Das Museum über die deutschsprachigen Bewohner der heutigen Tschechischen Republik in Ústí nad Labem wirbt auf einem Plakat mit dem lächelnden Franz Kafka. Daneben prangt »Naši Němci« – Unsere Deutschen. So nannte Tomáš Garrigue Masaryk, erster Präsident der 1918 gegründeten Tschechoslowakischen Republik, die Bürger seines Landes, die gemeinhin als »Sudetendeutsche« gelten.
Die komplexe Geschichte der »Konfliktgemeinschaft«, wie sie der tschechische Historiker Jan Křen bezeichnete, dokumentiert die Exposition in der nordböhmischen Stadt an der Elbe, deren deutscher Name Aussig ist. Bei der Eröffnung 2021 hatte die provokante Darstellung Kafkas als »unser Deutscher« bei tschechischen Besuchern Unmut erzeugt. Direktor Petr Koura erklärte eilig, sein Haus sei »kein Museum für die Sudetendeutschen«, vielmehr eines »der deutschsprachigen Bewohner der böhmischen Länder«.
Antisemitische Autorin
Die Ausstellung in Ústí zeigt eine Buchseite der deutschsprachigen Ausgabe von Kafkas Das Schloss von 1926 neben der tschechischen Version von 1935. Im Manuskript ersetzte der Autor das »ich« durch »K.«. Jan Vondrouš, Assistent der Museumsleitung und Guide, nennt Kafka »ein Symbol für das Problem zwischen der Definition einer Nation und dem Versuch, sich selbst zu definieren«.
Das kurz zuvor eröffnete Sudetendeutsche Museum in München stellt Kafka bedenkenlos in eine Reihe mit der westböhmischen Autorin Gertrud Fussenegger, die 1943 über »die willig geduldete Überfremdung durch Artandere und Entartete« schwadronierte, die Prag »ein zuweilen bis zur Verzerrtheit groteskes Aussehen verlieh«. Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof nannte sie »Drachensaat«.
Für Direktor Stefan Planker ist das kein Problem, er verweist auf den seiner Ansicht nach völlig korrekten Ausstellungstext, in dem es lapidar heißt: »Fussenegger begeisterte sich zwar früh für den Nationalsozialismus, aber die katholische Prägung ihrer Werke steht dazu im Widerspruch«, nach 1945 habe sie »alles bereut«. Historiker René Küpper nennt die in solchen Punkten fragwürdige Münchner Ausstellung eine »sudetendeutsche Leistungsschau«, in der dann eben auch Kafka »umstandslos den sudetendeutschen Errungenschaften zugeschlagen wird«.
Kafka-Biograf Reiner Stach findet es »wenig hilfreich«, Kafka »über regionale, nationale oder ethnische Zuschreibungen fassen zu wollen«.
»Sudeten« ist ein alter Begriff für den Gebirgszug im Norden und Osten Böhmens sowie Mährisch-Schlesiens. In der Sudetendeutschen Partei sammelten sich Extremisten, die auf die Zerschlagung der jungen Tschechoslowakei hinarbeiteten. 1938 marschierte Hitler ins Sudetenland ein und errichtete im Jahr darauf das Protektorat Böhmen und Mähren. Juden und Jüdinnen wurden deportiert und ermordet.
Die Sudetendeutsche Landsmannschaft räumt heute dezidiert die Verbrechen vor 1945 ein. Dem stehen krude Relativierungen entgegen, bis hin zu einem »Sudetendeutschen Holocaustneid«, wie es die israelische Historikern Iris Nachum nennt.
Schweigen über die Ermordung von Kafkas Familie
Die Frage, ob Kafka ein Sudetendeutscher war, hatten das Deutsche Kulturforum östliches Europa und der sudetendeutsche Adalbert-Stifter-Verein bei einer Podiumsdiskussion in Berlin gestellt, um dem Vernehmen nach auch dem Missbrauch von Kafkas Werk etwas entgegenzusetzen. Wirkliche Kritik blieb jedoch aus. Der Stifter-Verein, wie das Kulturforum über das Bundesvertriebenengesetz finanziert, verschweigt in einer Wanderausstellung, dass Mitglieder der Familie Kafka in der Schoa ermordet wurden und lässt eine deutliche Einordnung der Antisemitin Fussenegger vermissen.
In offiziellen sudetendeutschen Verlautbarungen werden deutschsprachige Juden gern »Landsleute« genannt. Kafka-Biograf Reiner Stach findet es »wenig hilfreich«, Kafka »über regionale, nationale oder ethnische Zuschreibungen fassen zu wollen«. Dessen geistiger Raum sei die deutschsprachige Literatur gewesen. »Der Raum, den er heute bewohnt, ist um ein Vielfaches größer.«