Esther ist wenige Monate alt und schlummert ruhig im Nebenzimmer. Immer wieder steht Inessa Kalantarow auf, um kurz nach dem Kind zu sehen. Ihre zweite Tochter Alexandra ist drei und geht bereits in den Kindergarten. Das erzählt die Mittzwanzigerin in perfektem Deutsch – obwohl sie erst 2006 nach Wien gekommen ist. »Der Liebe wegen«, sagt sie und lacht.
In Israel lernte sie ihren Mann kennen, nach dem Studium heirateten sie. Für beide wurde Österreich zum neuen Zuhause: Ihr Mann war bereits als Kind aus Usbekistan nach Wien gekommen. Sie selbst stammt aus Tadschikistan, wanderte 1993 mit ihrer Familie nach Israel aus und hat nun erneut den Sprung in eine andere Kultur gewagt.
Familienersatz Deutsch hat Inessa Kalantarow im Jüdischen Beruflichen Bildungszentrum (JBBZ) gelernt. Doch vor allem am Anfang gab ihr das JBBZ weit mehr als nur Sprachunterricht, erzählt die junge Frau: »Es war mein Familienersatz.« Genutzt hat sie dabei auch ein ganz besonderes Angebot des JBBZ: den Chug Habaim (Deutsch: »Klub der Kommenden«). Neue Gemeindemitglieder, die nach Wien zugewandert sind, erhalten hier Antworten auf alle Fragen, die sich beim Aufbau einer neuen Existenz stellen. »Sie brauchen vor allem Sprachkenntnisse und Unterstützung in Aufenthaltsfragen, aber auch Informationen zum Arbeitsmarkt«, betont JBBZ-Leiter Ilan Knapp.
Gemeinsam mit dem psychosozialen Zentrum ESRA lädt das Bildungszentrum in unregelmäßigen Abständen zu Chug-Habaim-Abenden ein. Nach einem einführenden Vortrag sind hier vor allem Fragen willkommen. Jeder kann erzählen, wo der Schuh drückt, und die anwesenden Experten versuchen zu beraten, zu vermitteln, weitere Ansprechpartner zu nennen.
Fremdenrecht Unter den Teilnehmern finden sich auch immer wieder Studierende der Lauder Business School. An diese Hochschule kommen zunehmend mehr junge Juden aus Osteuropa. Für die Wiener jüdische Gemeinde wäre es ein Gewinn, sie nach ihrem Abschluss im Land zu halten. Doch noch ist dies aufgrund des geltenden Fremdenrechts nicht leicht zu bewerkstelligen.
Dass dies nicht mehr lange so bleibt, darauf hofft Yuri Yevsihin. Der 25-Jährige stammt ursprünglich aus Russland, wanderte im Alter von 14 Jahren nach Israel aus, wo er nach dem Abitur Wehrdienst leistete und später für einen Mobilfunkanbieter zunächst als Kundenbetreuer, später als Spezialist für Data Services arbeitete. Ein Zufall führte ihn schließlich nach Wien. Mitten in der Entscheidungsphase fürs Studium erzählte ihm ein Freund von der Lauder Business School. Yevsihin bewarb sich und hatte Erfolg. So brach er – ähnlich wie Inessa Kalantarow – zum zweiten Mal in seinem Leben die Zelte ab.
Der Chug Habaim diente ihm, wie er sagt, vor allem dazu, »die Wahrheit hinter all den Gerüchten herauszufinden«. An der Business School brodle es nämlich häufig, wenn es ums Thema »Leben in Österreich« geht. Als Student sei es einfach, ein Visum zu bekommen, aber nach dem Abschluss sehe es schwierig aus. Inzwischen hat Yevsihin sein Studium beendet und würde gern in Wien erste Berufserfahrungen sammeln.
Papierkram »Die Experten von JBBZ und ESRA sind immer gute Ansprechpartner, wenn es ums Erklären von Papierkram geht oder das Aufklären über die Gesetzeslage«, sagt Yevsihin. Doch am Ende könnten natürlich auch sie nicht zaubern.
Kalantarow erinnert sich gern an die beiden Chug-Habaim-Abende, an denen sie teilnahm. »Ich habe Gespräche geführt über meine zukünftigen Pläne.« Rasch will sie ein drittes Kind bekommen, »danach meine Karriere starten« – als Pharmareferentin.
Wichtig seien solche Veranstaltungen vor allem für jene, die gerade erst nach Wien gekommen sind, meint sie. »Ich bin nicht schüchtern«, sagt Kalantarow, »wenn ich etwas brauche, dann schaue ich, dass ich mir die Information beschaffe. Ich warte nicht auf eine solche Veranstaltung.« Aber vielen helfe es, ihre Anfangsschwierigkeiten zu bewältigen. So sieht es auch JBBZ-Leiter Knapp: »Der Klub ist eine Initialzündung.«