Am vergangenen Freitag verurteilte ein Gericht in Havanna den US-Bürger Alan P. Gross zu 15 Jahren Haft wegen »Akten gegen die Unabhängigkeit oder die territoriale Integrität Kubas«. Der Ausgang des Prozesses könnte entscheidenden Einfluss auf die nähere Zukunft der Beziehungen zwischen Kuba und den USA haben.
Während der zweitägigen Anhörung eine Woche zuvor sei die »direkte Beteiligung Gross’ an einem subversiven Projekt der Regierung der Vereinigten Staaten zur Beseitigung der Revolution durch den Gebrauch von illegalen Kommunikationsmitteln« bewiesen worden, so die Parteizeitung Granma in einer am Montag veröffentlichten Note. Während des Prozesses habe Gross anerkannt, von der staatlichen Entwicklungshilfebehörde USAID »benutzt und manipuliert« worden zu sein. Gegen die Strafe könne Revision eingelegt werden.
Der 61-jährige Gross war am 3. Dezember 2009 in Havanna verhaftet worden. Er soll Laptops, Mobiltelefone und anderes technisches Equipment an die kleine jüdische Gemeinde verteilt haben, was diese jedoch dementierte. Erst nach 15 Monaten Haft wurde formal Anklage gegen Gross erhoben. Die Staatsanwaltschaft forderte ursprünglich 20 Jahre Haft. An dem Prozess nahmen Gross’ Frau Judy, die Anwälte der Familie, Repräsentanten der US-Interessenvertretung in Havanna (SINA) sowie Vertreter der jüdischen Gemeinde teil. Diese waren für eine Stellungnahme jedoch nicht zu erreichen. Ausländische Journalisten waren bei dem Prozess ausgeschlossen.
Sympathisant Gross, der als Sympathisant Kubas gilt, hatte mehrere Jahrzehnte für diverse Entwicklungshilfeprojekte im Nahen Osten und Afrika gearbeitet. Nach Kuba war er im Auftrag der Development Alternatives Inc. (DAI) gereist, einer Organisation, die der USAID unterstellt ist. Diese finanziert mit jährlich 20 Millionen US-Dollar unter anderem Programme zur »Demokratieförderung« in Kuba. Die Regierung in Havanna unterstellt, dass damit regierungskritische Aktivitäten unterstützt werden. Beobachter vermuten, dass der Prozess dazu gedient habe, diese US-Programme zu denunzieren und Druck auf die US-Regierung auszuüben, diese zu beenden.
»Gross wurde nicht festgenommen, weil er Jude ist«, so Arturo López-Levy, Politologe an der Universität Denver. Nach Kuba würden ständig amerikanisch-jüdische Delegationen reisen, und viele von ihnen »haben kubanischen Juden Computer und Mobiltelefone gespendet«. Aber keine dieser Gruppen sei »Teil der erklärten Strategie, in Kuba einen Systemwechsel herbeizuführen«, sagte López-Levy im Gespräch mit der Nachrichtenagentur IPS und forderte eine Revision der Programme.
Bei verschiedenen Gelegenheiten hat die Regierung in Washington Gross’ Unschuld beteuert und die lange Untersuchungshaft als ungerechtfertigt kritisiert. Zu Beginn des Prozesses forderte US-Außenministerin Hillary Clinton Gross’ bedingungslose Freilassung. Nach der Strafverkündung am Freitag wiederholte Washington die Forderung. Auch mehrere jüdische Organisationen in den USA hatten sich für Gross eingesetzt. Unter anderem hatte die Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations einen Brief an Kubas Staatschef Raúl Castro geschrieben und um die Freilassung gebeten.
Spannungsfeld Der Fall Gross hat sich zu einem neuen Spannungsfeld der ohnehin schwierigen Beziehungen zwischen den USA und Kuba entwickelt und laut Washington die Möglichkeiten einer vorsichtigen Annäherung beider Seiten wieder gestoppt. Die kubanische Regierung hingegen ist überzeugt, dass die USA »die Instrumente ihrer Aggressionspolitik gegen die Revolution aufrechterhalten«, in den vergangenen Jahren aber die Methoden geändert haben und zunehmend auf einen »Cyberkrieg« setzen. Allerdings wird Kuba vor dem Parteikongress Ende April, auf dem die zaghaften Wirtschaftsreformen abgesegnet werden sollen, kaum an einer Verschlechterung der Beziehungen zu den USA interessiert sein.
Westliche Diplomaten und Analysten glauben, dass Gross zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, um eine klare und unmissverständliche Botschaft an Washington zu schicken. Viele vermuten, dass er später aus humanitären Gründen ausgewiesen wird. Wenige Wochen vor der Anklageerhebung hatte die US-Gesandte Roberta Jacobsen nach Gesprächen mit kubanischen Vertretern über Migrationsfragen Gross im Gefängnis besucht. Danach zeigte sie sich vorsichtig optimistisch über den in Kürze bevorstehenden Prozess und eine eventuelle Freilassung aus humanitären Gründen.
Der frühere Gouverneur von New Mexico, Bill Richardson, der Kuba mehrmals besucht hat, erklärte, dass eine solche Entscheidung von Castro die bilateralen Beziehungen schlagartig verbessern und die USA bewegen könnten, Kuba von der Liste der Terrorismus unterstützenden Länder zu streichen. Diese Forderung erhebt Havanna seit Längerem. Außerdem, so Richardson, könnte Washington die Reisebeschränkungen für US-Bürger aufheben. Wie der Politologe López-Levy fordert auch der frühere Gouverneur, die »Demokratieförderprogramme« einer Revision zu unterziehen. Es ist also gut möglich, dass mit dem Urteil das letzte Wort im Fall Gross noch nicht gesprochen ist.