Limmud, das große jüdische Weiterbildungscamp »Made in England«, gibt es inzwischen in mehr als 34 Ländern, darunter auch in Deutschland. Während die Mehrheitsgesellschaft Weihnachten feiert, werden sich auch dieses Jahr – inzwischen zum 33. Mal – viele Interessierte auf das Gelände einer englischen Universität begeben, um sich mehr als 1000 Vorträge zu jüdischen Themen anzuhören oder an verschiedenen Workshops teilzunehmen.
Hinter dem großen Ereignis steht jedoch keine Riesenmaschinerie, sondern neben ein paar Festangestellten wird die Konferenz von einer kleinen Schar talentierter Freiwilliger organisiert. Sie treffen sich nur hin und wieder, das meiste klären sie über das ganze Jahr hinweg per E-Mail oder am Telefon.
Vorbereitung An einem kalten, klaren Sonntagmorgen kurz nach Chanukka versammeln sich 42 der wichtigsten Freiwilligen im Bürogebäude der Organisation World Jewish Relief im Londoner Stadtteil Golders Green. Sie wollen ein letztes Mal die Limmud-Konferenz durchsprechen, die vom 22. bis 26. Dezember auf dem Campus der Universität Warwick stattfindet. Je zwei Freiwillige bilden eine Untergruppe mit bestimmten Aufgabenbereichen. Überall im Büro sitzen Limmudniks, die miteinander über Details sprechen. Auch Direktorin Shelley Marsh ist dabei.
Seit Jahren kommen nicht nur Briten zum Limmud-Festival. Auf der Anmeldeliste stehen Teilnehmer aus ganz Europa sowie aus Israel, den USA, Mexiko, Argentinien, Australien und Südafrika. Sogar ein Referent aus Kamerun, der über das Judentum in Afrika sprechen soll, hat sich angemeldet. »Allerdings warten wir noch auf seine Einreiseerlaubnis«, sagt Marsh.
Die Organisatoren haben viel zu tun, doch Marsh gibt sich gelassen. Sie betont, dass alles, was Limmud darstellt, heute wie damals von den Freiwilligen geleistet wird: »Kein Profiteam der Welt kann jedes Jahr neuen Wind mitbringen und jeden Limmud frisch und neu erscheinen lassen. Was die hier machen, ist unbezahlbar!«
Teilnehmer Neben Shelley Marsh steht Toni Rickenback (33), eine von zwei freiwilligen Programmkoordinatoren. Sie erzählt, dass sie anfangs fast 1500 Vortrags- und Seminarangebote für die Limmud-Konferenz hatte. Und nicht nur das, mit etwa 2500 Teilnehmern ist sie die bisher größte – ein Zeichen für den Erfolg von Limmud.
Die Vorträge und Seminare sind in verschiedene Themenbereiche gegliedert: Religion und Philosophie, Kunst und Kultur, Soziales, Geschichte und Politik. Rickenback führt einige Highlights des diesjährigen Programms auf: »Wir haben diesmal viele Seminare zum Thema ›Jüdisches Leben in Europa‹. Leute von überallher werden berichten, dass das Judentum vielerorts in Europa blüht.« Enthusiastisch erwähnt sie auch die jüdisch-äthiopische Sängerin Hagit Yaso sowie Avielah Barclay, die erste Toraschreiberin, und Paul Wolpe, den Direktor für Bioethik der NASA, sowie die Nahostexpertin Jane Eisner von der New Yorker Tageszeitung »Forverts«.
Limmud kann sich dieses Jahr auch auf die Teilnahme des neuen britischen Oberrabbiners Ephraim Mervis freuen. Sein Vorgänger, Sir Jonathan Sacks, hatte es vorgezogen, die Weiterbildungswoche zu meiden, weil es von einigen ultraorthodoxen Rabbinern Proteste gab. Als bekannt wurde, dass Mervis kommende Woche bei Limmud sprechen würde, erließen sie einen Gilui Da’at, ein Manifest, in dem sie schreiben, dass seine Teilnahme eine Bestätigung des »Pseudojudentums« sei. Passend zu dieser Kontroverse möchte der Oberrabbiner einen Vortrag über die Konfliktlösung innerhalb der jüdischen Gemeinschaft halten.
Lernstörungen Neu an der Limmud-Konferenz in diesem Jahr ist auch, dass sich erstmals zwei Betreuer ausschließlich um Teilnehmer mit Lernstörungen kümmern werden. Außerdem gibt es neuerdings eine Inklusionsbeauftragte, die sich der Probleme von Menschen mit Behinderungen, Alten oder Angehörigen anderer Religionen annehmen soll und diese Menschen individuell betreut. Für Inklusionskoordinatorin Abigail Jacobi (22), die unter der Woche für die Zentrale des liberalen Judentums in London arbeitet, ist die Limmud-Konferenz einer der Jahreshöhepunkte. Sie sei wichtig für ihre jüdische Identität, sagt sie, »weil man hier dem gesamten Spektrum jüdischer Lebensarten begegnet«.
Über ganz andere Dinge sprechen Richard Rowlands (52) und Dan Mackenzie (21), die am Nachbartisch sitzen. Sie sind für den Transport und die Registrierung der rund 2500 Personen verantwortlich. Rowlands ist professioneller Eventmanager und macht seit Jahren bei Limmud mit. »Diesmal wird die Konferenz zum ersten Mal so groß, dass wir nicht mehr alle Teilnehmer auf dem Universitätscampus unterbringen können, sondern einen Fahrdienst zu außerhalb liegenden Hotels organisieren müssen«, sagt er.
Rowlands gefällt die Herausforderung der Limmud-Konferenz auch aus dem Grund, dass »sie zu einer Zeit stattfindet, da nirgendwo sonst eine Veranstaltung läuft«. Es sei nicht leicht, Busunternehmen zu finden, die von den verschiedenen Städten aus zur Universität Warwick in der Nähe von Coventry fahren und nicht das Zehnfache verlangen.
Auch Dan Mackenzie ist nicht zum ersten Mal hier. Der Ingenieurstudent war in den letzten vier Jahren freiwilliger Leiter des Jugendprogramms. Was er dabei neben dem Erforschen des Judentums gelernt hat, soll nun seiner Bewerbung bei einem Formel-Eins-Team helfen, sagt er.
Mit diesen Worten drängelt sich Mackenzie mit den anderen in den kleinen Besprechungsraum. Vielleicht ist dies ein Vorgeschmack auf eine der vielen Erfahrungen bei Limmud: anstehen, drängeln und von einem Vortrag zum anderen eilen. »Keine Angst!«, versichert Rowlands: »Mein Motto ist: So sanft und glatt wie möglich, sodass sich niemand an die Organisation erinnert, sondern nur an die hervorragenden Seminare und Vorträge.«
www.limmud.org