Drei Tage vor Jom Kippur in Manchester: Bei strömendem Regen steht am Sonntag Großbritanniens Oberrabbiner Ephraim Mirvis auf einer Rednertribüne im Memorial Garden und spricht zu rund 2000 vor allem jüdischen Demonstranten. »Haltet es wie der Rambam«, ruft er ins Mikrofon, »macht Teschuwa!«
Doch Mirvis’ Botschaft gilt nicht den Versammelten, sondern der Labour-Partei. Sie soll umkehren, sich auf ihre Werte Gerechtigkeit und Gleichberechtigung besinnen und sich vom Antisemitismus abwenden.
Board Aufgerufen zu der Protestkundgebung hatten der britisch-jüdische Dachverband Board of Deputies (BoD) und das Jewish Leadership Council (JLC). Es ist das zweite Mal, dass sich die jüdische Gemeinschaft des Vereinigten Königreiches mit einer öffentlichen Protestversammlung gegen den Antisemitismus in der Arbeiterpartei wendet. Bereits Ende März hatten die beiden Organisationen in London vor dem britischen Parlament Labours Antisemitismus öffentlich beklagt.
Jetzt, fast sechs Monate später, sei die Situation allerdings nicht besser – ja, der Antisemitismus in der Partei habe einen geradezu institutionellen Charakter angenommen, kritisierte Raphi Bloom vom United Jewish Israel Appeal (UJIA) gestern in Manchester. Er eröffnete mit dieser Anklage die Protestveranstaltung und nannte Beispiele: Da sei die Behauptung des Gewerkschaftsführers Mark Serwotka, die Anschuldigungen des Antisemitismus würden von Israel gesteuert, um von der eigenen Politik abzulenken. Oder da sind die Worte des Labour-Stadtrats und ehemaligen Fraktionsabgeordneten Jim Sheridan, der »wegen dem, was die jüdische Gemeinschaft gegen die Partei täte, keinen Respekt mehr« gegenüber der jüdischen Community habe.
Labour-Chef »Jeremy Corbyn bezeichnet sich als militanten Gegner des Antisemitismus, doch er ist selbst ein militanter Urheber von Antisemitismus«, rief Bloom ins Mikrofon.
Verantwortung Marie van der Zyl, die neue Präsidentin des jüdischen Dachverbands Board of Deputies, forderte Corbyn auf, sich zu entschuldigen und Verantwortung für seine Taten zu übernehmen. Die Partei müsse endlich handeln.
Auch die jüdischen Labour-Abgeordneten Louise Ellman (72) und Margaret Hodge (74) kamen gestern in Manchester zu Wort. Sie könnten es nicht fassen, sagten sie, dass sie im Jahr 2018 an einer Protestveranstaltung gegen Antisemitismus in der eigenen Partei teilnehmen. Labour müsse endlich die Parteikultur ändern und Abgeordnete, die sich antisemitisch äußern, disziplinieren.
Margaret Hodge, die wochenlang von der Parteiführung mit einem internen Verfahren bedroht wurde, weil sie Corbyn als Antisemiten bezeichnet hatte, erklärte vor den Versammelten, sie sei eine stolze britische Jüdin. »Ich wurde Mitglied der Arbeiterpartei, weil ich Rassismus und Intoleranz bekämpfen wollte und es mir darum ging, Minderheiten zu schützen.«
corbyn Doch seit Corbyn an der Spitze von Labour stehe, habe sie »grauenvolle Botschaften und Tweets« erhalten. Diese seien schlimmer als jene aus dem Jahr 2010, als sie bei Wahlen gegen einen Kandidaten der rechtsextremen British National Party (BNP) antrat.
Zum Abschluss, bevor der Schofar geblasen wurde und die Demonstranten im Memorial Garden gemeinsam die israelische und die britische Nationalhymne sangen, betonte Oberrabbiner Mirvis: Jeremy Corbyn habe etwas geschafft, das vielen anderen bisher nicht gelungen sei – »er hat die jüdische Gemeinschaft vereint. Wir lassen uns nicht verängstigen oder werden verstummen«.
Mehr dazu in unserer nächsten Printausgabe am 27. September