Fast jeden Abend spielen mehr oder weniger bekannte Bands, meistens Jazz, aber auch Hip-Hop oder Disco. Tagsüber gibt es günstige Mittagsmenüs und diverse Veranstaltungen, die ein buntes, modernes Publikum anziehen, von Theaterstücken bis hin zu Vernetzungstreffen.
Seit ein paar Jahren ist das jüdische Gemeindezentrum Auróra in der ungarischen Hauptstadt ein Begriff geworden, und zwar weit über die Grenzen der jüdischen Gemeinde hinaus. So solle es auch sein, man müsse ja immer in einem produktiven Dialog mit den anderen bleiben, meint Ádám Schönberger (37), der Hauptinitiator des Projekts. So vertrete man seine Kultur und seine Werte am besten: indem man sich mit zeitgenössischen Themen permanent und offen auseinandersetzt, ohne Angst zu haben, dass es zu umstritten werden könnte.
Doch Brücken bauen ist im heutigen Ungarn nicht gern gesehen und wird nur noch selten praktiziert. Glaubt man dem rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, so ist das genaue Gegenteil davon, die kulturelle und ethnische Homogenität, der Imperativ der Stunde. Dass dieser falsche nostalgische Wunsch nach einer einfachen Welt mit klaren Verhältnissen der Ausgangspunkt aller Übel des 20. Jahrhunderts war, scheint vielerorts in Vergessenheit geraten zu sein. Und dass gesellschaftliche Solidarität über diverse Grenzen hinaus extrem wichtig bleibt, gilt als umstritten, ja als Provokation.
Biografie Gerade vor diesem Hintergrund müsse man genau schauen, wo man stehen möchte, sagt Schönberger. »Wir haben uns bewusst fürs Politische entschieden, nachdem alles um uns politisch geworden war.«
Diese selbstbewusste Einstellung entspricht gewissermaßen auch seiner untypischen Biografie. Als Sohn eines Budapester Rabbiners in einer religiösen Familie aufgewachsen, hat der junge Mann erst während seines Studiums der Theatergeschichte und Philologie die ersten Kontakte mit der nichtjüdischen Welt gehabt. Anders als die meisten ungarischen Juden in seinem Alter entdeckte er mit 19 nicht seine eigene Identität, sondern die der anderen – und damit auch gleich den Antisemitismus und Rassismus der Mainstream-Gesellschaft. »Plötzlich verstand ich, dass ich in einer Art Blase gelebt hatte. Es war für mich ein sehr beängstigendes Erlebnis.«
Daraufhin beschloss Schönberger, das Land zu verlassen und nach Israel auszuwandern. Doch auch dort lief es anders als erwartet. Mit seiner linksliberalen Einstellung und seinen vielen Freunden, die er vermisste, fühlte er sich auch dort irgendwie in der Minderheit. Und so kehrte er nach einem Jahr zurück nach Ungarn mit dem Plan, sich jüdischen Kulturprojekten zu widmen, die gleichzeitig ein breiteres Publikum interessieren und damit Vorurteile abbauen könnten.
»Anfang der 2000er-Jahre gab es keine auch nur im Ansatz ähnliche Initiative in Budapest, man lebte einfach nebeneinander. Als Jude traf man sich in der Synagoge, eine Art kulturelle Identität außerhalb der religiösen Sphäre konnte man höchstens auf einer Purim-Party ausleben, aber das war’s dann auch.«
Festival Schönberger gründete dann mit einigen Freunden den kleinen Verein MAROM, der ein jüdisches Kulturfestival für jüngere, alternative Menschen organisierte, und beschloss, dafür auch außerhalb der jüdischen Gemeinden in den allgemeinen Programmmagazinen des Landes zu werben.
Seitdem ging es Schlag auf Schlag: jüdische Theatergruppen, Konzerte, Chanukka-Partys in Szenekneipen. Es waren die guten Jahre rund um den EU-Beitritt Ungarns, als die Wirtschaft boomte, das Land sich schnell öffnete und zahlreiche Besucher aus aller Welt anzog. Jeder, der diese Zeit in Budapest miterlebte, hatte das Gefühl, die Geister der Vergangenheit seien so gut wie besiegt. Die Kulturszene und die Zivilgesellschaft florierten, und die ungarische Hauptstadt erwarb sich rasch das Renommee, kosmopolitisch und ein Ort der guten Laune zu sein.
Kurz darauf kam allerdings die Wirtschaftskrise, das Geld für Projekte wurde knapp. Mit dem Erdrutschsieg von Viktor Orbán war der Spaß 2010 endgültig vorbei. Das Gemeinde- und Kulturzentrum Sirály, wo MAROM seine Veranstaltungen und Treffen sechs Jahre lang abgehalten hatte, musste 2012 auf Druck der Kommunalverwaltung geräumt werden, obwohl es damals als wichtiger Treffpunkt für viele progressive jüdische wie nichtjüdische Ungarn galt.
»Die Räumung war ein schwerer Schlag für uns«, erinnert sich Schönberger. »Sie hat uns in eine ganz neue Situation versetzt, in der klar war, dass die Dinge nicht mehr so wie bisher laufen konnten. Und sie hat uns praktisch vor die Wahl zwischen vermeintlicher Neutralität und politischem Engagement gestellt. Wir haben uns für Letzteres entschieden.«
Vernetzung Die Krise ist mittlerweile überstanden. 2014 fand Schönbergers Verein nach langer Suche ein neues, sichereres Zuhause, das Auróra, wo die Projekte nicht mehr von der Willkür der Behörden abhängig sind. Die Räume wurden aus einmaligen Finanzierungen saniert, seitdem decken die Einnahmen aus dem Cafébetrieb fast die gesamten Kosten aller Kulturveranstaltungen.
Einmal im Jahr, Mitte Juli, organisiert MAROM immer noch das sehr erfolgreiche Bánkító-Festival für junge jüdische Kultur, das mittlerweile auch international bekannt geworden ist. »Wir möchten unabhängig bleiben, damit wir unserem Engagement gerecht werden können«, sagt Schönberger.
Heute ist das Auróra viel mehr als eine nette und entspannte Location für moderne, urbane Kultur. Das Gemeindezentrum funktioniert als idealer Vernetzungsraum der jungen NGO-Szene in Budapest. Das Roma-Presse-Zentrum, die Migszol-Initiative für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten sowie der schwul-lesbische Verein gehören zu den Stammnutzern der Räumlichkeiten.
»Diese Öffnung gegenüber anderen, nichtjüdischen Organisationen ist Programm«, erklärt Schönberger. »Damit wollen wir zum einen die ungarische Zivilgesellschaft stärken und Koalitionen um gemeinsame demokratische und liberale Werte bilden. Zum anderen ist dies letztendlich auch im Sinne unserer jüdischen Identität. Denn im Judentum, wie wir es verstehen, geht es ja um das Ideal einer gerechten Gesellschaft.«