Eine fröhliche Melodie hallt durch die Turnhalle mit den Kletterstangen. Nicht alle Töne sind richtig getroffen, aber dafür wird umso enthusiastischer gespielt. »Was können wir tun, um es besser zu machen?«, fragt ein Mann, der sich leicht nach vorn beugt und den Musikern tief in die Augen schaut. Um ihn herum sitzen in mehreren Reihen im Halbkreis rund 25 Schüler der King-David-Grundschule in Liverpool, die sich gerade an ein Stück von Henry Purcell wagen.
Der Mann heißt James Taylor (59) und leitet das Orchester. Wie lange er schon an der Schule ist, weiß er nicht. Aber seine Kollegin Helen Abrams, eine Frau mit einem auffallend großen silbernen Davidstern um den Hals und dunkel lackierten Fingernägeln, hilft ihm auf die Sprünge: Taylor habe doch bereits ihr das Spielen im Orchester beigebracht, als sie selbst noch ein Schulmädchen war, sagt sie. Das ist mindestens 30 Jahre her, denn Abrams ist 38 Jahre alt und heute selbst Lehrerin an der »King David«. Sie lehrt alles, was mit jüdischer Religion zu tun hat.
Seit Abrams’ Kindheit hat sich die Zahl der Liverpooler Juden halbiert: Etwas mehr als 2000 sind es heute. »Die meisten von damals sind nach London gezogen oder nach Israel ausgewandert«, bedauert Abrams. Ganze drei Synagogen gebe es heute noch in der Stadt.
Neubau Die King-David-Grundschule ist die einzige jüdische Schule in Liverpool und Umgebung. Sie ist in einem Neubau untergebracht und befindet sich auf einem großen modernen Gelände, auf dem auch eine weiterführende Schule steht, die ebenfalls zum King-David-Campus gehört.
Gegründet wurde die Schule 1841 als wohltätige Stiftung »für die Kinder der Armen des hebräischen Glaubens«. Damals waren noch alle Schüler jüdisch, doch schon etwa zehn Jahre später nahm man auch nichtjüdische Kinder auf. Inzwischen ist eine staatliche Schule daraus geworden, und nur noch rund 30 Prozent der Schüler seien jüdisch, sagt Rektorin Rachel Rick (55), die selbst katholisch ist.
Doch ganz gleich, ob sie jüdisch sind oder nicht – alle Kinder lernen Hebräisch und begehen im Unterricht die jüdischen Feiertage. Der einzige Unterschied zwischen jüdischen und nichtjüdischen Schülern sei, dass Erstere einen auf das Judentum zentrierten Religionsunterricht haben, während die anderen einen allgemeinen, staatlichen Religionsunterricht erhalten.
Rick ist stolz auf die acht Jahre, die sie an der Spitze der Schule steht. Sie lobt die Vielfalt, die hier herrsche, und betont, dass es eine Maxime an ihrem Haus ist, dass alle aufeinander achten. Und noch etwas betont sie: Die »King David« sei eine der wenigen Schulen im Königreich, an der die Kinder die britische Nationalhymne auswendig können.
Vermittler Mit einer eigenen Synagoge und Lehrern, die über Expertenwissen verfügen, dient die King-David-Schule seit Jahren als örtliche Vermittlungsstelle des Judentums gegenüber der Mehrheitsgesellschaft. Immer wieder besuchen Klassen von anderen Schulen die »King David«, um über das Judentum zu lernen.
Wer auf Israel zu sprechen kommt, dem begegnet die Schulleitung gezielt diplomatisch. Auf Israel beziehe man sich »ganz ohne Politik«, sagt Rick. »Wir beschäftigen uns beispielsweise mit Israel, um über Wasserprobleme zu sprechen oder darüber, wie Juden in Israel leben.« Allerdings sind die Kinder auch mit der Hatikwa, der israelischen Nationalhymne, vertraut, und zwischen den vielen bunten Kunstobjekten und Gemälden in den Fluren hängt die eine oder andere israelische Flagge.
Wie für alle jüdischen Einrichtungen gelten auch für die King-David-Schule besondere Sicherheitsvorkehrungen. So werden mit den Schülern regelmäßig entsprechende Übungen durchgeführt, und seit den jüngsten Terroranschlägen in Paris und Kopenhagen gibt es zusätzliches Sicherheitspersonal.
»In den acht Jahren meiner Leitung habe ich noch nie antisemitische Angriffe erleben müssen«, sagt Rachel Rick. Eltern anderer Religionszugehörigkeit, darunter gläubige Christen und Muslime, schätzten das Wertebild der Schule, sagt sie und berichtet, dass sie gerade dabei ist, ein Konzept zu entwickeln: Demnach sollen den Schülern außer dem Judentum bald auch andere Religionen vermittelt werden.
Hörner Die Lehrerin Helen Abrams hält es für sehr wichtig, dass nichtjüdische Kinder etwas über das Judentum lernen. Denn nur so könnten sie gegen antisemitische Vorurteile angehen, sagt sie. Bei ihren nichtjüdischen ehemaligen Schulfreunden wirke das bis heute nach: »Sie kämpfen gegen Judenhass. Und das ist nicht selbstverständlich. Denn als ich mich in Nordengland zur Lehrerin ausbilden ließ, staunten manche darüber, dass ich keine Hörner habe.«
Ja, es gebe in Großbritannien an vielen Orten beleidigende Ignoranz, bestätigt Monica Gonzalez-Correa. Sie ist Mitte 30 und in Chile und Belgien aufgewachsen. Ihr Sohn Clemente (10), der im Orchester Cello spielt und dem Gespräch der Erwachsenen gelauscht hat, nickt zustimmend. Er ist gern an der King-David-Schule und berichtet stolz von seiner Rolle als Schülersprecher: »Man hört auf mich«, sagt er und lächelt. Bald werde die Schule auf seine Initiative, wie er schildert, eine Ruhezone einrichten, in die sich die Kinder in den Pausen zurückziehen können.
Zusammenspiel Für das gute Miteinander an der Schule mag auch das Orchester wichtig sein. »Wenn wir zusammen spielen, müssen wir gut aufeinander hören«, sagt der zehnjährige Ruben, der eine schwarze Kippa trägt und einen dunkelblauen Sportanzug, aus dem die Zizit heraushängen. Ruben ist der einzige Saxofonist im Orchester.
Die neunjährige Neve spielt Cello, so wie Clemente. Das Instrument ist fast so groß wie sie selbst. Es sei eine Herausforderung, im Orchester zu spielen, sagt sie, »denn wir spielen oft in unterschiedlichen Geschwindigkeiten«.
Auch für Musiklehrer James Taylor, der seit seiner Geburt in Liverpool lebt, war die Schule am Anfang eine Herausforderung: Der vor allem in klassischer Musik ausgebildete Lehrer musste sich mit Melodien, Rhythmen und Instrumenten des Nahen Ostens vertraut machen.
»Heute spielen wir neben dem klassischen Repertoire oft auch orientalische Melodien«, sagt er und wendet sich an sein Schulorchester: »Um es besser zu machen, müsst ihr nicht nur zuhören, sondern auch etwas langsamer spielen.« Die Mädchen und Jungen des King-David-Orchesters versuchen es mit gedrosselter Geschwindigkeit. Das klingt schon viel besser. Doch bis zum Konzert werden sie noch etwas genauer aufeinander hören müssen. Wer die Schule durch den Hauptausgang verlässt, kommt an einem Kunstobjekt vorbei, das direkt unter der Treppe steht. Es ist ein Pinguin in der Größe der Schüler. Er trägt einen blau-weiß-roten Union Jack aus synthetischen Fasern und auf der Brust einen großen Davidstern mit dem Emblem der Schule. Er ist klein, doch er geht aufrecht, und das mitten in Liverpool.