»Dass ich der Bürgermeister würde, der im 21. Jahrhundert noch Synagogen schließt – das hatte ich mir anders vorgestellt.« Bart De Wever, Chef der flämisch-nationalistischen Partei N-VA, der auf gute Beziehungen zu den jüdischen Gemeinden seiner Stadt setzt und dort viel Wertschätzung genießt, klang ernüchtert. Zweimal an ein und demselben Schabbat beendete die Polizei Ende Januar Gottesdienste in einer Synagoge der Antwerpener Belzer-Gemeinschaft, weil deutlich mehr als die erlaubten 15 Beter anwesend waren.
Wenig später machte De Wever seine Ankündigung wahr und schloss die Synagoge für vier Wochen. In einer Pressemitteilung hieß es, die starke Medienpräsenz bei polizeilichen Kontrollen ließe die Gottesdienste im gleichen Licht erscheinen wie sogenannte Lockdown-Partys, was sich negativ auf »die jüdische Gemeinschaft im Allgemeinen« auswirke. Bereits zuvor hatte es mehrere Polizeieinsätze im jüdischen Viertel gegeben, weil gegen die Corona-Auflagen verstoßen wurde.
Infektionszahlen Für Aufsehen sorgten in den vergangenen Wochen auch die Infektionszahlen im Postleitzahlenbereich, zu dem das Viertel zählt. Nach belgischen Medienberichten lagen sie viermal höher als der Durchschnitt. Aus diesem Grund rief die Stadtverwaltung Ende Januar alle 6500 Bewohner auf, sich präventiv testen zu lassen. De Wever betonte, der Aufruf habe nichts mit Stigmatisierung zu tun.
Doch genau so wirkte er bei manchen. Die Tageszeitung »De Standaard« zitiert eine Frau: »Wir befolgen die Regeln, kommen in kleinen Gruppen in der Synagoge zusammen. Trotzdem fällt die Polizei ein, als seien wir Terroristen. Ein paar Straßen weiter feiern muslimische Jugendliche unterdessen drauf los. Spricht jemand darüber? Nein. Und das macht uns so wütend.«
Hans Knoop, der Sprecher des in Antwerpen ansässigen Forums Jüdischer Organisationen (FJO), sieht die Vorfälle als Teil eines weltweiten Phänomens, das viele charedische Gemeinschaften betreffe, in denen die Polizei Zusammenkünfte beendete. Zugleich betont er, dass es sich nicht per se um einen absichtlichen Verstoß gegen die Auflagen handele: »Im ministeriellen Beschluss wird von 15 Personen bei einem Gottesdienst gesprochen. Für einen individuellen Synagogenbesuch, interpretiert der Anwalt der Belzer Gemeinschaft den Beschluss, sind keine Grenzen festgelegt.«
Knoop betont, dass nur ein kleiner Teil der jüdischen Gemeinde gegen die Regeln verstoße. Zugleich ruft er im Namen des FJO auf, sich daran zu halten. Die Gemeinschaft sei nach zögerlichem Beginn »loyal dem Aufruf des Bürgermeisters gefolgt«.
Dies bestätigt auch Tatjana Scheck, eine der bekanntesten jüdischen Politikerinnen des Landes. Als Vorsitzende der Antwerpener Sozialdemokraten stand sie hinter dem Aufruf zum Testen. »Auch einige Rabbiner gingen mit gutem Beispiel voran.«
Rabbiner Kritisch äußert sich Alexander Zanzer, Direktor des jüdischen Wohlfahrtswerks »Centrale«. Er meint, manche »orthodoxen Gruppierungen in Belgien und Großbritannien« ließen sich von Gruppen in Israel beeinflussen, denen das Nichtbeachten der Corona-Maßnahmen als »Kampf um den Erhalt ihrer Lebensweise« gelte. Rabbiner könnten damit ihren Status erhöhen – »eine sehr schlechte Entwicklung«.
Als »komplex und gefährlich« fasst Zanzer die Lage in der Stadt zusammen, und zwar nicht zuletzt, weil sie als Vorwand für Antisemitismus diene. »Die breite Bevölkerung beschuldigt den Bürgermeister, Juden mehr Rechte einzuräumen«, berichtet er. De Wever selbst sagte dem Stadtsender ATV: »Die jüdische Gemeinde muss begreifen: Sie haben ihre eigene Logik, aber der Effekt auf die öffentliche Meinung, den ich in meiner Mailbox sehe, ist gruselig. Wenn man wirklich eine Welle von Antisemitismus will, muss man so weitermachen.«
In einem satirischen Beitrag der Fernsehsendung De ideale wereld konvertiert eine Familie zum Judentum, um die Corona-Regeln weniger beachten zu müssen. »Juden sind Champions im Übertreten der Maßnahmen«, heißt es dort. Tatjana Scheck bereitet diese Tendenz große Sorgen: »Die antisemitischen Aufstoßer, die dieser Zustand hervorbringt, sind sehr gefährlich und müssen entschieden bekämpft werden.«
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