Die Probleme begannen schon zu Hause. Heftige Proteste zwangen den israelischen Premier Benjamin Netanjahu am Donnerstag vergangener Woche dazu, den Hubschrauber zum Ben-Gurion-Flughafen zu nehmen. Dort wartete auf ihn die Maschine nach Rom. Aber auch in der italienischen Hauptstadt gab es Widerstand. So hatte die zuerst ausgewählte Dolmetscherin, Olga Dalia Padoa, den Auftrag abgelehnt, für ihn zu übersetzen. Man könne nicht, schrieb sie, mit Leuten zusammenarbeiten, die »Faschisten und freiheitsfeindliche Prinzipien befördern«.
Netanjahu traf in Rom mit drei Stunden Verspätung ein. Wände waren mit Slogans gegen seinen Besuch beschmiert, linke propalästinensische Organisationen protestierten. Am ersten Abend seines dreitägigen Aufenthalts in der Stadt kam der israelische Premier mit Vertretern der örtlichen jüdischen Gemeinde zusammen. Das Treffen war bewusst klein gehalten worden – zwar wurde es live gestreamt, doch war es kaum angekündigt worden. Beobachter erkannten sowohl darin als auch in der Wahl des Ortes eine gewisse Verlegenheit. So war für die Begegnung mit Netanjahu nicht, wie sonst üblich, der Tempio Maggiore, die Große Synagoge, gewählt worden, sondern das etwas kleinere sefardische Bethaus.
BESORGNIS Die Gemeindevorsitzende Ruth Dureghello sagte in ihrer Ansprache, dass die Diaspora an Israel nicht offen Kritik übt. Damit gab sie zu verstehen, dass es durchaus Kritik gebe. Direkter sprach Noemi Di Segni, die Vorsitzende der italienisch-jüdischen Dachorganisation Unione delle Comunità Ebraiche, die Besorgnis der 21 Gemeinden Italiens aus: »Man kann nicht stolz darauf sein, Israeli oder Jude zu sein, wenn im Namen einer jüdischen Identität als Antwort auf den Terror, auf das Leid und die Trauer die Gewalt des Einzelnen oder die politisch-ministerielle Legitimierung von Racheaktionen geboten wird.«
Eine Zusage, dass Italien Jerusalem demnächst als Hauptstadt Israels anerkennen würde, erhielt Netanjahu nicht.
In einem Interview mit der Tageszeitung »La Repubblica« hatte Netanjahu vor seinem Besuch erklärt, worum es ihm bei seiner Reise ginge: Er wolle die italienische Regierung offiziell bitten, Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkennen, und seine Amtskollegin Giorgia Meloni für den Kampf gegen den Iran gewinnen. Zudem strebe er eine Verstärkung der Zusammenarbeit in der EU-Politik sowie einen Paradigmenwechsel bei den UN an, wo Italien in den vergangenen sieben Jahren 89-mal gegen Israel gestimmt habe.
Am Freitag traf Netanjahu zuerst mit dem italienischen Wirtschaftsminister Adolfo Urso und etwa 50 Managern größerer Unternehmen zusammen. Man sprach über eine Zusammenarbeit unter anderem bei der Cybersicherheit und im Gesundheitswesen. Anschließend folgte eine Begegnung mit Meloni. Im Anschluss erklärte sie gegenüber der Presse, Israel sei »ein wichtiger Partner und Freund«, und man habe auch über Antisemitismus gesprochen, gegen den ihre Regierung sehr viel unternehme. Netanjahu entgegnete, er sei »beeindruckt von der Entschlossenheit und Führungsstärke der italienischen Premierministerin« und »ihrem Willen, die Beziehungen mit Israel zu entwickeln«. Beide stellten ein baldiges Treffen auf Ministerebene in Israel in Aussicht, es wäre das erste seit neun Jahren.
Eine Zusage, dass Italien Jerusalem demnächst als Hauptstadt Israels anerkennen würde, erhielt Netanjahu jedoch nicht. Vonseiten der Regierung in Rom gab es aber auch keinen Kommentar zu den Massenprotesten in Israel.
Demonstration Rund 200 in Italien lebende Israelis nutzten am Freitag Netanjahus Besuch in der Stadt, um mit einer Demonstration auf der Piazza Santi Apostoli ihre Sorge vor einem Demokratieverlust in Israel zum Ausdruck zu bringen. Das Gros der jüdischen Gemeinde blieb der Straße jedoch fern. Offene Kritik an Israel berge das Risiko, dass diese gegen das Existenzrecht Israels instrumentalisiert werde, lauteten viele Kommentare auf Facebook.
Netanjahu gab sich indes gelassen. In der Synagoge sagte er: »Wir sind alle dasselbe Volk, und die Proteste sind nur ein Zeichen dafür, wie stark die israelische Demokratie doch ist.« Riccardo Di Segni, der Oberrabbiner von Rom, erinnerte in seiner Drascha der Wochenabschnitte daran, dass die Mutter die Sünde der Söhne tilgen sollte, indem sie sich opfert. Viele verstanden dies als Appell an Netanjahu, Kompromissbereitschaft zu zeigen.