Neuer Aufruhr in der britischen Labour Party zum Thema Antisemitismus: Am Donnerstagnachmittag gab die Parteiführung bekannt, dass die Mitgliedschaft des früheren Vorsitzenden Jeremy Corbyn in Partei und Fraktion bis auf Weiteres ruhe. Grund sei Corbyns ablehnende Reaktion auf einen Untersuchungsbericht der unabhängigen Kommission für Gleichheit und Menschenrechte (EHRC) zum Antisemitismus bei Labour, der am Donnerstag veröffentlicht wurde.
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»UNENTSCHULDBARE FEHLER« Laut der EHRC hat Labour unter Corbyns Führung antisemitische Tendenzen in den eigenen Reihen zugelassen. Es habe Schikanen und Diskriminierungen und »unentschuldbare Fehler« gegeben, teilte die Kommission mit. Die amtierende Vorsitzende des Gremiums, Caroline Waters, erklärte, die Untersuchung habe »mehrere Bereiche aufgezeigt, in denen der Ansatz und die Führungsrolle [der Parteispitze] bei der Bekämpfung des Antisemitismus unzureichend waren. Dies ist unentschuldbar und scheint eher auf einen Mangel an Bereitschaft zur Bekämpfung des Antisemitismus als auf die Unfähigkeit, dies zu tun, zurückzuführen zu sein.«
Corbyn reagierte daraufhin mit der Aussage, er könne nicht alle Vorwürfe der Kommission gelten lassen und sei als Labour-Chef »immer bestrebt gewesen, alle Formen des Rassismus zu beseitigen«. Er bedauere aber, dass der Wandel so lange gedauert habe. Corbyn, der von 2015 bis 2020 Vorsitzender der Partei war, wurde im April von Keir Starmer abgelöst.
Der sprach am Donnerstag von einem »Tag der Schande« für Labour. Die Partei muss den bindenden Empfehlungen der Kommission zufolge nun bis zum 10. Dezember einen Aktionsplan gegen Judenhass vorlegen. Seit Jahren werfen Kritiker den britischen Sozialdemokraten antisemitische Tendenzen – etwa in Beiträgen in sozialen Netzwerken – vor. Mehrere Abgeordnete verließen 2019 aus Protest die Partei. Bereits 2018 hatte Corbyn eingeräumt, dass Disziplinarverfahren gegen antisemitische Parteimitglieder zu langsam und zaghaft betrieben worden seien.
Der 71-Jährige stand auch selbst häufig in der Kritik. So hatte er sich geweigert, sich bei Juden für antisemitische Tendenzen in seiner Partei zu entschuldigen. Kritiker warfen dem Alt-Linken auch eine einseitige Unterstützung der Palästinenser im Nahostkonflikt vor. Noch bevor er Labour-Chef wurde, bezeichnete er laut britischen Medien die im Gazastreifen herrschende Hamas, die unter anderem von der EU als Terrororganisation eingestuft wird, als »Freunde«.
REAKTIONEN Die jüdische Labour Abgeordnete Margaret Hodge begrüßte Corbyns Suspendierung und nannte sie »die richtige Entscheidung.« Corbyns Reaktion auf den EHRC-Bericht sei »schändlich« gewesen, so Hodge. Jetzt könne man endlich wieder nach vorne schauen. Auch andere jüdische Labour-Mitglieder äußerten sich ähnlich.
Die ehemalige Abgeordnete Luciana Berger, die Labour 2019 verlassen hatte, sprach von einer »Kultur des Mobbings, der Voruteile und der Einschüchterung« gegenüber jüdischen Mitgliedern, welche Corbyns Amtszeit geprägt habe. »Das ist alles in aller Öffentlichkeit passiert, nicht etwa hinter verschlossenen Türen«, so Berger. Der frühere Labour-Außenminister David Miliband erklärte, Corbyns Handling des Themas sei »in jeder Hinsicht schrecklich« und von »völliger Blindheit« gekennzeichnet gewesen. Milibands Bruder Ed war vor Corbyn von 2010 bis 2015 Labour-Vorsitzender.
Die Präsidentin des jüdischen Dachverbands Board of Deputies of British Jews, Marie van der Zyl, sagte, die Bemerkungen Corbyns von heute zeigten, dass er Teil des Problems gewesen sei. In dessen Amtszeit sei Labour von einer stolzen antirassistischen Partei zu einer Partei herabgesunken, die mit ihrer Haltung gegenüber Juden die britischen Antidiskriminierungsgesetze verletzt habe, so van der Zyl. Ihre Organisation werde auch weiterhin Labour zum Handeln drängen.
»POSITIVE ENTWICKLUNG« Der Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, Pinchas Goldschmidt, sagte, er freue sich, dass Labour sich nun endlich seiner jüngsten Vergangenheit annehme. »Ich hoffe, dass Juden sich bald wieder in beiden großen britischen Parteien wohlfühlen werden.«
Auch das israelische Diaspora-Ministerium begrüßte die Ergebnisse des Untersuchungsberichts. »Die Schlussfolgerungen kamen nicht überraschend«, sagte Jogev Karasenty, Leiter der Abteilung zur Bekämpfung von Antisemitismus, der Deutschen Presse-Agentur. Die Kommission habe die Lage »so dargestellt, wie sie ist«. Die Wahl von Keir Starmer zum neuen Labour-Chef sei eine sehr positive Entwicklung.
Jüdische Mitglieder fühlten sich nun wieder willkommen in der Partei und es sei eine positive Botschaft für jüdische Gemeinden hinsichtlich ihrer Zukunft in Großbritannien, sagte Karasenty. »Wir hoffen, dass die in dem Bericht aufgezeigten Fehler verbessert werden und die antisemitische Haltung, die sich in den letzten Jahren in der Partei entwickelt hatte, wieder verschwindet.«
Der Bericht der Kommission legt der Partei zahlreiche Verstöße gegen das britische Gleichstellungsgesetz zur Last. So habe es in Corbyns Amtszeit politische Einmischung in die Bearbeitung von Beschwerden wegen Antisemitismus gegeben. Beschwerdeführer seien zudem unfair behandelt worden. Trotz einiger Verbesserungen in jüngster Zeit müsse die Partei mehr tun, um das Vertrauen der jüdischen Gemeinde, der Öffentlichkeit und vieler ihrer Mitglieder wiederzugewinnen. Die öffentliche Verpflichtung der neuen Führung, die Empfehlungen der Kommission umzusetzen, sei aber zu begrüßen. mth/dpa