Die schwere Holztür des weißen Gebäudes in der Ulica Zidovska ist verschlossen, aber es gibt eine Klingel. »Kommen Sie herein«, sagt Marjetka Bedrac. Die Kunsthistorikerin ist eine von zwei fest angestellten Mitarbeitern in der Synagoge von Maribor. Gottesdienste gibt es hier schon lange keine mehr, die alten Gemäuer beherbergen jetzt ein Kulturzentrum.
Auf dem Programm stehen kleine Konzerte, Ausstellungen oder Lesungen. Bedrac und ihr Verein wollen interessierten Gästen »die jüdische Kultur näher bringen«. Schulklassen kommen vorbei, hin und wieder klingeln auch Touristen. Der Besucheransturm halte sich in Grenzen, sagt Bedrac. Das allerdings könnte sich bald ändern, schließlich ist 2012 kein Jahr wie jedes andere. Seit Anfang Januar trägt Maribor, gemeinsam mit dem portugiesischen Guimarães, den Titel »Kulturhauptstadt Europas«.
Freude Knapp 120.000 Menschen leben im kleinen Maribor, der immerhin zweitgrößten Stadt Sloweniens. Von Euphorie, für ein Jahr Kulturkapitale des Kontinents zu sein, ist hier im Moment noch erstaunlich wenig zu spüren. Einige Bürger freuen sich zwar durchaus darüber, können aber nicht so ganz verstehen, warum sich ausgerechnet ihre wenig glamouröse Heimat nun Kulturhauptstadt nennen darf.
Die frühere Industriehochburg tut sich schwer damit, den Ruf des hässlichen Entleins abzulegen. Nach dem Zerfall Jugoslawiens kämpfte Maribor mit Arbeits- und Perspektivlosigkeit. Mit dem Strukturwandel wuchs das Selbstbewusstsein, hinter den renovierten Altstadtfassaden scheint dieses aber angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise inzwischen schon wieder dahinzubröckeln.
Die Stadtkassen sind leer, der Festival-Etat wurde kurzerhand von 50 auf 8,5 Millionen Euro zusammengestrichen. Das sei immer noch viel zu viel verschwendetes Geld, wettern Kulturmuffel. Von denen scheint es in Maribor besonders viele zu geben.
Auch das »Zentrum für jüdisches Kulturerbe« von Marjetka Bedrac wird mit öffentlichen Geldern finanziert. Entsprechend besorgt ist man hier über die Haushaltsprobleme und ihre möglichen Folgen für die Synagoge.
Erlebnis Für Maribor und seine Touristen wäre es tragisch, wenn das Zentrum schließen müsste, allein der Besuch des alten Gotteshauses ist ein Erlebnis. Während draußen die Menschen am Ufer der Drau entlang spazieren, fühlt man sich im Innern wie im Mittelalter.
Die gotischen Decken des früheren Gebetsraumes sorgen für eine atemberaubende Akustik. Geflüsterte Worte werden zu lauten Sätzen. Stolz weisen die Mitarbeiter des Zentrums darauf hin, dass es sich bei ihrem Gebäude um eine der ältesten vollständig erhaltenen Synagogen Europas handelt.
Im Jahr 1429 wurde das Bethaus erstmals urkundlich erwähnt, doch dürfte es schon deutlich früher errichtet worden sein. Anfang des 16. Jahrhunderts wurde es in eine katholische Kirche umgewidmet, nachdem Kaiser Maximilian die Juden – damals immerhin ein Viertel der Stadtbevölkerung – ins Exil gedrängt hatte.
Erst im 19. Jahrhundert siedelten sich wieder jüdische Familien in der Stadt an. Die frühere Synagoge war zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Lagerhaus. Einige Juden verließen die Stadt noch vor dem Zweiten Weltkrieg. Fast alle, die blieben, fielen den deutschen Besatzern zum Opfer, wurden deportiert und ermordet. Unter dem Jubel der christlichen Bevölkerung besuchte Hitler im April 1941 »Marburg an der Drau« – so der deutsche Name der Stadt – und diktierte seinem steirischen Gauleiter: »Machen Sie mir dieses Land wieder deutsch!«
Anfang der 90er-Jahre beginnen Experten damit, die Synagoge zu restaurieren. Als sie fertig sind, sieht das Gebäude in etwa so aus wie vor 500 Jahren. Doch eine Gemeinde fehlt in Maribor, es leben nicht genug Juden in der Stadt. Umso bizarrer wirkt da, dass im Winter 2009 Unbekannte die deutschen Worte »Juden raus« ans Kulturzentrum pinselten.
Probleme Igor Vojtic ist einer der wenigen Juden, die heute in Maribor leben. In ganz Slowenien sind es nur etwa 150, die meisten davon in Ljubljana. Die slowenische Hauptstadt ist auch Sitz der einzigen jüdischen Gemeinde im Land. In keinem anderen EU-Staat gebe es weniger Juden als in Slowenien, sagt Vojtic.
Diese Tatsache sorgt für jede Menge organisatorische Probleme. Der Rabbiner lebt in Italien und muss extra aus dem Nachbarland anreisen. In ganz Slowenien gibt es zudem kein koscheres Essen zu kaufen. Auch sonst sei jüdisches Leben im Land zuletzt eher unsichtbar gewesen, meint Vojtic, der als Tierarzt in Maribor arbeitet.
Bis auf die ehemalige Synagoge erinnern in der Stadt allenfalls ein paar Straßennamen an die örtliche jüdische Geschichte. So gibt es neben der Zidovska Ulica, der Judengasse, auch einen Judenturm, der früher einmal mit drei anderen Türmen die Stadtmauer zusammenhielt.
Das Kulturhauptstadt-Jahr soll nun auch dazu genutzt werden, das jüdische Erbe Maribors wieder sichtbarer zu machen. Man habe für die kommenden Monate viele Veranstaltungen geplant, sagt Marjetka Bedrac. Höhepunkt soll der 2. September werden, wenn auch in Maribors Synagoge der Europäische Tag der jüdischen Kultur begangen wird. Kulturhauptstadt hin oder her, auch Igor Vojtic freut sich, dass besonders die jungen Leute in der Gemeinde ihr Judentum aktiv leben.
Auch viele aufgeschlossene Nichtjuden scheinen sich vermehrt fürs Judentum zu interessieren. Zu Chanukka im Dezember besuchte Sloweniens Staatspräsident Danilo Türk die Landesgemeinde in Ljubljana. Sie mag klein sein, aber sie blickt optimistisch in die Zukunft.