Mit schmerzverzerrtem Gesicht liegt Denekew in einer aus Eukalyptus-Stämmen, Lehm und Wellblech zusammengezimmerten Hütte in einem Elendsviertel der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Seine Augen sind nur einen Spalt geöffnet, unter größter Anstrengung flüstert er mit kaum wahrnehmbarer Stimme: »Mein Gott möchte mich in seinem Land haben.«
Dann fallen die Augen des 26-Jährigen wieder zu. Denekew möchte Alija machen, nach Israel auswandern. Seit vielen Jahren. Als er dafür vergangene Woche demonstrieren wollte, wurde er von äthiopischen Polizisten brutal niedergeschlagen. Eine Rippe ist möglicherweise gebrochen, der Wille nicht.
Tätowiert Es ist Mittwoch, der 30. März. In einer notdürftig aus Plastikplanen und Holz errichteten Synagoge in der Nähe der israelischen Botschaft versammeln sich am frühen Morgen mehrere Hundert Falasch Mura. Sie sagen, sie seien die letzten Nachfahren der äthiopischen Juden.
Doch auf die Stirn tätowierte Kreuze zeugen davon, dass einige von ihnen, möglicherweise unter Zwang, im äthiopischen Hochland irgendwann zum Christentum konvertierten – oder niemals Juden waren. Sie sagen, sie wollen ihren Eltern, Brüdern, Schwestern und Kindern endlich nach Israel folgen. Dafür wollen sie vor der nur wenige hundert Meter entfernten israelischen Botschaft demonstrieren. Doch dazu sollte es nie kommen.
»Wir wollten gerade losmarschieren, als vier Lastwagen mit äthiopischen Polizisten vorfuhren. Ohne Vorwarnung fingen sie an, mit ihren langen Knüppeln auf Kinder, Frauen und Männer einzuprügeln«, berichtet ein Mitglied der jüdischen Gemeinde aufgebracht.
Auf Denekew prasselten die Schläge besonders heftig ein. »Ich sah, wie er am Hals getroffen wurde. Er sank bewusstlos zu Boden, aber die Polizisten prügelten weiter auf ihn ein. Ich dachte, sie bringen ihn um«, berichtet seine Tante Fikrte. Auch sie wollte für die Alija demonstrieren. Jetzt wacht sie abwechselnd mit Denekews Mutter am Bett ihres verletzten Neffen.
Wie kam es zur brutalen Niederschlagung der Kundgebung? Seit Langem hatte sich die jüdische Gemeinde bei den äthiopischen Behörden um eine Demonstrationsgenehmigung bemüht. Immer wieder wurde sie abgelehnt. Oppositionelle vermuten, dass die äthiopische Regierung in Zeiten, in denen Massenbewegungen in der arabischen Welt langjährige Machthaber zu Fall bringen, Versammlungen frustrierter Bürger um jeden Preis verhindern möchte.
Die Rebellenarmee des jetzigen Premierministers Meles Zenawi stürzte vor 20 Jahren Diktator Mengistu Haile Mariam, seitdem regiert der machtbewusste Zenawi ununterbrochen. Als die Opposition nach den Parlamentswahlen 2005 den Sieg für sich beanspruchte, ließ die Regierung die Polizei auf Demonstranten schießen. Mindestens 197 Menschen starben damals bei den Straßenschlachten. Das Trauma wirkt noch heute. Nach der von internationalen Beobachtern kritisierten Parlamentswahl im vergangenen Jahr blieb es ruhig – obwohl die Regierungspartei 99,6 Prozent der Sitze errang.
Brutal Manche der jetzt niedergeknüppelten Äthiopier glauben, dass die israelische Botschaft in Äthiopien hinter der brutalen Polizeiaktion stehen könnte, bei der nach Angaben der Demonstranten bis zu 80 Menschen verletzt und genauso viele festgenommen wurden. Im Schatten eines Baumes vor ihrer armseligen Synagoge fragen sie empört: »Wie können Juden anderen Juden so etwas antun?«
Am Tag vor der Demonstration hatte Botschafter Oded Ben-Haim eine Delegation der Falasch Mura empfangen. Am darauffolgenden Tag wollte er sich wieder mit ihnen treffen – vorausgesetzt, sie würden auf eine Demonstration vor der israelischen Vertretung verzichten. »Ich hatte nach dem Treffen den Eindruck, dass sie es möglicherweise dennoch tun würden und informierte die äthiopischen Behörden«, sagte der Diplomat der Jüdischen Allgemeinen.
Zuvor hatte Ben-Haim die Gemeindevertreter darauf hingewiesen, dass er ohnehin nicht der richtige Ansprechpartner für sie sei. »Ihr Antrag auf Alija wurde vor vielen Jahren abgelehnt. Ich habe den Demonstranten gesagt, dass ihre bereits in Israel lebenden Familienangehörigen dort einen Antrag für sie stellen müssen«, so der Botschafter. Ebenso wie die Regierung in Addis Abeba möchte auch er die Niederschlagung der Demonstration nicht kommentieren. Für Ben-Haim ist sie eine inneräthiopische Angelegenheit.
Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde vor den schwer gesicherten Toren der diplomatischen Vertretung behaupten, dass ihre Verwandten in Israel systematisch daran gehindert würden, Anträge auf Familienzusammenführung zu stellen und dass die für die Alija zuständige Jewish Agency in Addis Abeba ihre Unterlagen, die angeblich beweisen, dass sie Nachfahren der letzten äthiopischen Juden seien, verloren habe. Die Jewish Agency war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Rassismus »Unseren Brüdern und Schwestern aus Osteuropa wird die Alija leicht gemacht. Aber uns wollen sie nicht haben. Dabei riskieren viele unserer Angehörigen in der israelischen Armee ihr Leben«, klagen die Äthiopier, die Israel vor ihrer Synagoge des Rassismus bezichtigen.
Unterdessen verscheucht Atala eine Fliege, die sich an den geöffneten Mund ihres verletzten Sohnes gesetzt hat. Er selbst ist zu schwach dafür. Sie will nicht, dass Denekew je wieder demonstriert. Und auch die Vertreter der jüdischen Gemeinde wollen in Zukunft lieber auf Hungerstreiks setzen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.
Eyayu Abuhay, der 24-jährige Rabbiner, ist überzeugt, dass er und seine Gemeinde den langjährigen Kampf eines Ta ges gewinnen werden. »Unser Gott wird die Straße nach Israel für uns öffnen und diejenigen strafen, die uns Steine in den Weg legten.«