Chuck Todd ist schwer zu überraschen, zumindest, wenn es um den Politikbetrieb in Washington geht. Seit 25 Jahren arbeitet der Fernsehjournalist in der US-Hauptstadt, seit zehn Jahren beim TV-Giganten NBC und seit zweieinhalb Jahren als Moderator der einflussreichen politischen Talkrunde Meet the Press.
Doch als vor Kurzem Kellyanne Conway, die Chefberaterin von US-Präsident Donald Trump, im Interview mit Todd über die Zuschauerzahlen bei der Amtseinführung ihres Chefs den Begriff »alternative Fakten« in den Raum warf, verschlug es dem Medienprofi für den Bruchteil einer Sekunde die Sprache. »Wait a minute«, sagte er, lachte kurz, fing sich wieder und entgegnete: »Alternative Fakten sind keine Fakten, sondern Unwahrheiten.« Seither ist Conways Neusprech-Kreation unter #AlternativeFacts ein heiß debattiertes Thema in den sozialen Medien.
Biografie Der 44-jährige Todd, der in Miami als Sohn einer jüdischen Mutter und eines nichtjüdischen Vaters aufwuchs, dürfte beispielhaft für das bizarre, weitgehend zerrüttete Verhältnis zwischen Donald Trump und der Presse stehen. Bereits während des Wahlkampfs attackierte Trump den Journalisten via Twitter, nannte ihn einen »Dummy« und prophezeite, NBC werde ihn wegen schlechter Quoten »verjagen wie einen Hund«.
Todd schaffte bei Meet the Press während des Wahlkampfs die Praxis der sogenannten Pyjama-Interviews ab, bei denen sich Politiker per Telefon in die Sendung einwählten. Trump hatte davon exzessiv Gebrauch gemacht, und die großen Fernsehsender waren deshalb in die Kritik geraten; sie hätten Trump zu viel Sendezeit gegeben, hieß es. Fortan galt bei NBC wie auch anderen Sendern die Regel: ein Interview im Studio – oder gar keins.
»Trump sieht die Presse als Spielball und Prügelknaben zugleich«, sagte Todd in einem Gespräch mit dem Poynter-Institut für Medienstudien. »Das ist den meisten Journalisten bewusst, aber es darf unsere Berichterstattung nicht beeinflussen.«
Todd ist kein Einzelfall. Die tiefe Missachtung der Medien – von Tageszeitungen wie der New York Times über den öffentlichen Rundfunk NPR bis zu Fernsehsendern wie NBC oder CNN – war ein Leitmotiv in Trumps Wahlkampf. Und auch in den ersten Tagen der Präsidentschaft sieht es nicht nach Waffenstillstand aus: Journalisten zählten »zu den unehrlichsten Menschen der Welt«, sagte Trump, und sein Chefstratege Steve Bannon sekundierte: Die Medien seien die Oppositionspartei – und sollten »einfach mal die Klappe halten«.
Maura Farrelly geht nicht davon aus, dass sich die Pressevertreter in den USA an diese Anordnung halten. Die Leiterin des Journalismus-Programms an der jüdisch-amerikanischen Brandeis-Universität bei Boston ist »besorgt und verstört« über das Verhältnis zwischen Regierung und Medien. Doch von Zensur, einer massiven Einschränkung der Pressefreiheit, gar einer Gleichschaltung der Presse, seien die USA ein ganzes Stück weit entfernt. Noch sei der Wert einer freien Presse in der amerikanischen Gesellschaft fest verankert. »Aber wir müssen achtsam sein«, sagt sie. »Wenn diese Kultur bröckelt, bekommen wir ein Problem.«
Tatsächlich habe die Trump-Administration bereits heute zahlreiche legale Möglichkeiten, die Arbeit von Journalisten zu erschweren. Zum Beispiel, indem sie ihnen den direkten Zugang zur Machtzentrale verbaue. So erwägt Trumps Kommunikationsteam, das Pressecorps aus seinem angestammten Platz im West Wing des Weißen Hauses zu vertreiben, wo ein kleiner Kreis von Journalisten seit den 70er-Jahren in unmittelbarer Nähe zum Oval Office arbeitet. »Die Presse hat keinen Anspruch auf diesen Platz«, betont Farrelly.
Schikane Ferner könnte die Administration die Medien an einer besonders empfindlichen Stelle treffen: Geld. Viele Presseorgane kämpfen mit sinkenden Einnahmen und schrumpfenden Budgets. »Die Medien haben das Gesetz zwar auf ihrer Seite«, sagt Farrelly. So sind staatliche Behörden dazu verpflichtet, Dokumente auf Anfrage freizugeben, »aber sie müssen das nicht kostenlos tun«, erklärt die Professorin. Die Regierung könnte zum Beispiel die Bearbeitungsgebühren für Fotokopien so hoch ansetzen, »dass die kritischen Informationen für viele Organisationen nicht zu bezahlen sind«.
Experten wie Farrelly ebenso wie Journalisten räumen eine Mitschuld der Medien an der Situation ein. »Wir haben nicht genügend Geschichten aus ganz Amerika erzählt«, sagt Chuck Todd. »Wir haben lieber einen Beitrag über einen Einwanderer gebracht, der Angst hat, abgeschoben zu werden, als über einen 19-jährigen Amerikaner in Missouri, der drogenabhängig und arbeitslos ist.« Das habe die Glaubwürdigkeit der Presse vor allem bei der Landbevölkerung untergraben – und viele für Trumps Medien-Bashing empfänglich gemacht.
Geschichten aus ganz Amerika – so wie Chuck Todds eigene Geschichte. Todd kommt aus einer Arbeiterfamilie. Der Vater, kreativ, aber instabil, hangelte sich von einem Job zum anderen, trank und starb an Hepatitis, als Todd 16 Jahre alt war. Die Mutter, die die Familie durchbrachte, erzog ihren Sohn in einem »offenen, kulturell-jüdischen Umfeld«, sagt Todd, »aber nicht wirklich religiös«. Heute gehört Todd zur Gemeinde einer Reformsynagoge in seinem Wohnort im Bundesstaat Virginia. Seine Frau, Inhaberin einer PR-Agentur, ist keine Jüdin. Dennoch erzieht das Paar die beiden Kinder jüdisch. Doch Todd will nicht, dass sein Judentum Einfluss auf seinen Job nehme, sagt er, weil Religion in den USA viel zu stark politisiert werde.
Understatement Überhaupt bevorzugt Todd, der Politikwissenschaft und Musik studiert hat, das Understatement. Optisch ist er auffallend unauffällig für einen so exponierten Fernsehmann: blass, kurzes Haar, getrimmter Bart, skeptischer Blick. Doch sobald die Kamera läuft, wird der Newsroom-Nerd zum beharrlichen Nahkämpfer: klar, direkt, unerbittlich in seinen Fragen, dabei lässig, bisweilen lakonisch im Ton.
Die aktuelle politische Situation biete »auch eine riesige Chance für Journalisten«, findet Medienexpertin Maura Farrelly, »eine Chance für großartige investigative Berichterstattung«. Schließlich, sagt sie weiter, seien Journalisten extrem ehrgeizig – »und mögen Streit«. Chuck Todd formuliert es weniger drastisch. Trump sehe die Medien »als nützliche politische Requisiten« in seiner großen Präsidentschaftsshow, sagt er, und setzt hinzu: »Aber Requisit zu sein, ist nicht mein Ding.«