Eine junge Mutter schiebt ihren Kinderwagen. Über dem Kopf des Babys wippt ein Anhänger mit dem Bild von Menachem Mendel Schneerson, dem vor 20 Jahren verstorbenen Oberhaupt der Chabad-Bewegung. »Wir haben uns heute hier versammelt, um des sinnlosen Todes unserer Brüder und Schwestern zu gedenken«, eröffnet der leitende Rabbiner der Chabad-Bewegung in Ungarn, Slomó Köves, die Gedenkveranstaltung am Budapester Donauufer.
Im Rahmen einer Konferenz des Rabbinical Centre of Europe (RCE) haben sich knapp 1000 Menschen, darunter etwa 200 Rabbiner, versammelt, um der mehr als 500.000 Juden zu gedenken, die während der Schoa in den Jahren 1944 und 1945 ermordet wurden. »Heute beobachten wir, wie das Wasser der Donau friedlich fließt – vor 70 Jahren war es rot vom Blut der erschossenen Juden«, sagt Oberrabbiner David Moshe Lieberman aus Antwerpen in seiner Rede.
Regierung Neben den israelischen Oberrabbinern Yitzhak Yosef und David Lau nehmen auch Ungarns Verteidigungsminister Csaba Hende und der Budapester Bürgermeister István Tarlós an der Gedenkzeremonie teil. Beide Politiker gehören der nationalkonservativen Regierungspartei Fidesz an. Da in Ungarn am 6. April Parlamentswahlen sind, befürchtet der Verband jüdischer Gemeinden im Land, Mazsihisz, dass die Regierungspartei die Veranstaltung für ihren Wahlkampf nutzt – oder um den Konflikt herunterzuspielen, den es seit Anfang des Jahres um die staatliche Gedenkpolitik gibt.
»Die Medien hatten im Vorfeld zu wenig Information über die Ziele dieses Rabbinertreffens«, kritisiert Mazsihisz-Präsident Andras Heisler in einer Presseerklärung. Rabbiner Köves verteidigt im Gespräch mit der Jewish Telegraphic Agency die Veranstaltung: Sie wolle jüdisches Leben in Ungarn feiern und Solidarität mit der jüdischen Gemeinde signalisieren. Doch schon am Dienstag zeigte sich, dass Heislers Befürchtungen nicht unbegründet waren: Nur einen Tag nach der Gedenkveranstaltung verbreitete die ungarische Regierung Pressematerialien, in denen sie ihren Kampf gegen Antisemitismus und ihre vorbildliche Gedenkpolitik lobt.
Deutliche Worte hatte am Montagnachmittag an der Donau jedoch Oberrabbiner Lieberman gesprochen: Die Schoa »wäre nicht möglich gewesen ohne die zahlreichen Kollaborateure in Europa, die bereitwillig beim Morden halfen«. Genau das wolle die Regierung nicht hören, flüstert ein alter Mann unter den Teilnehmern und nickt.