Italien

Kritik am »Schlussstrich«

Schweigemarsch 2019 in Rom zum Gedenken an die deportierten Juden Foto: imago images/Pacific Press Agency

In Italien gibt es weiter Streit um die Entschädigung von Holocaust-Opfern. Im April 2022 hatte die Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Mario Draghi einen Fonds beschlossen, aus dem in den nächsten drei Jahren Opfer von NS-Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs entschädigt werden sollen.

Neben Schoa-Überlebenden sind darunter auch politisch Verfolgte. Gleichzeitig soll mit dem Erlass ein Schlussstrich unter noch ausstehende Entschädigungsansprüche gezogen und damit ein schwieriges Kapitel in den deutsch-italienischen Beziehungen beendet werden.

Aktuell sind in Italien noch Hunderte Zivilklagen im Namen von rund 13.000 Personen anhängig, in denen Entschädigungszahlungen eingefordert werden. Wechselnde Bundesregierungen weigern sich seit Jahrzehnten mit Verweis auf das Bonner Abkommen von 1961, in dem die Reparationszahlungen an Italien abschließend geregelt wurden, weitere Entschädigungsansprüche zu honorieren.

In den vergangenen 20 Jahren vertraten italienische Gerichte die Rechtsauffassung, dass Deutschland wegen der NS-Verbrechen an italienischen Bürgern auch weiterhin in Regress genommen werden kann und die völkerrechtliche Immunität von Staaten in diesem Fall nicht anwendbar sei. In der Folge kam es zu Urteilen, deutsches Eigentum auf italienischem Territorium zu beschlagnahmen.

Die Bundesregierung brachte die Problematik sogar vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Die Klage wurde jedoch nach dem Dekret der Draghi-Regierung 2022 zurückgezogen.

KRITIK Im Juli entschied nun der italienische Verfassungsgerichtshof, dass das Schlusstrich-Vorhaben mit der Verfassung vereinbar sei und es dem italienischen Staat obliege, berechtigte Ansprüche der Opfer zu begleichen. Die Regierung von Giorgia Meloni legte vor einigen Wochen 61 Millionen Euro in den Fonds ein. Auf Kritik stieß aber nicht nur der vergleichsweise niedrige Betrag, sondern auch die kurze Antragsfrist. Sie sollte ursprünglich nur 30 Tage betragen, wurde dann aber nach Protesten bis zum 28. Juni 2023 verlängert.

Unterdessen gibt es offenbar neue juristische Hürden, die auch in der jüdischen Gemeinschaft auf Unverständnis stoßen. »Obwohl der Fonds eingerichtet ist, argumentieren die Anwälte der italienischen Regierung, dass 800 eingereichte Klagen verjährt seien, obwohl es sich hierbei um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt, die nicht verjähren sollten«, sagte der Vizepräsident des jüdischen Dachverbands UCEI, Giulio Disegni, der »Times of Israel«. Er nannte die Haltung »eine widersprüchliche Position, die die jüdische Welt sprachlos gemacht hat«.

Frühere Entschädigungszahlungen sollen von der Summe abgezogen werden, die aus dem Fonds zur Verfügung ausgezahlt wird. Auch das juristische Konstrukt – statt eines vom Parlament beschlossenen Gesetzes wurde das Vorhaben per Erlass umgesetzt – gefällt vielen auf der Seite der Anspruchsberechtigten nicht. Damit sei eine öffentliche Debatte über das Für und Wider des Vorhabens abgewendet worden, sagte ein Anwalt der »Times of Israel«.

Disegni bezeichnete den von der Regierung aufgesetzten Fonds im Verhältnis zur Abscheulichkeit der begangenen Verbrechen als »einen Witz«. mth

Schweiz

Fünf antisemitische Übergriffe in Zürich

Die jüdische Gemeinschaft der Schweiz ist zunehmend verunsichert - der Antisemitismus hat ein Allzeithoch erreicht

 11.12.2024

Osteuropa

Der Zauber von Lublin

Isaac Bashevis Singer machte die polnische Stadt im Roman weltberühmt – jetzt entdeckt sie ihr jüdisches Erbe und bezieht es in die Vorbereitungen auf das Europäische Kulturhauptstadtjahr 2029 mit ein

von Dorothee Baer-Bogenschütz  10.12.2024

Sofia

Nach Nichtwahl ausgeschlossen

Bulgarien steckt in einer politischen Dauerkrise - und mittendrin steht ein jüdischer Politiker, den seine Partei jetzt ausschloss

von Michael Thaidigsmann  09.12.2024

Vatikan

Papst Franziskus betet an Krippe mit Palästinensertuch

Die Krippe wurde von der PLO organisiert

 09.12.2024

Österreich

Jüdisch? Arabisch? Beides!

Mit »Yalla« widmet sich das Jüdische Museum Hohenems einer komplexen Beziehungsgeschichte

von Nicole Dreyfus  07.12.2024

Australien

Anschlag auf Synagoge »völlig vorhersebare Entwicklung«

Die jüdische Gemeinde in Australien steht unter Schock. Auf die Synagoge in Melbourne wurde ein Anschlag verübt. Die Ermittlungen laufen

 06.12.2024

Australien

Brandanschlag auf Synagoge in Melbourne

Das Gotteshaus ging in Flammen auf

 06.12.2024

Streit um FPÖ-Immunität

Jüdische Studenten zeigen Parlamentspräsidenten an

Walter Rosenkranz habe Ansuchen der österreichischen Staatsanwaltschaft auf Aufhebung der Immunität von drei FPÖ-Parteifreunden verschleppt.

von Stefan Schocher  05.12.2024

USA

Trump will Jared Isaacman zum NASA-Chef ernennen

Der mögliche zweite Jude auf dem Chefsessel der Weltraumbehörde hat ehrgeizige Vorstellungen

von Imanuel Marcus  05.12.2024