Die rechtsnationale Partei von Marine Le Pen könnte die neue Regierung in Frankreich führen. Umso genauer nehmen Medien, Kritiker und politische Gegner vor der zweiten Runde der Parlamentswahl am Sonntag die Kandidaten aus diesem Lager unter die Lupe. Und wie es aussieht, sind sie fündig geworden.
Da ist zum Beispiel eine Frau, die auf einem - wenn auch wohl alten - Foto eine Nazi-Offiziersmütze mit Hakenkreuz aus dem Zweiten Weltkrieg trägt und deshalb nun von der Partei, dem Rassemblement National (RN), aus dem Rennen gezogen wurde.
Eine andere Kandidatin hat Medienberichten zufolge einst einen städtischen Angestellten mit vorgehaltener Waffe als Geisel festgehalten. Ein dritter Bewerber ist vielleicht gar nicht berechtigt, Parlamentarier zu sein, weil er unter Vormundschaft steht, ein weiterer geriet wegen eines früheren antisemitischen Tweets mit Bezug auf den Holocaust ins Kreuzfeuer.
Aufpoliertes Image
Und da sind andere, deren Eignung von Kritikern und Gegnern in Frage gestellt wird, weil sie sich selten im Wahlkampf blicken ließen und man praktisch kaum etwas über sie weiß.
Die Enthüllungen könnten dem aufpolierten Image des RN schaden - Le Pen hatte jahrelang daran gearbeitet, die historischen Verbindungen der Partei zu Antisemitismus und Rassismus loszuwerden. Und sie werfen die Frage auf, ob die Partei wirklich fähig ist, auf verantwortungsvolle Art und Weise eine Regierung zu führen, sollte sie in der anstehenden zweiten Wahlrunde die absolute Mehrheit in der 577-köpfigen Nationalversammlung erreichen.
Präsident Emmanuel Macron wäre bei einem solchen Wahlausgang gezwungen, Le Pens 28-jährigen Schützling, den Parteivorsitzenden Jordan Bardella, als Premierminister zu akzeptieren.
Dritter Platz
Macron hatte die vorgezogenen Parlamentsneuwahl am 9. Juni ausgerufen, nachdem der Rassemblement National seinem Mitte-Bündnis bei der Europawahl eine herbe Niederlage zugefügt hatte. Sein Ziel war es, die relative Mehrheit seines Lagers in der Nationalversammlung auszubauen und damit die Rechtsnationalen in ihre Schranken zu weisen. Aber in der ersten Runde landete seine Koalition nur auf dem dritten Platz.
Es war für alle Parteien eine Herausforderung, praktisch von heute auf morgen in einen Wahlkampf einzusteigen. »Sie tendieren dazu, zu nehmen, was zur Hand ist, auch wenn es bedeutet, nicht aufzupassen«, sagt Jean-Yves Camus, ein auf die extreme Rechte spezialisierter Forscher am französischen Institut für internationale und strategische Angelegenheiten über die RN-Kandidaten. »Da ist der obere Teil im Korb, aber da ist auch der untere Teil im Korb, mit Kandidaten, die oft peinlich für sie sind.«
Im nordwestlichen Departement Mayenne machte ein Artikel in der Regionalzeitung »Quest-France« die Runde, dem zufolge die derzeitige RN-Kandidatin Annie Bell, die damals noch den Nachnamen Jaccoud trug, und ihr Mann 1995 einen Angestellten in einem örtlichen Rathaus mehrere Stunden lang als Geisel festhielten.
»Infizierte Schafe«
Demnach trug Bell ein Gewehr bei sich, und es fiel ein Schuss, aber niemand wurde verletzt und die Geisel schließlich freigelassen. Bell hat in der ersten Runde genügend Stimmen erhalten, um sich für die Stichwahl am Sonntag zu qualifizieren.
Die Nachrichtenagentur AP hat einen RN-Pressesprecher um eine Stellungnahme gebeten, aber keine Antwort erhalten. Der Parteivorsitzende, Bardella, räumte jedoch diese Woche in einem Radiointerview ein, dass einige »infizierte Schafe« im Rennen seien.
Oder waren.
Nachdem Ludivine Daoudi in der ersten Runde in ihrem Wahlkreis fast 20 Prozent der Stimmen erhalten hatte, gab der RN bekannt, dass er sie aus der zweiten Runde zurückziehe, nachdem eine Aufnahme von ihr mit einer Nazi-Offiziersmütze in sozialen Medien kursiert war.
»Geschmackloses Bild«
Sie leugne nicht, dass sie dieses Foto gemacht hat«, sagte Philippe Chapron, ein regionaler Parteivertreter. Er betonte zugleich, dass das »klar geschmacklose« Bild vor langer Zeit - vor Daoudis Eintritt in die Partei, entstanden sei.
Eine Kandidatin in Mayenne, Paule Veyre de Soras, wurde in einem Videointerview auf Vorwürfe angesprochen, nach denen die Partei weiter Ausländerfeinde und Rassisten in ihren Reihen habe. Das sei nicht mehr so, antwortete sie und fügte hinzu: »Ich selbst bin Katalanin, mein Großvater wurde in Barcelona geboren, ich habe einen Juden als Augenarzt und einen Muslimen als Zahnarzt.«
Veyre de Soras kam in der ersten Runde auf mehr als 28 Prozent der Stimmen in ihrem Wahlkreis und hat damit eine zweite Chance am kommenden Sonntag.
Gegner und Geister
In einigen Wahlkreisen haben Kandidaten auf ihren Wahlkampf-Flugblättern kein Foto von sich selbst veröffentlicht oder biografische Angaben gemacht. Stattdessen sind Le Pen und Bardella abgebildet. Manche waren so selten im Wahlkampf zu sehen, dass Gegner sie als Geister bezeichnet haben.
Es gibt auch Kandidaten anderer Parteien, die unter Beschuss geraten sind. So verbreitete Sébastien Delogu, ein Parlamentarier der linkspopulistischen Partei La France insoumise (Unbeugsames Frankreich) ein Wahlkampfvideo, auf dem der Kopf eines jüdischen Parlamentskollegen, Habib Meyer, neben einer Tiefkühlpizza und einem Ofen abgebildet ist.
Meyer sagt, dass er das Video als antisemitisch betrachtet. Delogu, der bereits in der ersten Runde wiedergewählt wurde, weist den Vorwurf zurück.