Nachruf

Kämpferisch bis zum Tod

Floh vor den Nazis nach Uruguay: Ernst Kroch, genannt »Ernesto« Foto: Theo Bruns

Abstrakte politische Postulate waren ihm immer fremd. Politik maß Ernst Kroch sel. A. daran, was sie denen bringt, die vom gesellschaftlichen Reichtum weitgehend ausgeschlossen waren. Er redete dabei niemandem nach dem Mund, auch nicht den Armen und Benachteiligten.

Trotzdem gehörte seine Solidarität zuallererst den Menschen, in deren Mitte er in einem Stadtviertel Montevideos lebte. Er interessierte sich für die Leute und wusste, was sie bewegte und welches ihre Probleme waren. Aber ein Populist war er nie. Am 11. März ist Ernst Kroch im Alter von 95 Jahren in Frankfurt am Main während seines Deutschlandaufenthalts gestorben.

Kroch wurde am 11. Februar 1917 als Kind liberaler jüdischer Eltern in Breslau geboren. Schon im Kindesalter kam er in Kontakt mit der Linken in Deutschland. Außerhalb der Familie erfuhr er seine entscheidende Prägung im deutsch-jüdischen Wanderbund »Kameraden«, einer Organisation der Jugendbewegung. Neben Freizeitaktivitäten wie Wandern, Radtouren und Zelten spielten philosophische, religiöse und politische Diskussionen bei den »Kameraden« eine wichtige Rolle.

Illegalität Als sich der Bund 1932 auflöste, schloss sich ein Teil seiner Mitglieder, zu denen Kroch gehörte, der anti-stalinistischen »Kommunistischen Partei Deutschlands – Opposition« (KPO) an, die nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in der Illegalität versuchte, mit Flugblättern und Wandzeitungen zum Widerstand gegen das Regime aufzurufen. Im Herbst 1934 wurde die Gruppe von der Gestapo zerschlagen. Der damals 17-jährige Kroch wurde verhaftet und saß bis Januar 1937 im Gefängnis und KZ. Seine Freilassung wurde erst angeordnet, nachdem er sich bereit erklärt hatte, Nazi-Deutschland innerhalb von zehn Tagen zu verlassen.

Über Jugoslawien, Italien und Frankreich gelang ihm Ende 1938 die Flucht nach Uruguay. Dort versuchte er vergeblich, Visa für seine in Deutschland lebenden Eltern zu bekommen. Die meisten lateinamerikanischen Länder hatten 1938/39 die jüdische Einwanderung stark eingeschränkt. Seine Eltern wurden deportiert und in Auschwitz ermordet.

Nach dem Krieg blieb Ernst Kroch, der seinen Vornamen inzwischen zu Ernesto hispanisiert hatte, in Uruguay und gründete eine Familie. Der Metallarbeiter engagierte sich gewerkschaftlich und politisch in seiner neuen Heimat. Dem jüdischen Gemeindeleben stand er eher fern, unterhielt aber bis zu seinem Tod freundschaftliche Kontakte zu der von polnischen jüdischen Sozialisten gegründeten Asociación Cultural Israelita Dr. Jaime Zhitlovsky.

Untergrund Als sich in Uruguay 1973 eine Militärdiktatur an die Macht putschte, begann der kritische Kommunist wieder, im Untergrund zu arbeiten. Nach der Verhaftung seiner Verbindungsleute in der illegalen Metallarbeitergewerkschaft musste er im Januar 1982 innerhalb von wenigen Stunden das Land verlassen und fand in Frankfurt am Main Zuflucht. Aus der »Heimat im Exil« rettete er sich ins »Exil in der Heimat«, von wo aus er sich gegen die Diktatur in Uruguay engagierte.

In Frankfurt begann Ernesto Kroch zu schreiben. Die Literatur wurde neben der Politik zu seiner zweiten Leidenschaft. Schon in Uruguay hatte er in der Zeitung der Metallarbeitergewerkschaft, die er redigierte, erste Crónicas, kleinere Erzählungen, publiziert. In Deutschland begann er dann auch längere literarische Texte zu veröffentlichen. Drei deutsch- und sieben spanischsprachige Bücher von Ernesto Kroch sind erschienen, neben einer beeindruckenden Autobiografie vor allem Erzählungen und politisch-historische Sachbücher. Den letzten Erzählband präsentierte er erst vor wenigen Wochen in Montevideo.

Nach dem Ende der Militärdiktatur kehrte Ernesto Kroch 1985 wieder in seine Wahlheimat Uruguay zurück. Dort machte ihn die Hauptstadt Montevideo im Jahr 2007 zu einem ihrer wenigen Ehrenbürger. Jedes Jahr aber kam er zurück nach Frankfurt, um seine »zweite Exilheimat« zu besuchen. Dort starb er. Ernst »Ernesto« Kroch wurde auf dem Neuen Jüdischen Friedhof beigesetzt.

USA

Der Lautsprecher

Howard Lutnick gibt sich als Architekt der amerikanischen Zollpolitik. Doch der Handelsminister macht sich mit seiner aggressiven Art im Weißen Haus zunehmend Feinde

von Sebastian Moll  18.04.2025

Ungarn

Die unmögliche Geige

Dies ist die zutiefst berührende Geschichte eines Musikinstruments, das im Todeslager Dachau gebaut und 70 Jahre später am Balaton wiedergefunden wurde

von György Polgár  17.04.2025

Medien

Noa Argamani ist auf der »Time 100«-Liste

Alljährlich präsentiert das »Time Magazine« die 100 einflussreichsten Menschen der Welt. 2025 ist auch eine freigelassene israelische Geisel dabei

 17.04.2025

USA

Neuauflage von Weinstein-Prozess startet

Vor gut einem Jahr überraschte ein Gericht in New York die Welt und hob das historische Vergewaltigungsurteil gegen Harvey Weinstein auf. Nun wird über die Vorwürfe erneut verhandelt

von Benno Schwinghammer  14.04.2025

Türkei

Die Optimistin

Liz Behmoaras schrieb über das jüdische Leben im Land – und für das Miteinander. Ein Nachruf

von Corry Guttstadt  14.04.2025

Ägypten

Gefährliches Paradies

Der Sinai ist einer der wenigen Urlaubsorte im Ausland, den Israelis auf dem Landweg erreichen können. Gern auch zu Pessach. Aber zu welchem Preis?

von Matthis Kattnig  11.04.2025

Feiertag

Putzen, Plagen, Playmobil

Neben Mazza und Haggada bietet Pessach Raum für ganz neue, individuelle Rituale. Wir haben uns in sieben Familien in Europa und Israel umgehört

von Nicole Dreyfus  11.04.2025

Israel-Boykott

Johnny Rotten nennt Hamas »einen Haufen von ›Judenvernichtern‹ «

Eine irische Zeitung hat versucht, den Ur-Punk Johnny Rotten vorzuführen, der sich kraftvoll gegen einen Boykott Israels wehrt. Das ging gründlich schief

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025

USA

Eine Hochschule und ihr LGBTQ-Klub

Die einen feiern den »Meilenstein für queere Juden«, die Yeshiva University rudert zurück. Nicht nur die orthodoxe Gemeinschaft ist verwirrt

von Sophie Albers Ben Chamo  10.04.2025