Peter Dickinson hat es eilig. Der 34-jährige Brite hetzt in sein Büro, er muss die Nachrichten für heute planen. Er schaltet den Flachbildfernseher an der Wand ein. Es sind Szenen aus Libyen zu sehen. Später wechselt das Bild nach New York. Über den Bildschirm flimmert das Logo des Fernsehsenders Jewish News One (JN1).
Dickinson leitet das Studio in Kiew. Seit August ist der Kanal auf Sendung. Noch befindet er sich in einer kleinen Büroetage, zwölf Redakteure arbeiten dort, es gibt zwei Tonstudios und einen Schneideraum. Bald soll aus Jewish News One ein weltweiter Nachrichtensender werden – zu empfangen in mehreren Sprachen und mit Studios rund um den Globus. Die Macher ha- ben sich ein hohes Ziel gesetzt: Sie wollen es mit dem arabischen Kanal Al Dschasira aufnehmen. »Mit dem Unterschied, dass wir über das Weltgeschehen aus jüdischer Perspektive berichten«, betont Dickinson.
Hintermänner Hinter dem Sender stehen die berühmt-berüchtigten Medienmag- naten Igor Kolomoisky und Vadim Rabinowitsch. Beide haben sich bisher nicht zu ihrem neuen Projekt geäußert. Milliardär Kolomoisky ist der zweitreichste Mann der Ukraine, über seine Holding Privat kontrolliert er einen Großteil der dortigen Medien: Er besitzt Anteile am Fernsehsender 1+1, der Zeitung Novaja Gaseta und der Nachrichtenagentur Unian. Kolomoisky scheut die Öffentlichkeit, am liebsten will er unsichtbar bleiben. Selbst auf der Forbes-Liste der reichsten Männer der Welt taucht er nicht auf – trotz seines Vermögens von sechs Milliarden Dollar.
Kolomoiskys Geschäftspartner Vadim Rabinowitsch ist Eigentümer der Kiewer Zeitung Stolichnije Novosti und des Fußballklubs Arsenal Kiew. Auch Rabinowitsch hat sich zu dem neuen Fernsehsender bislang nicht geäußert. In der Ukraine ist sein Name berüchtigt: Rabinowitsch, der heute in Israel lebt, soll in den 90er-Jahren militärische Ausrüstung an die Taliban geliefert haben. Wegen seiner »gefährlichen Geschäftsaktivitäten« durfte er jahrelang nicht in die Ukraine einreisen. Schon zu Sowjetzeiten saß Rabinowitsch neun Jahre im Gefängnis, wegen Diebstahls »sozialistischen Eigentums«. Beide Fernsehchefs sind Mitglieder der im Frühjahr gegründeten Europäisch-Jüdischen Union. Kolomoisky ist Präsident der Organisation, Rabinowitsch ihr Vize.
Beobachter bezweifeln, dass es den beiden Männern nur ums Geschäft geht. »Oligarchen investieren in die Medien, um Einfluss zu gewinnen und ihr Image zu verbessern«, sagt Wadim Karasiow, politischer Analyst in Kiew. Zudem seien Fernsehsender und Zeitungen Instrumente, um sich vor der Staatsmacht zu schützen, fügt Karasiow hinzu. Ukrainische Oligarchen stehen oft Regierungspolitikern nahe, die sie finanzieren, um sich Einfluss zu verschaffen. Ändern sich die Machtverhältnisse, benötigen sie Schutz durch die Medien. Studioleiter Dickinson weist Spekulationen über die eigentlichen Motive Kolomoiskys zurück: »Die Eigentümer haben eine Marktlücke entdeckt und versprechen sich finanziellen Gewinn.« Zudem habe der Sender gute Beziehungen zur ukrainischen Regierung, ergänzt Dickinson.
Flimmern In Dickinsons Büro flimmert inzwischen eine Filmsequenz aus Jerusalem über den Bildschirm. Die Knesset debattiert über ein Gesetz, das in Zukunft Ehen zwischen Juden und Nichtjuden erlauben soll.
Jewish News One bringt Beiträge aus aller Welt, knapp die Hälfte der Nachrichten kommt jedoch aus Israel. »Wir berichten über die Schwulenparade in Tel Aviv genauso wie über Proteste orthodoxer Juden in Jerusalem«, sagt Dickinson. Der Sender sei kein Sprachrohr Israels, sagt er. »Wir betrachten die Welt aber durch eine jüdische Brille.« Zum Beispiel, wenn es um die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten geht. »Die meisten internationalen Medien konzentrieren sich auf die Palästinenser, unsere Reporter interviewen auch die Siedler.«
Der Sender lege Wert auf Neutralität, erklärt Dickinson. Als Beispiel nennt er das Westjordanland, das seit 1967 von Israel besetzt wird. Einige Medien bezeichnen das Gebiet als »okkupierte Westbank« und bringen damit ihre Sympathie für die palästinensische Seite zum Ausdruck. Konservative israelische Zeitungen nennen das Territorium »Judäa und Samaria«, was dessen Zugehörigkeit zu Israel ausdrücken soll. »Wir bezeichnen das Westjordanland nur als Westbank«, sagt Dickinson.
Kiew Hauptsitz von JN1 ist Brüssel. Dort sitzen die Senderchefs und das Management. Doch produziert werden die Nachrichten in Kiew. In den nächsten Jahren sollen Studios in Washington, Tel Aviv, Paris, London, Berlin und Moskau hinzukommen.
Da der Sender derzeit nur auf Englisch berichtet, wurden Redakteure aus Großbritannien angeworben. Studioleiter Dickinson kam in den 90er-Jahren nach Kiew, arbeitete zunächst in der britischen Botschaft und gründete später zwei englischsprachige Zeitschriften. »Die Senderchefs wollten einen Ausländer mit Medienerfahrung.« Der Standort Kiew verleihe dem Sender mehr Neutralität, findet Dickinson. »Säßen wir in den USA, hieße es, wir seien eine jüdisch-amerikanische Lobby. Säßen wir in Israel, hieße es, wir seien von der Regierung finanziert.«
Noch steckt JN1 in den Kinderschuhen. Nur fünf Millionen Dollar haben Kolomoisky und Rabinowitsch bisher investiert. Nicht genug, um einem Sender wie Al Dschasira die Stirn zu bieten. Doch seit einigen Tagen ist Jewish News One nicht mehr nur in Osteuropa, sondern über Satellit auch in Mittel- und Westeuropa sowie in Amerika und dem Nahen Osten zu empfangen. Und bald, sagen die Verantwortlichen in Brüssel, werde man auch über Internet und Kabel zu sehen sein.
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