In jüngster Zeit können Stars und Sternchen und solche, die es werden wollen, kaum mehr bezaubern. Statt Magie und Mysterium gibt es sie bis zum Exzess auf Social Media zu sehen: beim Kochen, Weinen, Küssen oder – wie während der Covid-Pandemie – wie sie in rauschenden Gärten und Infinity-Pools ihre Seele baumeln ließen, während der elende Rest der Welt sehen konnte, wo er blieb.
Aber es gab einmal eine Zeit, in der Stars noch geheimnisvoll waren und sein wollten. Wenn sie krank, verliebt, betrogen oder gestresst waren, drang es nicht oder nur äußerst selten an die Öffentlichkeit. Stattdessen flimmerten sie in schönen Kleidern und mit schönen Frisuren »bigger than life« über die Leinwände, während sie ihr Privatleben nahe Hollywood in Orangenbaumhainen und hinter Bougainvillea-Büschen versteckten.
Und einst lebten die Stars in Rom. Rom, das bedeutet im Sommer laute Zikaden und bis tief in die Nacht hinein sonnenwarme Steine auf Bänken, Bodenplatten, Marmorwänden und Steinköpfen mit abgebrochenen Nasen; immer alles wie absichtslos und in der gleichen Farbgruppe herumstehend: tönern, sandig, weißlich oder auch in faschistisch bräunlichem Gold. In den 50er- und 60er-Jahren bedeutete Rom vor allem La Dolce Vita – das süße Leben – und großes Kino, nicht zuletzt wegen des warmen Lichts, wie es nur in Rom scheint und das den Filmen und der Haut der Darsteller einen ganz besonderen Glanz verlieh.
Das warme Licht in Rom verlieh der Haut der Darsteller einen ganz besonderen Glanz.
Dank des »Marshallplans«, der Geld in den Wiederaufbau der europäischen Nachkriegswirtschaft spülte, konnten große Filme wie Ein Herz und eine Krone mit der blutjungen Audrey Hepburn und dem charmant-grantigen Gregory Peck, Ben Hur mit Charlton Heston oder Cleopatra mit Elizabeth Taylor in der Ewigen Stadt produziert werden. Genauer gesagt, in den «Cinecittà»-Studios, die 1937 von Diktator Benito Mussolini eröffnet worden waren, um dort faschistische Propaganda produzieren zu lassen. In der Nachkriegszeit entstanden hier stattdessen glamouröse Produktionen und Kinoklassiker von Meisterregisseuren wie Michelangelo Antonioni und Federico Fellini, und in Konkurrenz zu Kalifornien entstand das Italien-eigene »Hollywood am Tiber«, wie es damals das »Time«-Magazin taufte.
Amerikanische Stars kamen angeflogen und gefahren und lebten in den oberen Stockwerken von Palazzi auf der Via Veneto, aus denen sie nachts wie Götter und Göttinnen in wehenden Kleidern hinabstiegen und sich Fans und Paparazzi zeigten. Ava Gardner, Richard Burton und Elizabeth Taylor lebten zeitweise in Rom wie auch Marlon Brando, Audrey Hepburn, Gregory Peck und Kirk Douglas. Dort trafen sie auf Superstars des italienischen und europäischen Kinos wie Sophia Loren, Anna Magnani, Gina Lollobrigida und Anita Ekberg. Wie wurde aus der Cinecittà, wo unter Mussolini ein strenges Verbot amerikanischer Filme geherrscht hatte, ein Ableger Hollywoods? Was passierte damals zwischen Spanischer Treppe und Colosseum? Wie hat sich diese Zeit angefühlt?
Nicht das erste, aber das klatschsüchtigste Buch!
Unfassbar glamourös, aber auch toxisch, lautet die Antwort von zweien, die dabei waren. Gene Lerner und Hank Kaufman. Und in ihren Memoiren Hollywood on the Tiber haben die einstigen Filmagenten es aufgeschrieben. Trocken-wirtschaftlich gesprochen habe Hollywood dem italienischen Kino die Seele genommen, indem es Kulturfremdes zum Trend ausrief, auf Traditionen pfiff und wichtige italienische Produzenten ins Ausland drängte, so Lerner.
Dabei ist Hollywood on the Tiber nicht das erste Buch, das sich mit dem Berserker Hollywood im Rom der 50er- und 60er-Jahre befasst – aber es ist definitiv das klatschsüchtigste! Fast erinnert es an Kenneth Angers berühmte Abrechnung Hollywood Babylon, allerdings ohne dessen zynische Morbidität, mit der er die Drogensucht und Selbstmorde von bekannten und weniger bekannten Stars aus Hollywoods »Goldenem Zeitalter« offenlegte.
Der Klatsch und Tratsch von Hollywood on the Tiber lag bereits Anfang der 80er-Jahre auf Italienisch vor. Nun erscheint er endlich auch auf Englisch bei dem auf Filmbücher spezialisierten Verlag Sticking Place Books. Das Vorwort schrieb Sandy Lieberson, der einstige Agent von Peter Sellers und den Rolling Stones, der nach drei Jahren in Rom selbst Filmproduzent wurde und der mit Kaufman und Lerner befreundet war.
Es gibt viele, meist für immer unbekannt bleibende Menschen, die hinter den Kulissen wirken, vor denen die Schönen und Mächtigen posieren. Kaufman und Lerner, Partner im Leben und bei der Arbeit, kamen 1953 nach Rom, um eine Schauspieler- und Talentagentur zu gründen. Sie sprachen die Sprache, kannten die kulturellen Gepflogenheiten der Amerikaner und das amerikanische Showgeschäft und konnten transatlantisch vermitteln. Ihre Agentur wurde das Herzstück interkontinentaler Co-Produktionen.
Sie hätten diese Intuition gehabt, schreiben Lerner und Kaufman, dass es in Rom klappen würde. Und wie es klappte, sie wurden Agenten, Manager und Freunde der A-List der Leinwandträume. Sie berieten und begleiteten ihre Stars auch über die Grenzen Roms hinaus, holten Ava Gardner nach einem Ehestreit aus London ab, kannten die geheimen Filmverträge von Charlie Chaplin oder fuhren mit Shelly Winters nach Cannes zum Einkaufen.
In Rom trafen sie 1959 auf Josephine Baker, deren Leben sie später auf die Bühne brachten. Simone Signoret, Anna Magnani und Anita Ekberg gehörten zu ihren Klientinnen. Letztere erfuhr in Rom, dass ihr Geliebter Sean Connery eine andere heiraten würde, und musste getröstet werden. Mal war Lee Strasberg am Telefon, mal Hedy Lamarr, und als Nächstes kam Gina Lollobrigida durch die Tür.
Die Autoren sahen alle Höhen und Tiefen und machten sich dabei offenbar Notizen.
Hollywood on the Tiber bietet kleinere und größere Dramen, vom fuchsteufelswilden Marlon Brando bis zur tränenüberströmten Ekberg. Es erzählt vom Glück der wenigen und dem Pech von vielen, und davon, wie Luchino Visconti und Federico Fellini hinter den berühmten puderrosafarbenen (heute orangen) Toren der Studios die wunderbarsten Filme drehten.
»Der Mythos, die Legende, aber auch der Abgrund und sein Elend, ein Abgrund voller Drogensucht, unerfüllter Träume und sexueller Gefälligkeiten. ›Hollywood on the Tiber‹ ist alles auf einmal. Es ist Himmel und Hölle«, schrieb Lieberson im Vorwort. 20 Jahre lang haben Kaufman und Lerner alle Höhen und Tiefen gesehen und sich dabei offenbar Notizen gemacht. Für Verleger Paul Cronin sind ihre Erinnerungen die perfekte Mischung zwischen La Dolce Vita und Call My Agent!.
Hank Kaufman und Gene Lerner: »Hollywood on the Tiber«. Sticking Place Books, New York/London 2025, 408 S., 31,20 €