Alain Jakubowicz, berühmter Anwalt in den Prozessen gegen die NS-Kriegsverbrecher Klaus Barbie und Maurice Papon, steht derzeit in einem ganz anderen Fall im Zentrum der französischen Öffentlichkeit: Er verteidigt den 34-jährigen früheren Soldaten Nordahl Lelandais, der Mitte Februar gestanden hat, im vergangenen Sommer die achtjährige Maëlys de Araujo ermordet zu haben. Es ist ein Kriminalfall, der ganz Frankreich bewegt.
Dadurch, dass er Lelandais verteidigt – und vor allem dadurch, wie er es tut –, macht sich der energische Jakubowicz bei vielen Franzosen unbeliebt. Es ist nicht das erste Mal, dass der heute 64-Jährige eine landesweite Polemik auslöst.
Nicht immer gelingt es ihm, der seinen Landsleuten vorwirft, »die Rolle eines Anwalts nicht zu verstehen«, diese mit der notwendigen Distanz auszufüllen. Im Fall des kleinen Mädchens zog er mit ungewohnter Härte gegen die Staatsanwaltschaft zu Felde, als er noch von der Unschuld seines Klienten überzeugt war.
»Das geht sie nichts an!«, bellte er etwa der Nachrichtenmoderatorin von BFM TV, Ruth Elkrief, entgegen, als diese im Dezember fragte, ob er seinen Klienten wirklich für unschuldig halte. Er ließ die Journalistin, die er mit eisigem Blick fixierte, kaum ausreden und gestikulierte wild.
»Sie sind der Einladung gefolgt, um richtigzustellen, was Ihnen an der Beweisführung falsch erscheint?«, fragte sie. »Nein, was falsch ist«, gab er zurück. Obwohl mehrere Indizien der Staatsanwaltschaft schon damals auf Lelandais als Täter hindeuteten, prangerte Jakubowicz im Fernsehen weiter die »Inkohärenzen in der Akte« an.
Vehemenz Manche Franzosen überschütten Jakubowicz für seine Vehemenz mit Hasstiraden, teils mit antisemitischem Gehalt. Man wirft ihm Sympathie für den Täter vor. »Halten Sie den Mund, Jakubowicz«, titelt etwa eine Zeitung. »Lelandais verdient es nicht, zu leben und verteidigt zu werden«, schreibt ein User auf Facebook.
Doch Jakubowicz bleibt stoisch. Auch die Mutter des Kindes wirft ihm vor, »den Angeklagten zum Schweigen aufzufordern«. Keine Antwort von Jakubowicz, der stattdessen die Medien kritisiert, sie würden »den Scoop eines gewissen Senders übernehmen, der falsche Informationen verbreitet«.
Der Nachrichtenkanal BFM TV hatte das Foto einer Überwachungskamera veröffentlicht, auf dem eine Gestalt in einem weißen Kleid zu sehen ist. Die Mutter erkannte ihr Kind auf dem Bild. Jakubowicz regte sich darüber auf, dass das Bild durch undichte Stellen bei der Polizei in der Öffentlichkeit gelandet war.
Jakubowicz’ Angriffslust im Fall Lelandais scheint die Leidenschaft zu belegen, mit der er seinen Beruf ausübt. »Schon mein Vater hat gesagt, er wäre Anwalt geworden, wenn der Krieg nicht gewesen wäre«, erzählte er der Zeitung »Libération«. Die Familie seines Vaters verließ Polen 1933 und konnte nach Frankreich entkommen, die seiner Mutter floh später aus Österreich.
Viele seiner Verwandten wurden in der Schoa ermordet. »Das geht mir immer noch unter die Haut«, sagt der Jurist. Er wurde 1953 in Villeurbanne bei Lyon geboren, wo er auch Jura studierte und 1976 Anwalt wurde.
Eigentlich hatte er vor, als Wirtschaftsrechtler zu arbeiten. Er betreibt eine große Kanzlei in Lyon, in der 14 Kollegen arbeiten und heute auch seine Tochter Vanessa. Doch schon bald verwebte sich sein Beruf eng mit der Geschichte der französischen Juden und so auch mit seiner eigenen.
Da war es nur logisch, dass er das Consistoire central israélite de France etwa 1987 im Prozess gegen den NS-Kriegsverbrecher Klaus Barbie, den »Schlächter von Lyon«, vertrat und 1997 gegen den Nazi-Kollaborateur Maurice Papon. Vor allem der Prozess gegen Barbie hat bei Jakubowicz Spuren hinterlassen. »Sein Blick ließ mir das Blut in den Adern gefrieren«, sagt er. »Ich verstehe, warum seine Opfer ihn zweifelsfrei identifizierten: Einen solchen Blick vergisst man nicht.«
Jakubowicz ist davon überzeugt, dass der Prozess ein Stück zur geschichtlichen Aufarbeitung beitragen konnte. »Man hat danach mehr über diese Zeit gesprochen und verstanden, wie das System den Menschen zum Tier machen kann.«
Biografie Schon sehr früh engagiert er sich gegen Antisemitismus, und das nicht nur im Gerichtssaal. 1979 tritt er der Internationalen Liga gegen Rassismus und Antisemitismus (LICRA) als Mitglied der Rechtskommission bei. Von 2010 bis November 2017 hat er das Amt des Präsidenten inne. Dabei eckt er bei vielen mit seinem Konzept des »gegen Weiße gerichteten Rassismus« an, den man in Vierteln feststellen könne, in denen europäische Familien in der Minderheit sind. Jakubowicz kritisierte, dass Afrikaner, Araber und Juden eigentlich immer Opfer und die Täter rechts, weiß und Christen gewesen seien. Doch diese Stereotype würden heute nicht mehr gelten.
Wieder folgt ein Proteststurm in den Medien. Der Soziologe Stéphane Beaud und der Historiker Gérard Noiriel werfen ihm in der Tageszeitung »Le Monde« vor, sich rechtsextremen Thesen zu nähern.
Überhaupt die Medien. Zu ihnen hat der streitbare Anwalt ein ambivalentes Verhältnis: »Die Ermittlungsarbeit braucht Zeit und ist das Gegenteil der sozialen Netzwerke und Nachrichtensender«, erklärte er kürzlich in einem Interview.
Andererseits hat es Jakubowicz selbst ganz gern, sich im Internet darzustellen: Er betreibt einen Blog, auf dem er aktuelle Themen kommentiert und über vergangene Prozesse schreibt. Sein Facebook-Auftritt hat mehr als 7000 Follower – fast genauso viele wie sein Twitter-Account.
Mandant Der 14. Februar, an dem Nordahl Lelandais nach der Entdeckung einer Blutspur in seinem Auto den Mord gesteht, lässt Jakubowicz fast verstummen. In der kurz nach dem Geständnis einberufenen Pressekonferenz merkt man ihm die Sprachlosigkeit an. Er ist nicht mehr der eloquente Verteidiger, als den ihn ganz Frankreich kennt, sondern der Anwalt, der sechs Monate lang von seinem Mandanten belogen wurde. Jakubowicz ringt um jedes Wort, er stöhnt, ja weint fast. Kleinlaut fügt er an, was wie eine Bitte um Entschuldigung klingt: »Ich möchte die Arbeit der Ermittler loben, die ich schlecht behandelt habe.«
Die Ermittlungen laufen weiter. Nordahl Lelandais soll 2016 auch einen jungen Mann ermordet haben. Kürzlich gab er zu, diesen als Anhalter mitgenommen zu haben.