese Krise überstanden ist, steht den Helfern ein besonderer Abend bevor.
Das kündigte Renberg-Dunkelgrün eines Abends gemeinsam mit den täglichen Updates an: »Der israelische Botschafter will unsere Freiwilligen zu einer Party einladen, wenn dies alles überstanden ist und die Leute wieder gesund sind!«