Ich sehe es als meine Aufgabe, eine starke und persönliche Führung gegen Antisemitismus zu zeigen», hat Jeremy Corbyn erklärt. Anlass für das Bekenntnis des britischen Labour-Vorsitzenden sind massive Proteste gegen den Antisemitismus, der sich seit geraumer Zeit in seiner Partei zeigt. Sowohl der jüdische Dachverband Board of Deputies (BOD) als auch der Rat jüdischer Gemeinschaftsvertreter (JLC) hatten Ende März zu einer Demonstration dagegen aufgerufen.
Erst jüngst präsentierte die «Sunday Times» 2000 eindeutig antisemitische, rassistische und frauenfeindliche Posts, die sich in Facebook-Gruppen fanden, die allesamt Corbyn unterstützen. Noch am Tag der Veröffentlichung löschte Corbyn seinen persönlichen Facebook-Account. Kurz zuvor hatte er mit Christine Shawcraft eine seiner wichtigsten innerparteilichen Unterstützerinnen durch Rücktritt verloren, denn sie hatte als Leiterin des Parteischiedsgerichts einen Kandidaten für den Liverpooler Stadtrat, der die Schoa leugnet, in der Partei behalten wollen.
Twitter Und am Montag vergangener Woche erlaubte sich Corbyn einen weiteren Fehltritt: Da folgte er der Einladung zum Sederabend, die eine linke, junge, jüdische Randgruppe namens «Jewdas» ausgesprochen hatte. Auf Twitter hatte die Gruppe sogar vom «Schmutzwasser Israels» schwadroniert, das beseitigt werden müsse.
Und immer wieder hieß es von Jewdas-Mitgliedern, Berichte über Antisemitismus bei Labour seien erfunden. Mag sein, dass Corbyn mit seiner Teilnahme am Seder ein Versöhnungszeichen in Richtung jüdische Gemeinschaft senden wollte. Aber Jewdas steht – ähnlich wie die Gruppe Jewish Voice for Labour (JVL) – nicht für das, was der Mehrheit der Juden in Großbritannien wichtig ist. Beispielsweise stehen nach einer recht jungen Studie 90 Prozent der britischen Juden hinter der Existenz Israels.
JVL habe bislang keine Mitgliedschaft beantragt, sagte ein Sprecher des BOD der Jüdischen Allgemeinen zu deren Kritik, BOD repräsentiere gar nicht die britischen Juden. Und tatsächlich waren im BOD immer auch linke Gruppen vertreten. Sogar Jewdas habe in der vergangenen Woche einen Antrag auf Mitgliedschaft im BOD gestellt, ist zu hören. Zwar gilt der derzeitige BOD-Vorsitzende Jonathan Arkush als konservativ, doch schon sein Vorgänger, Vivian Wineman, unterstützte die israelische Friedensbewegung Peace Now. Und BOD-Geschäftsführerin Gilian Merron war von 2009 bis 2010 sogar Labour-Gesundheitsministerin.
«Momentum» Jon Lansman, selbst jüdisch und einer der Gründer der «Momentum»-Bewegung, die sich immer hinter Corbyn gestellt hat, sprach sich vergangene Woche dafür aus, alle Labour-Funktionäre einem Training zum Erkennen von Antisemitismus und anderen Vorurteilen zu unterziehen. Die Forderung war deswegen überraschend, weil auch Momentum jahrelang entsprechende Vorwürfe zurückgewiesen hatte. Die Momentum-Vizepräsidentin Jackie Walker musste sogar aufgrund judenfeindlicher Bemerkungen suspendiert werden.
Der unter Druck geratene Corbyn versprach nun, alle Empfehlungen, die ein parteiinterner Bericht schon im Jahr 2016 zur Bekämpfung des Antisemitismus bei Labour gegeben hatte, endlich umzusetzen.
Allerdings wurde zeitgleich die Abgeordnete von Bristol West, Thangham Debbonaire, von ihrem eigenen Ortsverein vorgeladen, denn sie hatte öffentlich gegen Antisemitismus bei Labour protestiert. Als sie bei ihrer Anhörung ihre Position erklären wollte, wurde sie zusammengeschrien und verließ den Saal.
Und Jennie Formby, seit vergangener Woche Generalsekretärin der Partei, sah sich gezwungen, allen Funktionären aufzugeben, dass Mitglieder, die über den Antisemitismus bei Labour besorgt seien, nicht dafür kritisiert werden sollten. «Wie Jeremy Corbyn deutlich gemacht hat», schrieb Formby, «hat die Bewältigung des Antisemitismus in der Partei absolute Priorität.»
Umfrage Ein Ende des Labour-Debakels ist nicht in Sicht. Nach einer aktuellen Meinungsumfrage finden 51 Prozent der Briten, dass Labour ein Antisemitismus-Problem hat. Und 34 Prozent sagen, dass das auf Corbyn persönlich zutrifft. Entsprechend fallen Corbyns Zustimmungswerte deutlich.
Dass Corbyn die Kritik an sich und seiner Partei wirklich verstanden hat, bezweifeln mittlerweile viele. Am Wochenende rief er die Regierung auf, Waffenverkäufe an Israel zu überprüfen. Als Bühne hatte er sich ausgerechnet eine antiisraelische Demonstration in London ausgesucht. In seinem dort verlesenen Grußwort verurteilte Corbyn das «Schweigen der internationalen Kräfte» bezüglich der Vorfälle im Gazastreifen und sprach von «illegalem und inhumanem» Vorgehen der israelischen Armee. Die Hamas und wie sie an ihre Waffen gelangt, erwähnte Corbyn mit keinem Wort.