Ukraine

Keine Totenruhe in Berditschew

Gedenkstein vor dem Massengrab Foto: André Eichhofer

Eine schwarze Marmorplatte am Straßenrand erinnert an das Verbrechen. Am 15. September 1941 rückte die »Einsatzgruppe C« der Waffen-SS in die ukrainische Stadt Berditschew ein. Die Soldaten nahmen jüdische Bürger gefangen, die zuvor von der Wehrmacht in einem Ghetto interniert worden waren. Dann trieb die SS ihre Opfer auf ein Feld vier Kilometer außerhalb der Stadt. Dort erschossen die deutschen Besatzer 18.640 jüdische Frauen, Kinder und Männer.

Wenn Miroslaw Grinberg (34) auf dem Acker steht, wo die Morde geschahen, lässt ihm die Erinnerung keine Ruhe. Denn noch immer sind die Opfer nicht bestattet. Umgeben von Wildgras und Unkraut steht mitten auf dem Feld eine Baumgruppe. Hinter dem Gestrüpp sieht man Dutzende Knochen. Menschliche Überreste ragen aus dem Lehm hervor oder liegen neben Wodkaflaschen verstreut auf dem Boden. »Meine Großmutter wurde hier von den Nazis erschossen«, sagt Grinberg. »Der Anblick bereitet mir Schmerzen.«

Behörde Seit Jahren will die jüdische Gemeinde von Berditschew die Opfer des Massenmords bestatten. Dafür benötigt sie das Einverständnis der Behörden. Die Kreisverwaltung jedoch stellt sich stur: Mal fühlt sie sich nicht zuständig, mal fordert sie Geld.

In der Karl-Liebknecht-Straße residiert in einem Betonklotz aus Sowjetzeiten die Kreisverwaltung von Berditschew. Deren Leiter Wolodimir Sbaraschskij möchte von dem Massengrab am liebsten nichts wissen. »Die Stadt ist dafür nicht verantwortlich«, sagt der Mann mit der stämmigen Figur und den grauen Haaren. Das Feld liege auf dem Territorium eines anderen Dorfes. Es könne schon sein, dass dort Knochen liegen, fügt Sbaraschskij hinzu, »manchmal graben dort eben Leute«. Im Übrigen habe die Kreisverwaltung andere Probleme. »Wir wollen ausländische Investoren nach Berditschew holen«, erklärt er.

Friedhof »Die Situation ist unerträglich«, entgegnet Rabbiner Akiwa Nemoj von der jüdischen Gemeinde. Nemoj will die Toten bestatten, jedoch steht ihm die Bürokratie immer wieder im Weg. Derzeit ist das Feld für die Landwirtschaft ausgewiesen. Erst wenn die Kreisverwaltung das Massengrab im Katasteramt registriert, kann die Gemeinde einen Friedhof und einen Weg anlegen. »Bis jetzt hat sich nichts getan«, berichtet der Rabbiner.

Berditschew war seit dem 17. Jahrhundert ein jüdisches Zentrum. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten rund 38.000 Juden in der Stadt. Die deutschen Besatzer ermordeten fast alle jüdischen Bürger – nur 15 überlebten den Holocaust. Bis Mitte der 90er-Jahre wanderte ein Großteil der jüdischen Bevölkerung aus, vor allem nach Israel, Deutschland und in die USA. Heute kommen pro Jahr rund 50.000 jüdische Touristen nach Berditschew – die meisten machen auch bei dem Massengrab halt.

Oleksandra Bienert (30) ist gerade mit dem Zug aus Kiew in Berditschew eingetroffen. Die Ukrainerin lebt seit acht Jahren in Berlin und will der jüdischen Gemeinde bei der Bergung der Grabstätte helfen. »Wir tragen die Verantwortung, die Erinnerung an den Holocaust zu pflegen«, sagt die Frau mit den schwarzen Haaren, die selbst nicht jüdischer Herkunft ist. In Berditschew hat Bienert Termine mit jüdischen Organisationen sowie mit der Kreisverwaltung gemacht. »Dort fragte man, was ich hier überhaupt suche.«

Gegenleistung Später will Behördenleiter Sbaraschskij verhandeln: Man sei bereit, sich um das Grab zu kümmern, sagt er. Als Gegenleistung müsse die jüdische Gemeinde einer Schule 5000 Euro für einen Computerraum spenden. »So läuft das hier immer«, sagt Rabbiner Nemoj. Die jüdische Gemeinde habe aber kein Geld für die Computer, fügt er hinzu. Er wolle sich auf den Deal auch deshalb nicht einlassen, weil die Verwaltung dann jedes Jahr neue Forderungen stellen würde.

Die Regierung im rund 150 Kilometer östlich gelegenen Kiew will den Skandal vertuschen – und schaltet den Geheimdienst SBU ein, um das Problem herunterzuspielen. »Ein Beamter hat mich gewarnt, nicht mit den Medien zu sprechen«, berichtet ein Vertreter der jüdischen Gemeinde, der aus Angst seinen Namen nicht nennen will. Dafür wolle der Geheimdienst den Vandalismus auf dem Massengrab beenden und beim Bau eines Friedhofs helfen. »Doch daran glaube ich nicht«, erklärt das Gemeindemitglied.

USA

Modisch und menschlich

Seit 25 Jahren betreibt Allison Buchsbaum eine Galerie für zeitgenössischen Schmuck in Santa Fe

 22.10.2024

Großbritannien

»Zionistisch und stolz«

Phil Rosenberg, der neue Chef des Board of Deputies of Jews, über den Kampf gegen Judenhass

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  20.10.2024

Südafrika

Terroristin auf dem Straßenschild?

In Johannesburg soll eine wichtige Hauptverkehrsstraße nach der Flugzeugentführerin Leila Chaled benannt werden

von Michael Thaidigsmann  16.10.2024

New York

Versteck von Anne Frank wird nachgebaut

Rekonstruktion soll zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz in New York zu sehen sein

von Annette Birschel  16.10.2024

Österreich

Wenn der Rebbe keltert

Schlomo Hofmeister kauft jedes Jahr Trauben und produziert seinen eigenen koscheren Wein

von Tobias Kühn  16.10.2024

Lufthansa

Millionenstrafe wegen Diskriminierung von Juden

Die USA sanktionieren die Airline wegen des Ausschlusses von 128 jüdischen Fluggästen vom Weiterflug nach Ungarn

 16.10.2024

Indien

Kosher Mumbai

Mithilfe der »Jewish Route« soll in der indischen Metropole der reichen jüdischen Vergangenheit gedacht und eine Brücke zur Gegenwart geschlagen werden

von Iris Völlnagel  15.10.2024

Ungarn

Identitäten im Dilemma-Café

»Haver« nennt sich eine Stiftung, deren Ziel es ist, nicht-jüdischen Jugendlichen durch Spiele und moderierten Diskussionen das Judentum näherzubringen

von György Polgár  14.10.2024

Ungarn

Willkommen in Szarvas!

Einen Sommer über haben Kinder aus Osteuropa, aber auch aus Israel oder der Türkei in Szarvas neben Spaß und Spiel auch Stärke und Resilienz tanken können

von György Polgár  14.10.2024